Elisabeth Kohlhaas ist seit 2022 Leiterin des Erinnerungsortes Torgau/Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Sie ist Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte.

von Elisabeth Kohlhaas

 

Geschichte des historischen Ortes

Gelegen im Nordosten Sachsens in Torgau an der Elbe, setzt sich der Erinnerungsort Torgau (vormals Dokumentations- und Informationszentrum DIZ Torgau) mit der doppelten Diktaturgeschichte in Deutschland auseinander. Er erinnert schwerpunktmäßig an die Opfer der nationalsozialistischen Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg, zugleich aber auch an Unrecht nach 1945, als in Torgau während der sowjetischen Besatzung zwei sowjetische Speziallager und in der DDR ab 1950 ein Gefängnis und ein Jugendgefängnis bestanden. Die Gedenkstätte informiert über die politisch motivierte und menschenrechtswidrige Verfolgung durch die Justiz sowie über Internierung und Strafvollzug in beiden Diktaturen. Gleichzeitig richtet sie ihr Augenmerk auf die persönlichen Geschichten der Verfolgten, von denen sich einige bewusst den Zwängen der Diktaturen widersetzten.

Torgau war im Zweiten Weltkrieg das Zentrum der NS-Militärjustiz sowie des militärischen Strafvollzugs und für das gesamte von Deutschland besetzte Europa bedeutsam. Deshalb kann der Erinnerungsort Torgau die Rolle der NS-Militärjustiz als Verfolgungsinstrument gegenüber Soldaten sowie Zivilistinnen und Zivilisten vertieft vermitteln. Mit Fort Zinna und Brückenkopf befanden sich zwei große Gefängnisse der Wehrmacht (von nur acht Haftanstalten der Wehrmacht insgesamt) in Torgau. Zudem war das Reichskriegsgericht seit Mitte des Jahres 1943 in der Stadt ansässig und verhängte hier zahlreiche Todesurteile. In den Kriegsjahren wurden etwa 60.000 Menschen in den beiden Militärgefängnissen gefangen gehalten. Unter ihnen waren Wehrmachtssoldaten, die wegen Fahnenflucht, „Zersetzung der Wehrkraft“ oder „Kriegsverrat“ verurteilt waren. Es gab auch zivile Häftlinge, meist Angehörige des Widerstands aus nahezu allen besetzten Ländern Europas. Hunderte Soldaten wurden in Torgau hingerichtet, hunderte weitere Gefangene zur Exekution in das Zuchthaus Roter Ochse in Halle an der Saale verbracht.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs richtete die sowjetische Besatzungsmacht in Torgau zunächst das Speziallager Nr. 8 für internierte Deutsche und wenig später zusätzlich das Speziallager Nr. 10 für Verurteilte der Sowjetischen Militärtribunale (SMT) ein. Hier waren mehrheitlich sowjetische Gefangene inhaftiert. Gut 20.000 Häftlinge, die meisten von ihnen Sowjetbürger, wurden aus Torgau in den GULag transportiert.

Von 1950 bis zum Ende des SED-Regimes 1990 bestand im Fort Zinna ein DDR-Gefängnis für Männer und parallel dazu ein DDR-Jugendgefängnis (nicht zu verwechseln mit dem Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau). In beiden Gefängnissen waren die Insassen auch aus politischen Gründen in Haft.

Geschichte und Konzeption des Erinnerungsortes

Der Erinnerungsort Torgau gehört zur Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Er befindet sich in der Stadtmitte in Schloss Hartenfels, weil Fort Zinna als wichtigster historischer Ort vormaliger Verbrechen noch heute als Justizvollzugsanstalt genutzt wird. Vor der JVA Torgau ist ein separates Gedenkareal eingerichtet: Es erinnert in voneinander abgesetzten Bereichen an die Opfer der NS-Militärjustiz und an die Opfer von Internierung, Verurteilungen und Haft in der SBZ und DDR.

Der Erinnerungsort Torgau ist vielen noch unter dem Namen Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Torgau bekannt. Die erst Ende des Jahres 2022 vollzogene Namensänderung ist Ausdruck eines derzeitigen umfassenden Prozesses der Profilschärfung. Dazu gehören auch die Erarbeitung einer neuen Dauerausstellung, die Ende 2023 eröffnet wird, und die Neuausrichtung der Vermittlungsarbeit. In deren Mittelpunkt stehen die Themen Zivilcourage, Verweigerung und Widerstand einerseits, Ausgrenzung und Verfolgung aus politischen Gründen andererseits. Die Geschichte des Orts legt es nahe, den Blick insbesondere auf jene zu richten, die ab 1939 den Angriffs- und Vernichtungskrieg nicht mittragen wollten. Zudem kommt Jugendlichen als politischen Häftlingen in der DDR eine besondere Bedeutung zu.

Gleichzeitig versteht sich der Erinnerungsort als Akteur der Gegenwart und wird sich mit entsprechenden Themen, Fragen, Partnerinnen und Partnern in der Öffentlichkeit präsentieren. Zivilcourage zu unterstützen, das Bewusstsein für Ausgrenzung, Herabwürdigung und Rassismus zu schärfen, Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und damit die Demokratie zu stärken – diese Themen werden die Vermittlungsarbeit des Erinnerungsortes Torgau künftig stärker als bisher prägen.

 

Literatur

Oleschinski, Wolfgang/Spohr, Julia: Heute: Haus der Erziehung. Der Strafvollzug der DDR in Torgau 1950 bis 1990, Schriftenreihe der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft, Bd. 18, Dresden 2018.

 

Erinnerungsort Torgau. Justizunrecht – Diktatur – Widerstand

Stiftung Sächsische Gedenkstätten

Schlossstraße 27

04860 Torgau

Tel.: 03421 713468

E-Mail: erinnerungsort [dot] torgau [at] stsg [dot] de

Homepage: www.erinnerungsort-torgau.de

 

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