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7.2.2 Wer sind die Querdenker*innen? (Teil 2)

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Von Somi Dubuque

Was wissen wir?

Im Laufe unserer Recherche (s. "Wer sind die Querdenker*innen" Teil 1) zur Verbindung von Verschwörungserzählungen rund um die Corona-Pandemie und der Querdenken-Bewegung haben wir uns anfangs die Frage gestellt, welche Menschen die Protestbewegung ausmachen und hinter welchen Überzeugungen sie stehen. 

Zunächst wurde eine Studie der Universität Basel zur „Politischen Soziologie der Corona-Proteste“ im Dezember 2020 veröffentlicht. Die Daten der Studie berufen sich vor allem auf den von 1150 Personen ausgefüllten Fragebogen, der in verschiedene Telegramgruppen geschickt wurde, in denen sich Querdenker*innen vernetzen. Zusätzlich wurden Kundgebungen und Demonstrationen in Konstanz und Leipzig im Herbst 2020 besucht und die Rhetorik und Ästhetik der Veranstaltungen untersucht. Des Weiteren erschien eine Studie im Januar 2021, die Teilnehmende der Corona-Proteste in Konstanz am 04.10.2020 befragte. Auch hier wurden mithilfe von Online-Fragebögen, die 138 Personen vollständig ausgefüllt haben, Einstellungen und allgemeine Daten zu den Aktivist*innen abgefragt. Zusätzlich wurden vor Ort Kurzbefragungen durchgeführt, um diese mit den Onlineergebnissen abzugleichen.

Trotzdem können durch die beiden Studien nicht alle sozialen und politischen Spektren der Querdenker*innen abgedeckt werden. Das wird deutlich daran, dass einzelne Mitglieder der Chatgruppen ausdrücklich vor einer Teilnahme gewarnt haben. Die Begründungen waren, dass universitäre Forschung immer durch Geldgeber bestimmt sei und dass „es nur der Registrierung widerständiger Akteure diene“ (Nachtwey / Schäfer / Frei 2021: 59). Es ist anzunehmen, dass gerade extrem rechts Organisierte eine Teilnahme an der Umfrage ablehnten und sich stattdessen eher ideologisch und politisch offenere Personen beteiligten.

Trotzdem ist festzuhalten, dass es einige Überschneidungen in beiden Studien gibt, die darauf hinweisen, dass über bestimmte Tendenzen in der Querdenken-Bewegung Aussagen getroffen werden können. 

Mit wem haben wir es zu tun?

Die Teilnehmenden sind im Durchschnitt 47-50 Jahre alt, was gleichzeitig die Normalverteilung in Bezug auf die Gesamtgesellschaft widerspiegelt. An beiden Studien nahmen etwas mehr weibliche Teilnehmende teil, doch insgesamt ist das Geschlechterverhältnis relativ ausgeglichen. An den Onlinebefragungen nahmen überproportional viele Menschen mit höheren Schulabschlüssen teil. Dies deckte sich nicht ganz mit den Daten der Kurzbefragungen vor Ort in Konstanz. Auch in der Studie aus Basel sind die größten vertretenen Gruppen Menschen mit Abitur oder Hochschulabschluss. Dies zeigt sich wiederum im relativ hohen Anteil Selbständiger und der eigenen Verortung in der Mittelschicht. 

In Bezug auf die letzten Wahlen zeigt sich deutlich, dass die sogenannten Volksparteien CDU und SPD durchschnittlich weniger gewählt wurden. Tatsächlich zeigten beide Studien, dass die größte Wählerschaft bei den Grünen lag, was wiederum die Nähe zu ökologischem und esoterischem Denken aufzeigt. Die Protestierenden sehen sich insgesamt wenig verbunden mit den etablierten Parteien und würden bei der nächsten Wahl eher andere Parteien wählen. Erschreckenderweise zeigt die Studie Baseler Wissenschaftler*innen, dass es eine rechte Verschiebung gibt, indem 27% angeben, dass sie bei der nächsten Wahl die AfD wählen würden. Wobei sich diese Prognose nicht mit den Wahlergebnissen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz deckt, bei denen die AfD eher an Stimmen verloren hat. Auch die bundesweiten Umfragen spiegeln diesen Trend nicht wider, bei denen die AfD an 2,1 Prozentpunkten verloren hat im Gegensatz zur letzten Bundestagswahl im Jahr 2017. 

