von Hannah Lotte Lund, Projektleiterin am Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) an der Technischen Universität Berlin

Geschlechterdebatten scheinen so alt wie Adam und Eva – auf die sich bis heute ja auch immer wieder berufen wird, als biblische oder einfach ‚uralte Ordnung‘ der Welt. Zugleich sind sie topaktuell und man kann mit einigem Recht die Frage stellen: Warum wird darüber jetzt so heiß debattiert? Was man aus der Geschichte dieser Debatten lernen kann, ist zunächst, dass die Geschlechterfrage Konjunkturen hat. Seit der Frühen Neuzeit warenGeschlechtsunterschied bzw. -charakteristika und Aufgaben von Frau und Mann ebenso Themen für die europäische Gelehrtenrepublik wie für Alltagsauseinandersetzungen. Die neuere Forschung spricht von den Querelles des Femmes als eine die Frühe Neuzeit durchziehende Streitgeschichte zwischen den Geschlechtern und über die Rollen der Geschlechter. Debatten, die in Wort und Bild ausgefochten wurden, und deren Schwerpunkte sich von Epoche zu Epoche veränderten.

Auch in der Moderne kommt es immer wieder zu auffallenden diskursiven Verdichtungen, in denen das Thema die Gesellschaft beschäftigt, oft in Spannung zu gesellschaftspolitischen Umwälzungen (oder von diesen ablenkend) und nicht selten mit weitreichenden Folgen. So formierte sich im Umfeld der Französischen Revolution – bei dem Versuch, zumindest die „natürliche Ordnung“ der Geschlechter zu stabilisieren – eine europaweite Debatte, die grundlegende Theorien für die bürgerliche Geschlechterordnung des 19. Jh. entwickelte. Zeugnis der historischen Debatten geben die verschiedensten Medien, schöne Literatur und Lyrik ebenso wie Bilder und Karikaturen, theologische oder wissenschaftliche Untersuchungen und polemische Texte. 

Wenn die feministische Forschung diese kontroversen Auseinandersetzungen auf die paradoxe Formel vom „heißen Streit um kalte Ordnung“ bringt, heißt das: Nicht nur gerieten hier scheinbar entfernte Disziplinen miteinander ins Gespräch, sondern hinter vermeintlich klaren Argumenten ging und geht es auch immer um Machtverhältnisse: „[G]estritten wird sichtbar über die physische Ausstattung des weiblichen Körpers, [...] die moralische Ausstattung der weiblichen Seele [...] die kognitive Ausstattung des weiblichen Gehirns. Gestritten wird unsichtbar über die Ausstattung des Mannes, über die Ordnung dieser Ausstattung dieser Geschlechter, über Geschlechterordnung, über Weltordnung“ (Hassauer 2008: 15).

Fragt man nach dem Anlass dieser Auseinandersetzungen, lässt sich feststellen, dass die Debatten oft Indikatoren für eine Gesellschaft im Umbruch bzw. im Prozess der Selbstverständigung waren. Dabei wurden über „Genderfragen“ Normen und Zugehörigkeiten (neu) ausgehandelt. Oft entstanden – und entstehen – Geschlechterdebatten in Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen oder um Emanzipationsprozesse aufzuhalten.

Geschlechterdebatten können instrumentalisiert werden, zur Ab- oder Umlenkung von Diskursen. Dass etwa in einer gesellschaftlichen Krisensituation „nicht auch noch“ die Geschlechternormen ins Wanken geraten sollen, ist ein geschichtlich verbreiteter Wunsch. Über die Jahrhunderte kam es zur Positionsverschiebung: von der Stellung von Frau (und Mann) in der Welt (definiert nach gesellschaftlichem Stand, Schicht und Bibelversen) verlagerte sich die Kernfrage zu der nach der Stellung der Frau in Relation zum Mann. Die diskursive Gegenüberstellung von zwei Geschlechtern und ihre Charakterisierung in Gegensatzpaaren wurde dabei immer wieder – und oft auf dem jeweilig neuesten Stand der Wissenschaft – dazu verwendet, „das schwächere Geschlecht“ in familiär oder gesellschaftlich untergeordneter Position zu halten.

Interessant an den Querelles des Femmes ist auch, dass diese Debatten lange nur wenig erforscht wurden – und wenn, dann im Zusammenhang mit berühmten Namen wie Rousseau oder Humboldt, oder progressiv als Beispiel für frühen Feminismus. Erst seit Ende der 1990er Jahre gibt es fachübergreifende Forschung zu den Wissensordnungen, den Verläufen und neuerdings den Foren der Debatten. Hier war die Diskursmacht ungleich verteilt, da die Öffentlichkeit(en) für Frauen nicht in gleichem Maße zugänglich war(en).

In aktuellen Debatten spielt der Umgang mit einer Vielzahl von Geschlechtern bzw. geschlechtlichen und sexuellen Identitäten eine zentrale Rolle. Aber auch diese Auseinandersetzung ist nicht neu. Vielmehr hatte sie Vorläufer, ausgelöst etwa durch die von Magnus Hirschfeld vor gut 100 Jahren entwickelte Theorie der „sexuellen Zwischenstufen“. Die auf dem Cover des vorliegenden LaG-Magazins abgebildete Broschüre sollte die Bevölkerung des Kaiserreichs über Homosexualität aufklären, die „das Dritte Geschlecht genannt“ wurde, um zu verdeutlichen, dass dies eine eigene und natürliche Identität sei (nicht wie bis dahin formuliert eine „unnormale“). Diese Theorie geschlechtlicher Vielfalt fiel wie die internationale Debatte über Sexualitäten mit dem radikalen Bruch der NS-Geschlechterideologie dem Vergessen anheim.

Unser Heft gibt einen Einblick in ausgewählte historische und aktuelle Geschlechterdebatten, in denen sich wissenschaftliche, kultur- und identitätspolitische Diskurse mischen. Einerseits sollen sich in einer geschlechtergerechten Sprache Diversitätsideale der Gesellschaft abbilden. Andererseits ist die Kategorie Geschlecht eine politische Kampfzone geworden. Nicht nur die sogenannte Neue Rechteist maßgeblich daran beteiligt, die „natürliche Geschlechterhierarchie“ als vorgebliche Normalität und als Garant gesellschaftlichen Zusammenhalts gegen „liberalen Zeitgeist“ oder „Genderwahn“ zu verteidigen. Das Thema Gender verdeckt andere gesellschaftliche Spannungen und Ungleichbehandlungen. Auch die jüngste Debatte über Queeres Erinnern und die geschlechtliche Vielfalt in der Erinnerungspolitik zeigt, wie über Geschlechterdebatten nicht nur Privelegien und Machtverhältnisse verhandelt werden, sondern ebenso gesellschaftliche Normen und wer dazugehört oder eben nicht. Oder wie das Thema genutzt werden kann, um Front zu machen gegen vermeintlich „Andere“.

Ein Lernergebnis aus diesen Debatten ist, dass Geschlecht gemacht und mit Machtfragen verbunden ist. Dem setzen wir als Motto ein Zitat von Magnus Hirschfeld, einem historischen Vorkämpfer geschlechtlicher Vielfalt, entgegen: „Menschen sind, wenn überhaupt etwas, dann von Natur an ungleich.“

Herzliche Einladung zur Debatte! 

 

Literatur

Hassauer, Friederike: Einleitung, in: dies.: (Hrsg.): Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der Querelle des femmes zwischen Mittelalter und Gegenwart, Göttingen 2008, S. 11–48.

 

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