Prof. Dr. phil. Dr. phil. habil. Manuela Pietraß ist Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Medienbildung an der Universität der Bundeswehr München. Am German Institute for Defence and Strategic Studies leitet sie den Forschungsschwerpunkt Kommunikation und Konflikttransformation.

Von Manuela Pietraß

Der folgende Beitrag enthält – mit freundlicher Genehmigung der Friedrich-Naumann-Stiftung – Auszüge aus der Studie „Friedens- und sicherheitspolitische Bildung an Schulen“ (Pietraß 2023) und lehnt sich insgesamt an deren Befunde an.

Akteure der friedens- und sicherheitspolitischen Bildung

Die Studie „Friedens- und sicherheitspolitische Bildung an Schulen“ stellt Akteure dieses Feldes vor und verbindet diese Bestandsaufnahme mit Empfehlungen für eine neue Strategie im Bereich der Friedens- und sicherheitspolitischen Bildung. Dass eine solche notwendig ist, zeigt sich u.a. daran, dass sicherheitspolitische Bildung als Thema an Schulen unterrepräsentiert bzw. überhaupt nicht vorhanden zu sein scheint. Denn welche Informationen Schülerinnen und Schüler in diesem Themenfeld erhalten, ist oft abhängig vom Engagement einzelner Akteure. Dazu gehören zum einen solche Einrichtungen, die einen Fokus auf Friedensbildung legen, wie etwa die Servicestelle Friedensbildung Baden-Württemberg, Jesuitenkollegien oder auch Kirchen, Stiftungen und politische Netzwerke. Spezifische sicherheitspolitische Bildung findet vor allem im Kontext der Bundeswehr, wesentlich durch die Jugendoffiziere und hier wiederum durch das sicherheitspolitische Planspiel POL&IS (Politik & Internationale Sicherheit) statt. Diese spielerische Simulation wird von den Schülerinnen und Schülern unter Leitung von Jugendoffizieren durchgeführt und ermöglicht einen Einblick in internationale Konfliktentwicklung und -prävention. Eine herausragende Rolle bei der sicherheitspolitischen Bildung nimmt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge durch seinen besonderen Erinnerungs- und Gedenkauftrag ein. Die Bundeszentrale für politische Bildung ist die einzige Einrichtung, die Friedenspädagogik und sicherheitspolitische Bildung verbindet, seit sie im Kontext des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ihr Angebot entsprechend ausgeweitet hat (vgl. Pietraß 2023: 4).

Manuela Pietraß auf dem Podium mit Thomas Clausen, Stefan Kroll und Uli Jäger (v.l.n.r). © Christiane Deuse

Situation an Schulen

Dieses breit gefächerte Feld von Akteuren der Friedens- und sicherheitspolitischen Bildung sucht den Kontakt zu Schulen. Dazu verfügen sie über unterschiedliche Möglichkeiten, die von der Bereitstellung von Materialien bis hin zur Ausbildung eigener Bildungsreferenten und -referentinnen reichen. Der stärkste Bezug ist dort gegeben, wo ein direkter Zugriff auf die Lehrpläne besteht, wie im Fall der Friedensbildung im Religionsunterricht. Während Friedensbildung von einer ganzen Reihe von Akteuren direkt an die Schulen gebracht wird, trifft dies für die Friedens- und sicherheitspolitische Bildung nicht zu – mit Ausnahme des erwähnten sicherheitspolitischen Planspiels POL&IS.

Dass Friedens- und sicherheitspolitische Bildung an Schulen nur schwach verankert zu sein scheint – was allerdings erst nach einer näheren Untersuchung der Lehrpläne sicher beurteilt werden kann –, wird an den Bemühungen Baden-Württembergs deutlich, mit der Servicestelle Friedensbildung langfristig Friedensbildung (nicht jedoch sicherheitspolitische Bildung) an den Schulen zu etablieren. Die Bedeutung für die Friedensbildung an Schulen zeigt sich auch darin, dass fast alle Bundesländer (außer Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern), die oberste Bildungsziele formulieren, hier Friedensfähigkeit oder Völkerverständigung nennen (keine Bildungsziele bestimmen Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein).

Die Friedens- und sicherheitspolitische Bildung ist demgegenüber wesentlich schwächer positioniert, was mit der deutschen Geschichte, aber auch mit politischen Präferenzen zusammenhängt. In letzterem Punkt liegt ein grundsätzliches Problem, das zu lösen sein wird, wenn Friedens- und sicherheitspolitische Bildung im Unterricht verankert werden soll. Denn, so der Professor für Pädagogik Andreas Flitner, „es ist nicht Aufgabe der Schulen, etwaige ‚Zielwünsche‘ von Ministerien zu erfüllen“ (Flitner 1986: 764; siehe auch Pietraß 2023: 20).

Desiderata und Empfehlungen

Wie aber kann es gelingen, die Bedeutung von Friedens- und sicherheitspolitischer Bildung an Schulen und auch darüber hinaus zu erhöhen?

