Judith Märksch ist Leiterin des Projektbüros Jugend erinnert bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie ist dort für die organisatorische Umsetzung des Bundesprogramms sowie die inhaltliche Beratung, Begleitung und Unterstützung von mehr als vierzig Projekten der nationalen Programmschiene SED-Unrecht zuständig.

von Judith Märksch

Die vier Schlagwörter des Titels bringen zugespitzt auf den Punkt, was wahrscheinlich den meisten Menschen spontan zum Thema DDR einfällt. Sie sind jedoch zu einfach, um das System und das Leben in dieser Diktatur hinreichend abzubilden.

Die seit 2021 bestehende Programmlinie SED-Unrecht möchte mit 44 innovativen Projekten gängigen Klischees und der Verklärung der DDR entgegenwirken. Sie will junge Menschen zwischen 12 und 27 Jahren dazu anregen, sich mit der SED-Diktatur und deren bis heute andauernden Folgen für die Opfer und die gesamtdeutsche Gesellschaft auseinanderzusetzen. Hierfür arbeiten klassische Aufarbeitungseinrichtungen wie Gedenkstätten, Museen oder Wissenschaftsorganisationen mit Trägern der Bildungs-, Jugend- und Kulturarbeit sowie Jugendorganisationen kooperativ zusammen, um zeitgemäße Bildungsformate für junge Menschen sowie Multiplikator:innen der historisch-politischen Bildung zu entwickeln.

Die Themen sind so vielfältig wie die Projekte selbst. Sie reichen vom Leben in der kommunistischen Diktatur über jugendliche Rebellion und Subkultur in der DDR bis hin zum grenzüberschreitenden Blick auf die deutsch-deutsche Teilungs- und Migrationsgeschichte.

Die folgenden Projekte – zu Motion Comics, Spurensuche nach vergessener DDR-Kunst und Gedenkstättenkompetenz –verdeutlichen den innovativen, kooperativen und partizipativen Ansatz, der allen Vorhaben gemein ist.

MoCom: Motion Comics als Erinnerungsarbeit 

Bis Ende 2023 entstehen im MoCom-Projekt der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn vier Motion Comics – also digitale, bewegte Bildgeschichten mit Text und Ton. Vier Gruppen von jungen Menschen widmen sich jeweils einem Oberthema: Grenzübertritte, Flucht und Ausreise, Geteilte Geschichte(n) sowie Ankommen in der Fremde. Dabei werden auch Parallelen zu aktuellen Fluchterfahrungen aufgegriffen, um junge Menschen mit ganz unterschiedlichen kulturellen Hintergründen für die jüngere deutsche Geschichte zu interessieren. Die Teilnehmenden sammeln Erinnerungen im eigenen Umfeld, erarbeiten gemeinsam Manuskripte für die Motion Comics und wirken auch am gesamten weiteren Produktionsprozess mit. Ihre Ideen werden von professionellen Künstler:innen konzeptionell und visuell umgesetzt. Gleichzeitig sind junge Menschen auch die Zielgruppe für Motion Comics, die eine ideale Form der niedrigschwelligen Wissensvermittlung für die historisch-politische Bildungsarbeit darstellen. Im MoCom-Projekt wird zu jedem Motion Comic pädagogisches Begleitmaterial entwickelt. Der Motion Comic „Grenzübertritte“ kann auf der Projektwebseite angesehen und das dazugehörige Begleitmaterial heruntergeladen werden.

Vor dem Verschwinden. Spurensuche nach vergessener Kunst aus der DDR

Die DDR gab beim Bau und der Neugestaltung von Wohngebieten und Innenstädten einen Teil der Bausumme für baubezogene Kunst und Freiflächengestaltung aus: Wandbilder, Reliefs, Glasfenster und Mosaike, Plastiken, Skulpturen und Brunnen sollten die Staatsideologie repräsentieren, die sozialistische Lebensweise und Weltanschauung verbildlichen. Mit der Wiedervereinigung verloren viele DDR-Bauten ihre Funktion, wurden abgerissen oder verändert. Die zugehörige Kunst verschwand oftmals mit den Gebäuden. Die verbliebenen Kunstwerke sind ihrem ursprünglichen Kontext enthoben, nicht selten restaurierungsbedürftig oder umstritten. In dem Projekt „Vor dem Verschwinden“ der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße der Stiftung Ettersberg begeben sich Jugendliche auf Spurensuche nach baubezogener Kunst aus der DDR. Sie entschlüsseln Motive und Symbole, erforschen die Geschichte des jeweiligen Kunstwerks von der Entstehung bis heute und hinterfragen den Umgang mit DDR-Kunstwerken nach 1990. Mit ihren Eindrücken und den Erkenntnissen aus ihren Recherchen gestalten sie eigene Kunstwerke oder Medienformate. Unterstützt werden sie dabei von regionalen Künstler:innen und einer Museumspädagogin.

Gedenkstättenkompetenz – Lernen an und mit außerschulischen Lernorten

Gedenkstätten, Erinnerungsorte und Archive zur SED-Diktatur, doppelten Diktaturgeschichte und deutschen Teilung haben sich in den vergangenen Dekaden zu vielschichtigen Lernorten entwickelt. Sie bieten große Lernpotenziale für die historische Orientierung und Urteilsbildung sowie für die Teilhabe an erinnerungskulturellen Diskursen. Ob Jugendliche diese Lernpotenziale nutzen, hängt im schulischen Kontext ganz entscheidend vom Engagement und von den Kompetenzen der Lehrkräfte ab. Das Projekt #Gedenkstättenkompetenz des Bundes für Bildung e.V. unterstützt Lehrkräfte darin, die Besuche von Lernorten gewinnbringend für ihren Unterricht zu nutzen und ihre Schüler:innen in der Entwicklung eines fundierten und reflektierten Geschichts- und Demokratiebewusstseins zu fördern. Ziel ist es, Lehrpersonen in verschiedenen Phasen ihrer Aus- und Weiterbildung Kompetenzen zur Arbeit an historischen Orten zu vermitteln. Hierfür möchten die Projektpartner die Kooperation zwischen ihren Institutionen fördern und vertiefen, da sie – als akademische Ausbildungszentren und außerschulische Lernorte – unterschiedliche Kompetenzen einbringen. An den Studien- und Exkursionsorten Jena/Erfurt, Münster und ehem. West- und Ost-Berlin regen sie die Zielgruppe zur Reflexion ihrer Erwartungen und Perspektiven an.

 

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