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Bernd Eichmann: Versteinert, Verharmlost, Vergessen – KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland

Bernd Eichmann: Versteinert, Verharmlost, Vergessen. KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag, 1985, 210 Seiten, antiquarisch erhältlich.

Von Pascal Beck

1959 kritisierte Theodor W. Adorno, dass sich dieses Land nicht mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen wolle, weil dies zum einen dem Blick in die Zukunft im Wege stünde. Zum anderen trübe es das deutsche Ansehen im Ausland. Zum Jubiläum des Berliner Holocaust Mahnmals 2010 wiederum wusste der Historiker Eberhard Jäckel eben jenes überwunden. Fortan könnten „(d)ie Deutschen … endlich wieder aufrecht gehen, weil sie aufrichtig bewahren“, so dass andere Länder gar die Deutschen „beneideten … um dieses Denkmal“. In der deutschen Erinnerungskultur zeigt sich ein klarer Paradigmenwechsel. Versteinert, Verharmlost, Vergessen. KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland bietet einen Einblick in eben jenen und liefert somit eine „Chronologie des Vergessens und der Wiedererinnerung“. (S. 117) Die „Wiedererinnerung“ steht in Bernd Eichmanns Buch jedoch noch am Anfang. Die essayistisch verfassten Texte sind ursprünglich als Serie in der Wochenzeitung Das Parlamenterschienen, 1985 dann erst als Buch. Eichmann konnte die anfänglichen Versuche der Auseinandersetzung mit den Orten des Verbrechens demnach in seine Kritik einbeziehen, nicht mehr aber den Erinnerungsboom, wie er vor allem ab den 1990ern stattgefunden hat und sich in Jäckels Rede äußert, kritisch prüfen.

An 20 Beispielen zeigt Eichmann, wie nach 1945 mit den Orten des Schreckens umgegangen, wie also an sie erinnert wurde. Die Texte sind ähnlich aufgebaut. Zuerst beschreibt er die Entwicklung während des Nationalsozialismus: Wann und für welchen Zweck wurden die Lager errichtet? Wer wurde interniert? Wie hat sich die Funktionsweise im Laufe der Nutzung verändert und bis wann wurden sie genutzt? Auch die Verbrechen finden in seinen Texten statt. Anschließend folgt der Umgang mit diesen Orten von der Nachkriegszeit bis in die 1980er. Neben dem Aufbau finden sich auch inhaltliche Parallelen. An mehreren Beispielen aus unterschiedlichen Städten stellt Eichmann klar, dass die Bevölkerung von den Verbrechen mitbekommen hat. Ein Umstand, der heute nicht mehr so umstritten sein mag wie noch zu Zeiten, als seine Texte veröffentlicht wurden. Am Beispiel Kiel erwähnt er die Erinnerung eines Hitlerjungen, der berichtet, dass die Kieler Bevölkerung dabei hat zusehen können, wie die Häftlinge eines Arbeitslagers schikaniert wurden. Bewohner der umliegenden Häuser des Arbeitslagers hätten Tag und Nacht Schreie und Schüsse gehört. Auch im hessischen Hadamar wusste man, „wann es wieder soweit ist“: „Zuerst kommen die grauen Busse der Reichsarbeitsgemeinschaft mit verhängten Fenstern (´Mordkisten´ sollen die Kinder sie genannt haben), dann hält man in manchen Häusern den Atem an. Eine Stunde später spuckt der Schornstein schwarzen Qualm auf die Stadt.“ (S. 126) Ebenso hat ein Überlebender an den Marsch vom Stollenberg zurück ins Lager Hersbruck „keine einzige Erinnerung an einen mitleidigen Blick“ der Einwohner*innen Hersbrucks, denen er und seine Mithäftlinge täglich viermal auf ihrem Weg begegnet sind. (S. 144)

Auch wiederholen sich Beispiele wie die eines Gymnasiasten aus Hersbruck, der 1982 eine Facharbeit über das KZ schreiben und anschließend eine Broschüre veröffentlichen wollte. Nicht nur, dass sich die Stadt bis dahin nicht bemüßigt gefühlt hat, die Geschichte des Lagers selbst zu erforschen. Dem Bürgermeister missfiel außerdem der Titel der Broschüre: „KZ Hersbruck“. Der Gymnasiast solle den Titel ändern, da es sich nicht um ein Konzentrationslager, allenfalls um ein Neben- oder Außenlager von Flossenbürg gehandelt habe. Bei Zuwiderhandlung würden dem Schüler entsprechende rechtliche Schritte drohen. Mit knapper Mehrheit wurde dann 1983 entschieden, dass vor der ehemaligen SS-Kaserne ein Denkmal gesetzt werden darf. Kurz darauf wurde allerdings einstimmig entschieden, dass in zentraler Lage ein Gedenkstein der Sudetendeutschen Landsmannschaft „für die Opfer der Vertreibung 1945“ aufgerichtet wird. (S. 147) Das historische Gleichgewicht war damit wiederhergestellt. Diese Weigerung, sich mit der Geschichte der Orte auseinanderzusetzen, oder der Vergangenheit an sich, findet sich in vielen Beispielen, die Eichmann aufführt, je in unterschiedlicher Art. So auch in der Anerkennung der Opfer, wie der Umgang mit den Mitgliedern der Edelweißpiraten zeigt. Ein Wiedergutmachungsverfahren, dass die Mutter von einem der prominentesten Mitglieder, Barthel Schink, forderte, in dem die Edelweißpiraten als Widerstandskämpfer*innen oder politisch Verfolgte anerkannt werden sollten, wurde von Kölnern Offiziellen abgelehnt. Es scheiterte 1962 an Gestapo-Akten, die die Jugendlichen als kriminelle Vereinigung abstempelte. Hiermit hat sich Roland Kaufhold bereits in einer vergangenen Ausgabe des LaG-Magazins intensiver beschäftigt. Dementsprechend konsequent ist es auch, dass sich um die Aufarbeitung der Vergangenheit nicht die Städte selbst, sondern Einzelpersonen oder Betroffene selbst haben kümmern müssen, wie vielfach die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, was dann wiederum nicht unbedingt auf positive Resonanz stieß.

Was fehlt, sind Überlegungen und Analysen, warum sich die Nachkriegsgesellschaft nicht mit ihren Verbrechen hat beschäftigen wollen. Die Motive klingen jedoch in Äußerungen der Bürger*innen mit, in denen sie ihr Unbehagen an der Erinnerung deutlich machen, wie beispielhaft die eines 28-Jährigen über die Gedenkstätte Dachau: „Eigentlich wäre es am besten, die ganze Anlage abzureißen und statt dessen Wohnungen aufzubauen“, denn „es ist sehr schade, daß die ausländischen Besucher nur das KZ… anschauen und alles andere ignorieren“. Oder der fast 70-Jährige, der sich ebenfalls für den Abriss ausspricht: „Im Ausland sind wir Dachauer sowieso verhaßt.“

Eichmanns Buch liefert heute keine neuen Erkenntnisse. Zu lesen ist es vielmehr als Geschichte der Geschichts- und Erinnerungspolitik. Seine Texte bieten sich an, um die Entwicklung, den Paradigmenwechsel eben jener nachzuvollziehen. Am gesellschaftlichen (Nicht-)Umgang mit den Orten ehemaliger Konzentrationslager zeigt sich, wie sich gesellschaftliche Dynamiken entwickeln können. Eine wirkliche Dynamik bleibt bei den vorliegenden Texten allerdings noch aus. Diese trat erst nach der Veröffentlichung des Buches richtig ein.

 

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