Von Paul Wienands
Antifeminismus und Antisemitismus sind zwei Ideologien mit vielen (historischen) Gemeinsamkeiten. Beide Ideologien beinhalten eine verschwörungsideologische Komponente und treten immer wieder in Verschränkung zueinander auf. Im Folgenden sollen diese ideologischen Gemeinsamkeiten näher betrachtet werden.
Antisemitismus als alte Verschwörungserzählung
Jüdinnen*Juden werden seit Jahrhunderten mit einer mächtigen Gruppe assoziiert, welche im Hintergrund die Fäden zieht und für alles Leid der Welt verantwortlich gemacht wird. Verschwörungserzählungen, in denen Jüdinnen*Juden Protagonist*innen sind, sind sehr verbreitet und spielten gerade im christlichen Antijudaismus eine entscheidende Rolle. Sie reichen von dem Gerücht, „die Juden“ hätten Jesus ermordet, über mittelalterliche Legenden wie solche, dass Jüdinnen*Juden Brunnen vergiften, christliche Kinder entführen und ihr Blut in Ritualen nutzen würden, zurück. Auch diese Erzählungen sind immer noch in codierter und offener Form im modernen Antisemitismus vorhanden (Schwarz-Friesel 2019: 13-42).
Verschwörungserzählungen haben immer die Grundstruktur, dass eine kleine mächtige Gruppe im Hintergrund das Geschehen lenkt (Benz 2007: 15). Deshalb können eigentlich alle Verschwörungserzählungen auch antisemitisch gedeutet werden und deshalb wird in ihrem Zusammenhang oft von einer antisemitischen Struktur gesprochen. Gerade durch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts veröffentlichte und bis heute weit verbreitet antisemitische und verschwörungsideologische Fälschung der „Protokolle der Weisen von Zion“ ist Antisemitismus im gesellschaftlichen Denken mit Verschwörungserzählungen und geheimen Mächten verbunden (Benz 2007: 8).
Ideologie Antifeminismus
Antifeminismus ist wie der moderne Antisemitismus eine Ideologie des 19. Jahrhunderts und als Reaktion auf Emanzipationsansprüche von Frauen entstanden. So steht im Zentrum der antifeministischen Bestrebungen im auslaufenden 19. Jahrhundert die männliche Herrschaft in allen öffentlichen Bereichen aufrechtzuerhalten, sie zu verstärken und die Emanzipationsbewegungen der Frauen zurückzudrängen.
Antifeministische Akteur*innen waren besonders in nationalliberalen und konservativen Parteien und Bewegungen identifizierbar und in Gruppierungen vernetzt, welche ebenfalls an vorderster Front für die sogenannte „Rassenhygiene“ kämpften. Sie waren in zahlreichen antisemitischen Gruppen organisiert (Planert 1998: 14f.). Aber auch in sozialistischen und sozialdemokratischen Lagern war Antifeminismus vertreten (Planert 1998: 14f.). Schon hier wird deutlich, dass Antifeminismus, Antisemitismus und auch Rassismus nicht getrennt voneinander analysiert werden können.
Eine bedeutende Rolle in der antifeministischen Bewegung spielte auch der von Otto Weininger verfasste und 1903 veröffentlichte Bestseller „Geschlecht und Charakter“. Weiningers Buch wurde 1912 schon in der 13. Auflage gedruckt, war sehr bekannt und beinhaltet zentrale antisemitische und antifeministische Thesen (Planert 1998: 41).
Ideologische Gemeinsamkeiten
Sowohl der Antisemitismus als auch der Antifeminismus sind als Reaktion auf fortschreitende Emanzipation und Emanzipationsansprüche zu verstehen. Beide Ideologien können auch als eine Reaktion auf die Moderne verstanden werden und haben sich zumindest in ihrer spezifischen Struktur als Ideologie im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist zu beobachten, wie antifeministische und antisemitische Narrative eng miteinander verknüpft wurden und auch eine klar verschwörungsideologische Komponente ist zu finden. Ute Planert analysiert in ihrem Buch „Antifeminismus im Kaiserreich“ antifeministische Strömungen und Gruppierungen im 19. und 20. Jahrhundert und zeigt an einprägsamen Beispielen diese Verknüpfung auf. So zitiert Planert Schriften des Eugenikers Otto Ammon von 1909 mit den Worten: „Bei den Nationen, wo der Feminismus oder Ultrakapitalismus siegt, [werde] die hieraus folgende biologische Entartung […] den Untergang der Nation oder ihre Aufsaugung durch eine andere Rasse herbeiführen“. Und merkt an: „Daß Ammon mit dieser Behauptung auf die Juden abzielte, war jedem Antisemiten klar. Der Leserschaft wurde damit suggeriert, daß Juden und Jüdinnen die Frauenbewegung als Instrument ihrer Interessen benutzten. [sic!]“ (Planert 1998: 86). In einem weiteren Beispiel führt Planert ein Zitat aus der völkisch-antisemitischen Zeitschrift „Hammer“ an, in der ein Autor 1903 verlauten ließ: „Noch ehe der politisch gleichgültige Rassen-Deutsche nur begriff, was vorging, hörte der Jude bereits das Gras wachsen; […] So erfand er die Sozial-Demokratie und nahm die naiven Massen unter seine Führung. Ebenso ist er mit Erfolg dabei, die Frauen-Bewegung in seinem Sinne zu leiten“ (Planert 1998: 86). Hier steht das verschwörungsideologische Bild, Jüdinnen*Juden würden die feministische Bewegung lenken, im Fokus.
