Dialogue

Die Geschichtswerkstatt „Marginalisierte Frauen(-gruppen) in Ost-Berlin. Partizipative Forschungsansätze zu unterrepräsentierten Erfahrungsräumen“. Über das Projekt

Ulrike Rothe ist Historikerin und Soziologin und als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Agentur für Bildung e.V. tätig. Ihre Schwerpunkte sind Oral History und geschlechtsspezifische Zugänge auf Geschichte. Rebecca Hernandez Garcia studierte Geschichte und Philosophie an der Universität Hannover sowie berufsbegleitend Archivwissenschaften an der Fachhochschule Potsdam. Sie beschäftige sich in den letzten Jahren verstärkt mit der Quellenlage und der Aufarbeitung der ostdeutschen Frauenbewegung und wirkte an verschiedenen Projekten mit.

Von Ulrike Rothe und Rebecca Hernandez Garcia

In medialen Diskussionen zum Thema DDR oder auch in feministischen Zusammenhängen wird immer wieder der Topos der emanzipierten DDR-Frau bemüht. Angeführt wird dabei: DDR-Frauen sind selbstverständlich bezahlter Arbeit nachgegangen, ganz überwiegend in Vollzeit. Viele Frauen ergriffen technische oder naturwissenschaftliche Berufe und standen dadurch „ihren Mann“. Parallel dazu haben sie Familien gegründet und Kinder großgezogen, sie demonstrieren (bis heute) damit, dass beides zugleich leistbar ist. Diese Fakten sind statistisch gesichert, sie sind gleichzeitig eine Erfolgserzählung von weiblicher Stärke und Selbstbewusstsein, ein Identifikationsangebot. Vielleicht erweist sich dieses Bild auch deshalb als so zäh und ungebrochen, ist zugleich aber auch geeignet, das Schwarz-Weiß-Bild von der kulturellen und auch sonstigen Unterlegenheit des DDR-Systems in Frage zu stellen. Dieser Ruf nach Differenzierung erfolgt um den Preis einer unkritischen Idealisierung von Frauen- und Familienbildern, wie sie in der DDR staatlicherseits propagiert und für viele Frauen auch richtungsweisend wurden. Der Fokus auf Frauen, die diesen staatlichen Vorgaben aus unterschiedlichen Gründen nicht nachkamen, hat das Potential einer Negativfolie, die uns vorführt, wo die Gleichstellung der Frau in der DDR ihre Grenzen hatte und dass diese Geschichte auch anders erzählt werden kann.

Um bei dem Bild der Negativfolie zu bleiben: Wie also durften und sollten Frauen in der DDR nicht leben? Und welche Konsequenzen zog es nach sich, wenn Frauen in ihrem Erscheinungsbild, ihrem Verhalten, ihren Lebensentwürfen und ihren Äußerungen die Grenzen des staatlich und gesellschaftlich Zulässigen überschritten? Beide Fragestellungen, die nach dem „Unangepasst sein“ und die nach den darauffolgenden Sanktionen, waren bereits Gegenstand unserer vorhergehenden Veranstaltungsreihe zum selben Thema. Zu diesen Sanktionen zählten nicht nur Zersetzung, Verfolgung und Haft oder die Verwehrung von Ausbildungswegen seitens staatlicher Organe, sondern auch die soziale Ausgrenzung durch die DDR-Gesellschaft: verbale Angriffe auf der Straße, familiäre Konflikte, Druck und Ausgrenzung am Arbeits- oder Ausbildungsplatz. Ohne diese beiden Bereiche strikt trennen zu wollen, stellt sich an diesem Punkt die Frage, ob Frauen immer aus rein ideologischen Gründen marginalisiert wurden und ob nicht traditionale, überkommene Auffassungen von Geschlecht und von „Frau sein“ ebenso eine ausschlaggebende Rolle im Handeln einzelner Akteur*innen spielten.