Das Selbstbild: anti-autoritär und kritisch

Zentral für die Corona-Proteste ist, dass sich diese vor allem gegen staatliche Maßnahmen richten. Die Querdenker*innen sehen sich in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt und vermuten Verschwörungen von Unternehmen, Politiker*innen, den Medien und der Wissenschaft. Drei von vier der Befragten der Baseler Studie denken, dass die Regierung der Bevölkerung die Wahrheit verschweigt und dass die Medien und Politik unter einer Decke stecken würden. Dies deckt sich mit der Konstanzer Studie, in der ebenso viele glauben, dass Wissenschaftler*innen manipulieren, um die Öffentlichkeit zu täuschen. Die Ungleichverteilung von Reichtum wird teilweise als problematisch eingeschätzt und vor allem das Vertrauen in Banken und private Unternehmen ist gering. Dazu kommt ein allgemeines Gefühl, nichts verändern zu können oder „dass Politiker sich nicht für die Probleme der einfachen Leute“ (Koos 2021: 9) interessieren. Die Querdenker*innen sehen sich selbst als Widerständige, die für ein freies, selbstbestimmtes Leben ohne Masken kämpfen. Sie verurteilen die staatlichen Maßnahmen als faschistisch und autoritär.

Die Rhetorik von Freiheit im Gegensatz zur Diktatur findet sich auch auf den Protesten in Leipzig wieder, in der die Maske sozusagen zum Symbol „der Diktatur und freiwilligen Unterwerfung“ (Nachtwey / Schäfer / Frei 2021: 56) geworden ist. Auf den Protesten sieht man immer wieder Slogans, die Werte wie Liebe, Frieden, Freiheit und Wahrheit aufgreifen oder Menschen, die Regenbogenfahnen schwenken. Die Baseler Studie geht so weit zu behaupten, dass bei der Querdenken-Bewegung ‚Kritik‘ zum Selbstzweck geworden ist, es wird somit nicht auf die Expertise von einzelnen Wissenschaftler*innen geschaut, sondern darauf, wie ‚kritisch‘ sie seien, das heißt, ob sie den etablierten Medien widersprechen. Sogenannte Kritik wird hier teilweise unkritisch übernommen, ohne zu hinterfragen, auf was sie sich eigentlich stützt, gegen wen sie sich im Einzelnen richtet oder in welchem Interesse diese vorgetragen wird.

Von außen betrachtet: verschwörungsideologisch und rechts

Wie schon zuvor angedeutet, ist einer der zentralen Glaubenssätze der Querdenken-Bewegung, dass bewusst Fakten ausgelassen werden, um die einfachen Leute zu täuschen. In einer vermeintlich kapitalismuskritischen Haltung werden die Bilder von Bösewichten, die Unschuldigen Schaden zufügen wollen, fanatisch aufgezeichnet. Auf der Kundgebung in Leipzig wird von den Redeführenden beständig von Schlafenden vs. Aufgewachten gesprochen, wobei natürlich die Erwachten sie selbst sind, die den teuflischen Plan durchschaut zu meinen haben. Hier wird deutlich, dass ein Gegensatz hergestellt werden soll, um gesellschaftliche Prozesse, die im ersten Moment nicht greifbar sind oder verunsichern, stark vereinfacht werden. Dies dient dazu, klar einen Feind benennen zu können, gegen den sich all die Wut und der Unmut in einer Krise richten kann. 

