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Gesicht der Berliner Deportationen: Walter Dobberke

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Dr. Akim Jah ist Politologe und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Deportationen aus Berlin und der Gestapo sowie mit Methoden der historisch-politischen Bildung. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Forschung und Bildung der Arolsen Archives – International Center on Nazi Persecution.

Von Akim Jah

Die wissenschaftliche Erforschung der Täter der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen hat sich bereits seit längerer Zeit so ausdifferenziert, dass sich nicht nur die biographischen Hintergründe der verschiedenen Tätertypen, ihre Motivlagen und ihr Verhalten differenziert kategorisieren lassen (grundlegend dazu: Paul 2002), sondern auch die arbeitsteilige Vorgehensweise und unterschiedlichen Funktionen in den verschiedenen Behörden und Stellen erkennbar sind. So zeigen Forschungen zur personellen Zusammensetzung und zur Tätigkeit der lokalen Gestapo-Dienststellen die funktionale Zusammenarbeit zwischen „anständigen Beamten und üblen Schlägern“, wie dies Hans-Dieter Schmid etwas schlagwortartig und „idealtypisch“ für die Stapo Hannover benannt hat (vgl. Schmid 1996: 133-160).

Die Stapoleitstelle Berlin

Auch die Stapoleitstelle Berlin, die größte regionale Gestapo-Dienststelle im Altreich, zeichnete sich durch ein Personal aus, das einerseits aus langgedienten Beamten und anderseits aus Männern mit dezidiert nationalsozialistischem Hintergrund bestand. Bei den zuletzt genannten handelte es sich um ideologisch überzeugte und zumeist auch vor 1933 politisch aktive Nationalsozialisten, die ohne polizeiliche Ausbildung über die SS zur Gestapo gekommen waren. Dazu gehörten insbesondere Abteilungs- und Referatsleiter sowie, als Juristen, der zeitweilige Leiter der Behörde Otto Bovensiepen und sein Stellvertreter Kurt Venter (Jah 2015: 55-79). Die Angehörigen der zuerst genannten Gruppe hatten lange vor 1933 ihre Karriere bei der Polizei begonnen und kamen später, oft über die Kripo, zur Gestapo. Zu ihr gehörten vor allem subalterne Beamte, darunter die Mitarbeiter des sogenannten „Judenreferats“, das seit dem Beginn der Deportationen der Jüdinnen*Juden aus Berlin im Oktober 1941 diese organisatorisch vorbereitete, für die Abholungen der Betroffenen zuständig war, die Sammellager betrieb und den Abtransport zum Bahnhof vornahm. Etwa die Hälfte von ihnen war zum Zeitpunkt ihrer Tätigkeiten im „Judenreferat“ Mitglied der NSDAP. Das Referat umfasste während der Zeit der Deportationen durchschnittlich 20 bis 25 Personen und war, nicht untypisch für den nationalsozialistischen Staat, von einer großen personellen Fluktuation geprägt.

Walter Dobberke

Ein Name, der in den Quellen zu den Deportationen aus Berlin immer wieder auftaucht, ist Walter Dobberke. Dobberke, ein subalterner Mitarbeiter des „Judenreferats“, leitete die Sammellager Große Hamburger Straße und Schulstraße und war der einzige Angehörige des Referats und mutmaßlich der gesamten Berliner Gestapo, der an den Deportationen von Anfang bis Ende, d.h. 1941 bis 1945, beteiligt war. Er kann mit einigem Recht daher als „Gesicht der Berliner Deportationen“ bezeichnet werden – obgleich er nicht derjenige war, der die zentralen Entscheidungen fällte und auch zahlreiche andere Täter innerhalb der Polizei sowie an anderen Stellen an den Verschleppungen beteiligt waren. Dobberkes Biographie und sein Verhalten stehen zugleich beispielhaft für die aus der Weimarer Republik kommenden Beamten, die im ersten Jahr der Deportationen die Mehrheit im Referat ausmachten.

Walter Dobberke[1] wurde am 15.August 1906 in Sonnenburg (heute: Słonsk), 15 Kilometer östlich von Küstrin (heute: Kostrzyn) in der damaligen Neumark im heutigen Polen, geboren. Sein Vater war Strafanstaltshauptwachtmeister und arbeitete mutmaßlich in der dortigen Strafanstalt, deren Gebäude im April 1933 zu einem frühen KZ und später zu einem Arbeitserziehungslager umfunktioniert wurden. Dobberke besuchte acht Jahre die Schule in Sonnenburg und absolvierte anschließend eine Lehre als Elektromonteur. Zwei Jahre lang arbeitete er in diesem Beruf, zunächst bei seinem Ausbildungsbetrieb und anschließend bei einer Firma in Berlin. Im Oktober 1925 begann seine Karriere bei der Polizei mit einer einjährigen Ausbildung in der Polizeischule in Brandenburg (Havel). Anschließend kam er zur Schutzpolizei nach Berlin, wo er die gesamten 12 Jahre seiner Dienstzeit verbrachte. 1932 heiratete er eine Frau aus seinem Geburtsort. Die Ehe blieb kinderlos.