Die erwähnte Veranstaltungsreihe „Unangepasst. Repressionserfahrungen von Frauen in der DDR“ konnte zu vielen Frauengruppen neuere wissenschaftliche Studien vorstellen. Zu anderen Perspektiven und Erfahrungsräumen, wie etwa den Frauen in den Subkulturen oder den migrantischen Frauen, gab es bisher keine grundlegende Forschung. Einige dieser Leerstellen griffen wir mit der Forschungswerkstatt auf, um sie tiefergehend anhand von Quellen zu untersuchen. Diese Intention lässt sich am besten mit einer regionalhistorischen Herangehensweise einlösen. Die Begrenzung auf den Raum Ost-Berlin ermöglichte den Rückgriff auf gewachsene, bedeutende Quellensammlungen wie den Bestand GrauZone der Robert Havemann Gesellschaft, die Interviewsammlungen des FFBIZ Das feministische Archiv oder Quellenbestände, die zum Thema Haft an heutigen Gedenkstätten oder Erinnerungsorten entstanden sind. Hilfreich erwies sich auch hier der Rückgriff auf die Arbeit am Lernort Keibelstraße, am historischen Ort der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt II des „Organs Strafvollzug“ im MdI. Die hier entstandene Interviewsammlung und in ihr die Erzählungen der inhaftierten Frauen über ihre Haftzeit, aber auch über den Grund ihrer Inhaftierung, waren ein wichtiger konzeptioneller Bezugspunkt für zwei der durchgeführten Workshops.

Das Projekt versteht sich als Initiative und Impuls für weitergehende Forschungen, denn das Thema kann nicht im Rahmen eines einjährigen Projekts hinreichend untersucht werden. Ziel des Projekts ist es, exemplarisch zu erproben, was relevante und richtungsweisende geschlechtsspezifische Fragestellungen sein können: Wie und was fragen wir denn, wenn wir uns z.B. Frauen in den Subkulturen anschauen? Bekommen wir darauf die Antworten, die tatsächlich geschlechtsspezifisch sind? Welche Fragen kann man mit einem geschlechterspezifischen Fokus noch stellen, etwa die nach Geschlechterverhältnissen? Und wie ist der geschlechtsspezifische Blickwinkel vor dem Hintergrund non-binärer Perspektiven zu bewerten?

Im Mittelpunkt des Projekts standen drei zweitägige Forschungsworkshops mit den folgenden drei Themen: I. Geschlechtsspezifische Erfahrungen von Frauen in Haft; II: Themen, Programmatik und Selbstverständnis des Arbeitskreises Homosexuelle Selbsthilfe Lesben in der Kirche; III: Frauen in der Ost-Berliner Punkszene. Zu diesen Themen wurden anfangs Fachinputs von Expert*innen angeboten, die in das jeweilige Thema einführten und allen Teilnehmenden einen vergleichbaren Wissensstand vermittelten. Im Rahmenprogramm der gesamten Veranstaltung fand außerdem ein professionell vorbereitetes Zeitzeug*innengespräch statt, in dem die Forschungsgruppen Fragen aus ihrer Forschungsarbeit an „ihre“ Zeitzeugin stellen konnten. Zudem wurden thematisch passende Projekte vorgestellt, die ebenfalls zu diesen Themen gearbeitet hatten. Alle drei Forschungsgruppen präsentierten in einer Abschlussrunde den anderen Gruppen ihre Arbeitsergebnisse und stellten gefundene Thesen, Aspekte und weiterführende Fragen zur Diskussion.

Im Folgenden werden die drei durchgeführten Forschungsworkshops durch je ein Essay vorgestellt. Zu Beginn jedes Essays werden das Thema und der Forschungsstand vorgestellt, des Weiteren werden die ausgewählten Quellen und die Recherchewege beschrieben. Im Mittelteil jedes Essays soll ein Eindruck von der Analyse der Quellen und damit von der Arbeit in den Forschungsgruppen vermittelt werden. Dies geschieht in der Regel durch den detaillierteren, beispielhaften Blick auf eine konkrete Quelle. Im dritten Teil jedes Essays werden die Ergebnisse, aber auch Reflektionen jedes Workshops zu seinem Thema präsentiert. Diesen Essays folgt ein Bericht zur methodisch-didaktischen Umsetzung der Forschungsworkshops und damit auch zum wissenschaftlichen Vorgehen im Projekt. Das Projekt wurde als Citizen Science-Projekt konzipiert: interessierte und/oder vorgebildete Teilnehmende forschen ehrenamtlich und partizipativ in kleinen Gruppen. Der methodische Essay ordnet dieses Projektdesign noch einmal vor dem Hintergrund bisheriger ähnlicher Ansätze ein und vermittelt einen Eindruck vom Vorgehen in den einzelnen Workshops.

 

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