Selbst wenn die Teilnehmenden offen rechten Aussagen, die sich gegen Muslim*innen oder andere Minderheiten richten, nicht zustimmten, werden an anderen Stellen rechte Tendenzen deutlich. Die Hälfte der Befragten ist davon überzeugt, „dass geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen“ (Nachtwey / Schäfer / Frei 2021: 21) haben würden. Nur 10% der Befragten widersprechen der Aussage „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind Marionetten anderer Mächte“ (ebd.). Die Nähe zu antisemitischem Denken, dass eine kleine Gruppe von Verschwörern verdächtigt wird, die angeblich das gesamte Weltgeschehen lenkt, wird darin offenbar. Der offen antisemitischen Aussage „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden auf die Politik zu groß“ widersprachen nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten. Die Rhetorik dieser Verschwörungserzählungen unterscheidet sich kaum von der der Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten. Auch diese kaschierten antisemitische Verschwörungserzählungen hinter dem Deckmantel einer angeblich sozialen Widerständigkeit, die rechtfertigt, dass das ‚Volk‘ sich gegen eine imaginierte Elite verteidigen muss.

Ebenso sind die Befragten offen für frauenfeindliche Aussagen. Dass „Frauen sich wieder mehr auf die Ehe und die Rolle der Mutter besinnen sollen“ (Nachtwey / Schäfer / Frei 2021: 28) lehnt fast die Hälfte der Befragten nicht vollständig ab. Noch deutlicher wird die Offenheit für rechtes Denken dabei, dass fünf von sechs Personen meinen, die AfD sei eine Partei wie jede andere. Insgesamt für wenig politisches Bewusstsein spricht in der Querdenken-Bewegung, dass nur jede zehnte Person schwarz-rot-weiße Reichsflaggen auf Corona-Protesten als unangebracht empfindet. Obwohl dies ein klares Symbol von Rechtsradikalen ist. Viele der Querdenker*innen haben vor den Corona-Protesten nie zuvor an anderen Demonstrationen teilgenommen, was ihr spontanes Engagement ohne viel politische Erfahrung bestätigt.

Rechte Ideologien spiegeln sich teilweise auch in dem naturverbundenen Denken der Esoterik und der Impfgegner*innen wider. Über die Hälfte der Teilnehmenden unterstützen die Bewegung der Impfgegner*innen und fast 40% denken, „dass alternative Heilmethoden besser helfen als die Schulmedizin“ (Koos 2021: 4). Hinter Aussagen wie „natürliche Selbstheilungskräfte schützen gegen Corona“ verbirgt sich ein tief sozialdarwinistisches Denken. Auch aus Kreisen der Öko-Aktivist*innen hört man, dass die Welt sich nun selbst heile. Dies heißt im Umkehrschluss, dass es richtig und natürlich wäre, wenn schwache, arme, kranke und alte Menschen an der Viruserkrankung sterben und teilt letztendlich die Menschheit in produktive Menschen, die der Gesellschaft Nutzen bringen und schwache ein, von denen die Gesellschaft keinen Nutzen ziehen könnte.

Resümee

Wie in jeder Krise beherrschen Verunsicherung und Ängste die Menschen. Gerade in den Anfängen der Corona-Pandemie befand sich die Gesellschaft in einer Art Wissens- und Glaubenskrise. Das Sars-Cov-2 Virus war noch unbekannt, unerforscht und es mischten sich Gerüchte mit anfänglichen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einem Raunen bis hin zu der Erkenntnis, dass sich die Welt in einer Pandemiesituation befindet. 

Teilweise wurden politische Maßnahmen getroffen, die nicht nachvollziehbar erschienen, denn Vokabeln wie Inzidenzzahlen, Reproduktionswert oder Intensivbettenkapazität überforderten diejenigen, die nicht im medizinischen Bereich arbeiten. Wieso steht plötzlich das ganze Getriebe still, wenn man selbst nichts von den Auswirkungen der Pandemie am eigenen Körper zu spüren bekommt? 