Zwischen 1937 und 1939 engagierte sich Dobberke als Blockwalter bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Einige Monate vor seinem Ausscheiden aus der Schutzpolizei im Oktober 1937 trat er der NSDAP bei. Vier Monate später begann er seinen Dienst bei der Stapoleitstelle Berlin. Über die Umstände seiner Einstellung ist nichts bekannt. Klar ist nur, dass er mit dem Polizeiversorgungsschein, den er mit seinem regulären Ende der Dienstzeit bei der Schutzpolizei erhalten hatte, die Möglichkeit erhielt, bei der Kriminalpolizei unterzukommen, worüber er möglicherweise, wie dies von anderen Polizisten überliefert ist, zur Gestapo kam. Von seiner Berufslaufbahn – handwerkliche Ausbildung und Dienst bei der Schutzpolizei – unterschied er sich kaum vom Großteil seiner Kollegen im späteren „Judenreferat“.

Im Sammellager Levetzowstraße

Mit mehreren hundert Mitarbeitern war die Berliner Gestapo, deren Sitz sich im Polizeipräsidium am Alexanderplatz befand, eine Behörde mit zahlreichen Referaten, die sich, etwas vereinfacht gesagt, vor allem den unterschiedlichen Verfolgtengruppen widmeten. Dobberke war unter anderem mit Fällen, die Homosexualität betrafen, betraut und arbeitete in der Zentralkartei. Im Januar 1939 war er im Referat „Einziehung von Vermögenswerten“, wo er erste Erfahrungen in „Judenangelegenheiten“ sammeln konnte. Spätestens mit dem Beginn der Deportationen aus Berlin im Oktober 1941 wurde Dobberke, zu dieser Zeit im Rang eines Kriminaloberassistenten, ins „Judenreferat“ versetzt, wo er zunächst vor allem im Sammellager in der Levetzowstraße in Moabit tätig war. Dieses ließ die Gestapo in der dortigen Synagoge zur Vorbereitung der Transporte „in den Osten“ einrichten. Zunächst wurden hier die Verschleppungen in das Ghetto Litzmannstadt organisiert, später auch in Orte im besetzten Baltikum, nach Minsk und im Generalgouvernement. Mitarbeiter verschiedener Referate der Berliner Gestapo und zum Teil auch der Kripo holten die Betroffenen zuhause ab und brachten sie in die Levetzowstraße. Angehörige des „Judenreferats“, unter ihnen mutmaßlich auch Dobberke, nahmen ihnen dort im Zuge der „Durchschleusung“ ihre Wertgegenstände ab. Zu Dobberkes Tätigkeit gehörte es zudem, die Transporte an die Zielorte im deutsch besetzten Mittel- und Osteuropa zu begleiten.

Lagerleiter im Sammellager Große Hamburger Straße und Schulstraße

Als die Gestapo im Juni 1942 im Jüdischen Altenheim in der Großen Hamburger Straße ein Sammellager für die Vorbereitung der Transporte nach Theresienstadt einrichtete, war es Dobberke, der mit der Leitung damit betraut wurde. Mit diesen Transporten wurden vor allem ältere Menschen in das Ghetto in der Nähe von Prag deportiert. Die Funktion des Lagerleiters hatte Dobberke auch später inne, als das Gebäude im Frühjahr 1943 zum alleinigen Sammellager für die „Osttransporte“ und Transporte nach Theresienstadt wurde. Auch als das Lager Anfang 1944 in die Schulstraße im Berliner Wedding auf das Gelände des Jüdischen Krankenhauses umzog, blieb Dobberke dessen Leiter.

Im Sammellager war Dobberke zuständig für die Organisation der Abholungen, die „Durchschleusung“ und die Zusammenstellung der Transporte. Unterstützt wurde er von weiteren subalternen Angehörigen des „Judenreferats“ sowie von Mitarbeiter*innen der Jüdischen Gemeinde, die als Ordner*innen gezwungen worden waren, für die Gestapo zu arbeiten. Dabei war Dobberke bei den „Durchschleusungen“ zum Teil selbst an den Durchsuchungen der abgeholten Opfer sowie an Abholungen beteiligt. Bei der Abfahrt der Transportzüge war er an den Bahnhöfen zugegen und diktierte im Anschluss einen Bericht an seine Vorgesetzten. Gemeinsam mit diesen nahm er zudem regelmäßig an Vorladungen teil, bei denen die Gestapo Anweisungen an die Funktionäre der Jüdischen Gemeinde übermittelte und organisatorische Fragen im Zusammenhang mit den Deportationen geklärt wurden.

