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Von Ingolf Seidel
Die vorliegende Handreichung zur Sinti und Roma in Deutschland, deren Kultur, Geschichte und Verfolgung, aus dem Jahr 1998, ist bis heute eine der wenigen Publikationen, die zu diesem Thema, die sich an ein pädagogisch interessiertes Publikum wendet. Bereits im Vorwort weisen die Herausgebenden auf die Grenzen ihrer Veröffentlichung hin, die „keine Unterrichtsmaterialien, Schulbücher oder didaktische Anleitungen ersetzen“ kann. Dementsprechend versammelt die Handreichung elf Aufsätze, inklusive der Einleitung und eine knappe Auflistung mit Materialhinweisen.
Ein inhaltliches Manko in der Herangehensweise fällt im Vorwort von Jacqueline Giere auf. Die Erziehungswissenschaftlerin und ausgewiesene Expertin in Sinti und Roma-Fragen reduziert den Rassismus gegen beide Gruppierungen, den Antiziganismus, auf ein reines Vorurteil. Eine ähnliche Herangehensweise findet sich in vielen Veröffentlichungen zu Antisemitismus, eine mit dem Antiziganismus teilweise vergleichbare Ressentimentstruktur, die jedoch weitaus stärker weltanschaulichen Charakter als der Antiziganismus hat. In solchen Ressentiments verdichten sich stereotype Denkweisen und Vorurteile erst zu einer Struktur, die kaum mit den Mitteln aufklärerischer und kognitiv ausgerichteter Pädagogik allein zu dekonstruieren ist. Dazu sind in der Regel komplexere pädagogische Interventionen nötig.
Trotz dieser Schwäche bietet die Handreichung interessante Informationen, die bei entsprechender Aufbereitung durch Lehrerinnen und Lehrer auch für den Unterricht einsetzbar sind. Zumal Aufsätze wie der von Egon Schweigert 'Zur Darstellung und Wahrnehmung der Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma in den Schulbüchern' ein komplexeres Bild der Problematik zeichnen. Sehr anschaulich schildert der Schriftsteller Michail Krausnick in 'Null problemo' eine persönliche Geschichte über eine Schule und deren vermeintliches ‚Zigeunerproblem‘. Die Nachhaltigkeit von Ressentiments wird hier plastisch beschrieben. Zudem zeigt Krausnick wie viel Ressentiments mit den Projektionen der Mehrheitsgesellschaft zu tun haben und wie sehr sie ein Ausdruck von deren Befindlichkeit sind. Entsprechend gut lässt sich diese Schilderung im Unterricht für das Fach Deutsch einsetzen. Vom selben Autor findet man noch einen chronologischen Abriss über den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma, der leider noch immer ein Randthema in der Behandlung des Nationalsozialismus darstellt. Ähnlich verhält es sich mit der Geschichte von Chinto Mari, die als Anhang zu dem Aufsatz 'Streiflichter zur Kultur der Sinti und Roma' beigegeben ist. Als niedergeschriebenes Dokument, zeigt sie die Innensicht der auf dem Erzählerischen basierenden Kultur der Sinti. Diese Binnensicht macht den Schülerinnen und Schülern einen Perspektivwechsel möglich.
Wie aus diesen beiden Beispielen ersichtlich wird, macht die Mischung aus wissenschaftlichen Aufsätzen, Erzählungen und Dokumentenanhängen zu den einzelnen Beiträgen, die Stärke der Handreichung aus. So bieten die Dokumente im Anschluss an Wolfgang Wippermanns Beitrag über 'Antiziganismus – Entstehung und Wirkung einen Überblick über 500 Jahre Antiziganismus'. Durch die Kürze der Quellen ist ein Einsatz in Real- und Hauptschulen möglich, wobei eine Einführung in quellenkritisches Arbeiten durch die Lehrkraft unverzichtbar ist. Genau an solchen Stellen wäre die Ergänzung durch didaktische Anregungen wünschenswert. Abschließend lässt sich sagen, dass die schon etwas ältere Veröffentlichung aus Baden-Württemberg eine Basis zur Unterrichts- und Projektplanung liefert, die durch andere Materialien und Quellen ergänzt werden sollte. Eine umfassende pädagogische Handreichung zur Geschichte, Kultur und Verfolgung von Sinti und Roma ist weiterhin ein ausstehendes Vorhaben und wäre wünschenswert.
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- 15/12/2009 - 15:38