Auch bei politischen Entscheidungen wurden viele gesellschaftliche Gruppen ausgeklammert. Kinder, die einen erhöhten Förderbedarf haben, konnten plötzlich nicht mehr in die Schule. Eltern und Kinder wurden allein gelassen, Senior*innen wurden abgeschottet, ohne dass mögliche psychische Folgen mitgedacht wurden. Im Grunde genommen hat die Corona-Protestbewegung vor allem dadurch so viel Aufwind bekommen, weil in einer Krise bestimmte gesellschaftliche Widersprüche und Ungleichheiten noch offensichtlicher werden. Doch Massenbewegungen sind immer getrieben durch Emotionen und es steht die gefühlte Betroffenheit im Vordergrund. Die Befragten beider Studien bestätigten, dass nur wenige von ihnen selbst negativ von den Corona-Maßnahmen betroffen sind. 

Die Mischung aus offen rechten Akteur*innen, die an den Protesten teilnehmen, und Bürger*innen, die sich bevormundet fühlen, führt oftmals zu einer Fehleinschätzung der Realität, in der die Betroffenen denken, in einer Diktatur zu leben. Doch genau das ist von rechten Influencer*innen gewollt, die das bestehende politische System delegitimieren wollen. Sie bieten gesellschaftlichen Halt durch eine Einteilung in Böse, die Schlechtes für die Bevölkerung wollen, und Gute, die dem ausgesetzt sind. So wird Orientierung geboten, an wessen Seite man kämpft und gegen wen sich der Kampf richten soll. In einer Situation der Unsicherheit hilft dies besonders Menschen, die vielleicht zusätzlich in anderen Lebensbereichen extreme Unsicherheiten spüren und deswegen gesellschaftliche Widersprüche umso schlechter aushalten können.

Ausschlaggebend für den schnellen Zulauf der Bewegung sind auch die Kommunikationswege. Reichliche Falschinformationen werden über das Internet verbreitet und wieder geteilt oder Internet-User*innen sogar vorgeschlagen, wenn sie sich zur Pandemiesituation auf sozialen Netzwerken informieren wollen. Laut der Konstanzer Studie suchen 90% der Befragten Informationen zur Corona-Pandemie durch Eigenrecherche im Internet und jede zweite befragte Person bezieht sich auf Informationen über Chatkanäle wie Telegram oder Whatsapp sowie auf die Aussagen von Familie und Freund*innen. Die Medienkompetenz, sachliche Informationen von Falschmeldungen oder Kommentaren zu unterscheiden, fehlt aber zunehmend in der Altersgruppe, die vorwiegend in der Querdenken-Bewegung vertreten ist. Dies wurde gerade erst in einer im März 2021 veröffentlichten repräsentativen Studie belegt.

Literatur

Bundestagswahl 2021: die Alternative für Deutschland, https://www.bundestagswahl-2021.de/umfragen/#afd (23.03.2021)

Koos, Sebastian: Die „Querdenker“. Wer nimmt an Corona-Protesten teil und warum? : Ergebnisse einer Befragung während der „Corona- Proteste“ am 4.10.2020 in Konstanz. https://kops.uni-konstanz.de/handle/123456789/52497. (22.03.2021)

Nachtwey, Oliver / Schäfer, Robert / Frei, Nadine: Politische Soziologie der Corona-Proteste. https://idw-online.de/de/attachmentdata85376. (22.03.2021)

Meßmer, Anna-Katharina / Sängerlaub, Alexander / Schulz, Leonie: „Quelle: Internet“? Digitale Nachrichten- und Informationskompetenzen der deutschen Bevölkerung im Test. https://www.stiftung-nv.de/sites/default/files/studie_quelleinternet.pdf. (22.03.2021)

 

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