Ab Frühjahr 1943, als bis auf wenige Ausnahmen die jüdische Bevölkerung Berlins deportiert und zu einem großen Teil ermordet war, gerieten die im Untergrund lebenden Jüdinnen*Juden vermehrt in das Visier der Gestapo. Mehrere Tausend Menschen versuchten sich vor dem Zugriff der Gestapo zu verstecken. Ihre Aufspürung gehörte nun auch zu Dobberkes Aufgabenbereich. Hierzu unterstanden ihm sogenannte jüdische Greifer, die, um selbst einer Deportation zu entgehen, nach versteckt lebenden Jüdinnen*Juden zu suchen hatten. Wurden sie gefasst, kamen sie in das Sammellager, wo sie u.a. von Dobberke verhört wurden.

Flucht und Festnahme

Bei Ende des Krieges flüchtete Dobberke aus Berlin und wurde kurz darauf, vermutlich nach einer Anzeige durch einen Überlebenden, von den Sowjets festgenommen. Im Juli 1945 verstarb er in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager in Posen (Poznan). 

Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen im „Judenreferat“, die in den 1960er-Jahren im Rahmen des Bovensiepen-Verfahrens zu ihrer Beteiligung an der Deportation der Jüdinnen*Juden aus Berlin ausgesagt haben, konnte Dobberke nie über seine Tätigkeit und seine Einstellung dazu detailliert befragt werden. In diesem Prozess vor dem Westberliner Landgericht waren die ehemaligen Gestapo-Mitarbeiter der Beihilfe zum Mord beschuldigt und sagten, allerdings ohne sich als schuldig zu erkennen, umfangreich aus (vgl. Jah 2015). Viele Überlebende sowie ehemalige Funktionäre und Ordner*innen wurden während des Verfahrens als Zeug*innen gehört. Anhand dieser Aussagen lässt sich ein differenziertes Bild von Dobberkes Verhalten, dessen Stellung als Lagerleiter für ihn ohne Zweifel eine starke berufliche Aufwertung bedeutete, darstellen, das im Folgenden zusammengefasst wird.[2]

Zeug*innenaussagen zur Person Dobberke

Im Sinne der Organisation der Deportationen lässt sich Dobberkes Verhalten als effizient bezeichnen. Er führte die Anweisungen seiner Vorgesetzten ohne erkennbares Zögern aus und setzte die Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes zur Auswahl und zur Zahl der zu deportierenden Menschen bürokratisch um. Dabei ist nicht sichtbar, dass er initiativ tätig wurde oder sich durch offenen Antisemitismus hervortat. Von Überlebenden wird Dobberke jedoch durchaus ambivalent beschrieben. In vielen Aussagen wird er als „anständig“, „korrekt“ und „nicht aggressiv“ bezeichnet – Beschreibungen, die viele Überlebende auch in Bezug auf andere aus der Weimarer Polizei kommenden Beamten gemacht haben – und die im Übrigen auch ihrem Selbstverständnis entsprach (vgl. hierzu und zur Problematisierung des Begriffs „anständig“: Jah 2009). Für die im Lager tätigen jüdischen Ordner*innen soll es teilweise möglich gewesen sein, mit Dobberke über Zurückstellungen von einer Deportation von Einzelnen zu „verhandeln“. Dabei nutze er offensichtlich seine Macht, um einzelne Personen nicht zu deportieren bzw. von der Deportation zurückzustellen. 

Daneben stehen Beschreibungen von Dobberke als korrupt und gewalttätig. Wie nachweislich viele andere Mitarbeiter der Berliner Gestapo hätte sich Dobberke am Vermögen der deportierten Jüdinnen*Juden bereichert. Einige Überlebende schildern, wie er im Sammellager Große Hamburger Straße, wo er auch übernachtete, Karten spielte und sich dabei von Häftlingen mit alkoholischen Getränken bedienen ließ. Auch sei er regelmäßig betrunken gewesen. Andere berichten, wie er bei der Festnahme von untergetauchten Jüdinnen*Juden auf diese einschlug, um die Verstecke weiterer Personen zu erfahren. So schreibt Eugen Herman-Friede in seinen Erinnerungen über Dobberkes Verhalten nach einem nächtlichen Ausbruchsversuch von mehreren Häftlingen aus dem Lager in der Schulstraße Anfang 1945: 

