Umweltproteste in Demokratie und Diktatur. Eine Chance für den Geschichtsunterricht – Vorwort
Die aktuelle Ausgabe des LaG-Magazins greift mit dem Thema Umweltweltbewegungen in vergleichender Perspektive ein globales Narrativ auf, welches inzwischen alle Lebens- und Arbeitsbereiche durchdrungen hat. Fragen nach nachhaltiger Entwicklung, der Erreichung von Klimazielen und einer Reduzierung von Umweltweltverschmutzung beschäftigen eine ganze junge Generation weltweit. Von den von ihnen gefundenen Lösungen hängen die Lebensbedingungen aller Menschen in Zukunft maßgeblich ab.
Anhand des Beispiels der Umweltbewegungen in der DDR können aktuelle Entwicklungen besser in einen historischen Kontext eingeordnet werden: Umweltverschmutzungen – wie belastete Gewässer, Schadstoffe in der Luft und sterbende Wälder – wirken sich als Kehrseite von hochtechnisierten Konsumgesellschaften nicht erst seit der Industrialisierung auf die Gesundheit und das Leben der Menschen aus. In den 1970er- und 1980er Jahren nahm die Umweltverschmutzung in Deutschland und insbesondere in der DDR extrem zu; gleichzeitig entwickelte sich ein Bewusstsein für diese Fehlentwicklungen; Umweltgruppen bildeten sich und es wurden Protestaktionen organisiert. Doch in welchem politischen und institutionellen Setting fanden die Proteste statt und wie klaffen die gesetzliche Verankerung von Umweltschutz und die gesellschaftliche Realität auseinander?
Die in sich nicht heterogene DDR-Umweltbewegung war gemeinsam mit den Friedengruppen ein essenzieller Bestandteil der Bürgerrechts- und Oppositionsbewegung, die maßgeblich zur Friedlichen Revolution und zum Ende der DDR beigetragen hat. Viele junge Menschen sind aktiv geworden: Sie haben sich Wissen angeeignet, Wasser-proben genommen, mit selbstgedruckten Flugblättern, Protestaktionen sowie der Gründung von Umweltbibliotheken auf die Missstände hingewiesen. Dies geschah oftmals im geschützten Raum der Kirche, war aber immer mit dem Risiko staatlicher Repressionen verbunden.
Die Umweltbewegungen in der DDR verdeutlichen, wie sehr Handlungsspielräume und partizipatorische Möglichkeiten vom jeweiligen System anhängen. Die Auseinan-dersetzung mit Protestaktionen in der DDR, wie z. B. dem Pleiße-Gedenkmarsch, kann zeigen, unter welchen Bedingungen Proteste in Diktaturen funktionieren und wie sich diese von vergleichbaren Aktionen in Demokratien bis 1989/90 und heute unterscheiden.
Sich mit dem Engagement und den Aktivistinnen und Aktivsten von damals zu beschäftigen, ist auch heute im digitalen Zeitalter mit veränderten Protestformen lohnend. Nachhaltigkeit und Umweltgeschichte sind immer noch zu wenig integraler Bestandteil von Geschichtsunterricht, der sich auch mit der Beziehung von Mensch und Natur beschäftigen muss sowie mit der Frage, welche Einflüsse Politik und Wirtschaft auf diese haben.
Die vielfältigen Beiträge der Autorinnen und Autoren dieses LaG-Magazins eignen sich dazu auf hervorragende Weise. Zudem gibt es noch zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die über ihr Engagement für Umweltfragen in der DDR berichten; darüber, was sie erreicht haben und welche Folgen dies für ihre persönliche Biografie hatte. Die Entwicklungen nach der deutschen Einheit in der Transformationsphase zeigen, dass sich verseuchte Gebiete und Gewässer erholen können und wie sich veränderte Produktionsbedingungen auswirken. Bei allen bleibenden und neuen Herausforderungen sind hier auch Erfolge zu verzeichnen, an denen die Engagierten aus der DDR-Zeit erheblichen Anteil hatten.
Dieser positive Impetus sollte im Geschichtsunterricht betont werden, um Handlungsspielräume aufzuzeigen. In einer Zeit von multiplen gesellschaftlichen Brüchen und Krisen kann die Auseinandersetzung mit der DDR-Umweltbewegung mit einem fächerübergreifenden geschichts-didaktischen Ansatz, der mehr auf Hoffnung und Handlungsspielräume abzielt als auf Apokalypse, zu einem tieferen Verständnis junger Menschen für Klima- und Umweltfragen beitragen. Dazu möchte das vorliegende LaG-Magazin einen Beitrag leisten.
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- 30/08/2023 - 07:52