(1) Aktuell sind beide Bereiche, Friedensbildung ebenso wie Friedens- und sicherheitspolitische Bildung, institutionell und fachlich getrennt. Trotz ihrer auch eher schwachen Repräsentanz scheint die Friedensbildung im Unterschied zur Friedens- und sicherheitspolitischen Bildung besser positioniert zu sein. Doch ist nicht ersichtlich, wie ohne sicherheitspolitische Kenntnisse Völkerverständigung und das Ziel von sicherheitspolitischer Bildung, Konfliktvermeidung und Frieden, vertieft vermittelt werden können. Denn durch die Trennung von Friedensbildung und Friedens- und sicherheitspolitischer Bildung gerät aus dem Blickfeld, dass es sich um zwei Seiten einer Medaille handelt: Sowohl jede Friedens- als auch jede sicherheitspolitische Bildung sollte im Bewusstsein eines anzuzielenden Zustandes der Gewaltvermeidung bis hin zur Gewaltfreiheit vollzogen werden. Dabei sind sie fachlich aufeinander angewiesen. Ohne sicherheitspolitische Kenntnisse wird Friedensbildung schwerlich einen Realitätsbezug finden und Friedens- und sicherheitspolitische Bildung ohne Friedensbildung nicht ihr letztlich angezieltes Gut.

(2) Durch ihre institutionell-fachliche Trennung ist die Stärkung beider Bereiche an Schulen erschwert. Die mangelnde Herstellung inhaltlicher Relationen begünstigt die Gefahr einer Polarisierung der verschiedenen Positionen, was eine ungünstige Ausgangsposition für ein integriertes Verständnis von Friedens- und sicherheitspolitischer Bildung darstellt und zu einer teilweise vorurteilsbeladenen Ablehnung alles „Pazifistischen“ bzw. „Militaristischen“ führen kann (vgl. Schulze von Glaßer 2020). Viele Missverständnisse ließen sich ausräumen, wenn anerkannt würde, dass die Notwendigkeit von Selbstverteidigungsfähigkeit und militärischer Vorsorge den Idealen von Gewaltfreiheit und einem (gerechten) Frieden nicht entgegensteht. Dies ließe sich erreichen, wenn Relationen zwischen beiden Bildungsbereichen in einem interdisziplinär auszubauenden Schnittfeld entwickelt würden. Es zeichnet sich in der Fähigkeit aus, Resilienz auf der gesellschaftlichen Mikro-, Meso- und Makroebene aufzubauen.

(3) Eine Stärkung der Friedensbildung und der sicherheitspolitischen Bildung könnte durch eine strategische Vernetzung der Akteure erreicht werden, wie dies die Servicestelle Friedensbildung in Baden-Württemberg bereits praktiziert. Eine Vernetzung unter Aufrechterhaltung der fachlich-institutionellen Trennung jedoch würde diese sogar noch vertiefen, was ebenfalls am Beispiel der Servicestelle Friedensbildung sichtbar wird. Denn sie vernetzt sich allein mit anderen Akteuren der Friedensbildung. Leitbildcharakter kann hingegen dort attestiert werden, wo Synergien zwischen beiden Bereichen hergestellt werden. Als Beispiel sei die Bundeszentrale für politische Bildung genannt, die bereits beide Themenfelder verfolgt, ebenso wie die in Kooperation mit ihr durchgeführten Bensberger Gespräche des Zentrums Innere Führung der Bundeswehr.

Blick in den Eingang der Landesvertretung Niedersachsen beim Bund in Berlin während einer Tagungspause. © Jens Schubert

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung und ihre Aufrechterhaltung sind Ausgangspunkt, Medium und Ziel der Friedensbildung und sicherheitspolitischen Bildung. Einer ihrer Bestandteile ist die Rolle der Bundeswehr und ihrer Streitkräfte als einer Parlamentsarmee: Die Bundeswehr dient Deutschland. Sie führt die Entscheidungen der Regierung aus, sie trifft diese Entscheidungen nicht selbst. In diesem wesentlichen Punkt kann Friedens- und sicherheitspolitische Bildung ihr Anliegen friedens- und sicherheitspolitisch begründen. „Über dieses Wissen sollte jede Schülerin und jeder Schüler in Deutschland verfügen“ (Pietraß 2023: 20).

 

 

Literatur

Pietraß, Manuela: Friedens- und sicherheitspolitische Bildung an Schulen. Analyse der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Potsdam-Babelsberg 2023.

Flitner, Andreas: Friedenserziehung im Streit der Meinungen, in: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 32 (1986), H. 6, S. 763–777.

Schulze von Glaßer, Michael: Militarisierung schreitet voran. Kritik an Bundeswehr auf Hessentag, in: nd-aktuell, 31.05.2010, URL: https://www.nd-aktuell.de/artikel/171954.militarisierung-schreitet-voran.html [23.02.2023].

 

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