„Er [Dobberke] kommt über den Gang angerannt, bleibt in der offenen Bürotür stehen, ungekämmt, mit aufgeknöpfter Uniformjacke, einer Pistole in der Hand. Dobberke ist groß mit bulliger Figur, trägt sein Haar militärisch kurz und hat ein zusammengekniffenes, markiges Gesicht. ‚Raus in den Gang stellen, nebeneinander’ donnert er wutentbrannt, steckt die Pistole in den Halfter und nimmt einen vielschwänzigen, ledernen Ochsenziemer vom Haken an der Wand. Bei jedem einzelnen von uns nimmt er neuen Anlauf und schlägt von oben herunter, mit voller Kraft.“ (Herman-Friede 1994, S. 130)

Beide Verhaltensweisen – das „anständige“ Ausführen von Befehlen und die Anwendung von Gewalt – die in der Person Dobberke zusammenfallen – waren für die Organisation der Deportationen und die Habhaftwerdung der Opfer von zentraler Bedeutung. Ohne diese unterschiedlichen Verhaltensweisen und auch ohne die Zusammenarbeit unterschiedlicher Tätertypen innerhalb des Terrorapparats von Polizei und SS wäre der industriell organisierte Massenmord nicht möglich gewesen. Die Auseinandersetzung mit Motivlagen, sozialen und beruflichen Hintergründen und den jeweiligen Verhaltensweisen liegt damit auch für die historisch-politische Bildung zu den NS-Verbrechen nahe. Zielgruppen für entsprechende pädagogische Angebote sind nicht nur Schüler*innen bzw. Jugendliche, sondern auch Erwachsene, insbesondere Angehörige der Polizei. Wie das Beispiel Dobberke zeigt, geht es dabei auch darum, ambivalentes Verhalten von Tätern zu erkennen und einzuordnen und die Handlungsspielräume zu diskutieren, die auch subalterne Täter hatten (s. Jah 2009). Pädagogische Materialien hierzu sind beispielsweise im durch die Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Material zur Polizei im Nationalsozialismus enthalten. Ein methodisch-didaktischer Ansatz, der sich auf die Polizisten der Berliner Gestapo und die Deportationen aus Berlin bezieht, bietet die Seite des Audioguides Hörpol.

Literatur

Eugen Herman-Friede: Für Freudensprünge keine Zeit. Erinnerungen an Illegalität und Aufbegehren 1942-1948. Berlin 1994.

Akim Jah: „…und trotzdem anständig geblieben zu sein“. Aussagemuster von ehemaligen Gestapo-Beamten nach 1945. In: Michael Mallmann/Andrej Angrick (Hg): Die Gestapo nach 1945. Karrieren, Konflikte, Konstruktionen. Darmstadt 2009, S. 319-334.

Akim Jah: Polizei und Deportationen. Didaktisches Material zur Täterschaft im Nationalsozialismus. In: Lernen aus der Geschichte Magazin vom 17.1.2011. Online: http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/7609.

Akim Jah: Die Deportation der Juden aus Berlin. Die nationalsozialistische Vernichtungspolitik und das Sammellager Große Hamburger Straße. Berlin 2013.

Akim Jah: Die Mitarbeiter der Stapoleitstelle Berlin und das Bovensiepen-Verfahren. In: Andreas Nachama (Hg.): Reichssicherheitshauptamt und Nachkriegsjustiz. Das Bovensiepen-Verfahren und die Deportation der Juden aus Berlin. Berlin 2015, S. 55-79.

Gerhard Paul (Hg.): Die Täter der Shoah. Fanatische Nationalsozialisten oder ganz normale Deutsche? Göttingen 2002.

Hans-Dieter Schmid: ‚Anständige Beamte‘ und ‚üble Schläger‘. Die Staatspolizeistelle Hannover. In: Gerhard Paul/Klaus-Michael Mallmann: Die Gestapo. Mythos und Realität. Darmstadt 1996, S. 133-160. 


[1] Die nachfolgenden biographischen Angaben beziehen sich auf die zu Dobberke überlieferten Quellen im ehemaligen Berlin Document Center, die heute im Bundesarchiv Berlin überliefert sind. Die Ausführungen zu den Tätigkeiten im Sammellager folgen Jah 2013.

[2] Die Aussagen aus dem Bovensiepen-Verfahren sind im Landesarchiv Berlin unter der Repositur B Rep 058 überliefert.

 

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