Im Nationalsozialismus, in welchem sich der eliminatorische Charakter des Antisemitismus festigte und im Holocaust mündete, wurden ganz explizit misogyne und antifeministische Geschlechterbilder auf Jüdinnen*Juden projiziert und in vielfältiger Form miteinander verknüpft.
„Der Jude“ wurde in der nationalsozialistischen Ideologie als feindliches Gegenbild des „Ariers“ konstruiert (A.G. Gender Killer 2005: 43) und mit „unmännlichen“ und „weibischen“ Eigenschaften ausgestattet. Er „schien […] mehr Gemeinsamkeiten mit der Frau aufzuweisen [und mit den] ihr zugeschrieben Schwächlichkeit und Krankheiten“ (A.G. Gender Killer 2005: 43f.). Dem Bild der Jüdin wurden auch unterschiedliche und oft entgegengesetzte Eigenschaften zugeschrieben, so war die Jüdin einerseits „die hässliche Jüdin“ und andererseits „die schöne Jüdin“. Im letzteren, dem Bild der Juive Fatale wird die Verknüpfung des Antisemitismus mit dem Antifeminismus ganz deutlich. In diesem Bild stand besonders die übersteigerte Sexualität im Fokus und sie wurde als „ebenso hemmungslos wie berechnend, ebenso verführerisch wie todbringend“ konstruiert (A.G. Gender Killer 2005: 43). „Die schöne Jüdin wirkte sexuell attraktiv und rief zugleich das Gefühl von Gefahr, nicht nur durch ihre Zugehörigkeit zu einem fremden Volk, sondern auch als sich scheinbar selbst ermächtigende Frau hervor“ (A.G. Gender Killer 2005: 54). Hier wird klar, wie misogyne und antifeministische Weiblichkeits- und Männlichkeitsbilder auf Jüdinnen*Juden übertragen und in einem antisemitischen Diskurs verknüpft wurden.
Rechter Terror und rechte Netzwerke
Auch aktuell ist die Verschränkung von Antisemitismus und Antifeminismus deutlich sichtbar, so spielt sie sowohl im Zusammenhang mit rechtem Terror als auch in vielen anderen Konstellationen innerhalb der radikalen Rechten eine große Rolle. So auch in Zeitschriften wie dem „Compact“ Magazin. Aber vor allem zeigt sich diese Verschränkung in einer der bedeutendsten Verschwörungserzählungen der radikalen Rechten. In der Erzählung vom „Großen Austausch“ ist sie zentral. So hatten beispielsweise die bekannten rechten Terroranschläge 2011 in Norwegen, der Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch in Neuseeland von 2019, der Terroranschlag auf die Synagoge in Halle ebenfalls von 2019 und der Anschlag in Hanau auf die Shisha-Bars von 2020 allesamt rassistische, antisemitische und antifeministische Elemente.
Das verschwörungsideologische Magazin Compact ist ein wichtiges Diskursorgan der verschwörungsideologischen und völkischen Rechten in Deutschland und weist deutliche Verbindungen zur rechtsradikalen Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) auf. Im Compact Magazin nehmen sowohl die Erzählung vom „Großen Austausch“ als auch andere verschwörungsideologische Narrative, die Antisemitismus und Antifeminismus vereinen, eine zentrale Rolle ein. So wird analog zur Erzählung vom „Großen Austausch“ mehrfach davon geschrieben, dass der Feminismus eine jüdische Erfindung sei, welche es zu bekämpfen gilt. (Fedders 2018: 223-228) Auch eine starke Ähnlichkeit zu den zitierten Texten aus „Antifeminismus im Kaiserreich“ sind auffällig, so heißt es bei Compact: „Sollte man den Feminismus nicht besser als Vehikel des Rauptierkapitalismus beschreiben?“ (Culina 2018: 106). Hier wird die Analogie zum zitierten „Ultrakapitalismus“ von 1909 sichtbar.
Antisemitische und antifeministische Ideologien sollten aufgrund der historischen und aktuellen Verschränkungen nicht getrennt voneinander analysiert werden und nehmen zusammen mit dem Rassismus eine bedeutende Funktion in der radikalen Rechten ein. Gerade im Zusammenhang mit Verschwörungsideologie sollten diese Verschränkungen zusammengedacht werden.
Literatur
A.G. Gender Killer (Hg.): Geschlechterbilder im Nationalsozialismus. Eine Annäherung an den alltäglichen Antisemitismus. In: Antisemitismus und Geschlecht. Von „maskulinisierten Jüdinnen“, „effeminierten Juden“ und anderen Geschlechterbildern, Münster 2005, S. 9-67.
Culina, Kevin: Verschwörungsdenken, Antifeminismus, Antisemitismus. Die Zeitschrift Compact als antifeministisches Diskursorgan, in: Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Hrsg. von Juliane Lang/Ulrich Peters. Hamburg 2018, S. 91-116.
Benz, Wolfgang: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, 3. Auflage, München 2017.
Fedders, Jonas (2018): „Die Rockefellers und Rothschilds haben den Feminismus erfunden.“ Einige Anmerkungen zum Verhältnis von Antifeminismus und Antisemitismus, in: Antifeminismus in Bewegung. Aktuelle Debatten um Geschlecht und sexuelle Vielfalt, Juliane Lang/Ulrich Peters (Hg.), Hamburg, S. 213-232.
Planert, Ute (1998): Antifeminismus im Kaiserreich. Diskurs, soziale Formation und politische Mentalität, Göttingen.
Schwarz-Friesel, Monika (2019): Judenhass im Internet. Antisemitismus als kulturelle Konstante und kollektives Gefühl, Berlin/Leipzig.
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- 23/02/2022 - 07:04