Niklas Frank: Meine Familie und ihr Henker. Der Schlächter von Polen, sein Nürnberger Prozess und das Trauma der Verdrängung
Von Pascal Beck
Brigitte Frank war die erste Ehefrau aller Angeklagten der Nürnberger Prozesse, die 1958 ein Buch im Eigenverlag veröffentlicht hatte: Hans Frank. Briefe aus Nürnberg. In diesem sind Briefe abgedruckt, die ihr Mann, der „Schlächter von Polen“, aus seiner Gefängniszelle in Nürnberg an die Familie geschickt hatte. Mit welchem Anliegen Brigitte Frank die Briefe veröffentlicht hat, wird im Vorwort deutlich: „Sie zeigen einen Menschen, der auch in der Grenzsituation das blieb, was er immer sein wollte: ein Mensch.“ (S. 213)
Nach der Trilogie über seine Nazifamilie, in der Niklas Frank, der jüngste Sohn von Hans und Brigitte Frank, erst mit seinem Vater, dann mit seiner Mutter und zuletzt mit seinem ältesten Bruder abgerechnet hat, folgt mit Meine Familie und ihr Henker - Der Schlächter von Polen, sein Nürnberger Prozess und das Trauma der Verdrängung ein Buch, das als Antwort auf die Veröffentlichung seiner Mutter verstanden werden kann. Auch er gibt auf insgesamt 288 Seiten den Briefwechsel seiner Familie kommentiert wieder. Niklas Franks Anliegen aber steht dem seiner Mutter diametral entgegen.
So scheint es zu Beginn verwunderlich, dass sich der größte Teil des Buches mit sehr persönlichen Briefen beschäftigt, die Vernichtung der polnischen Jüdinnen*Juden dagegen nur an einzelnen Stellen, vermehrt vor allem ab Beginn des Nürnberger Prozesses, thematisiert wird. Zunehmend aber wird deutlich, dass, will Niklas Frank den Umgang seiner Familie mit dem Holocaust anhand der Briefe beschreiben, er in seinen Kommentaren selbst kaum über den Holocaust sprechen kann. Denn dieser spielte im Briefwechsel nur bedingt eine Rolle. Gerade aber die Nicht-Thematisierung, die Berichte über Alltägliches und die Lobhudeleien aufeinander geben einen aussagekräftigen Einblick in die Verleugnungsstrategie der Familie.
Mit der Verhaftung des Vaters inszeniert sich die Familie bald schon selbst zum eigentlichen Opfer. Unerträglich ist es beispielsweise für die Mutter zusehen zu müssen, wie der geliebte Schoberhof, der damalige Familiensitz, geplündert wird und die Familie fortan nicht mehr das prunkvolle Leben leben kann, das sie einst gelebt hatten, als Hans Frank noch Generalgouverneur war. Schonungslos sarkastisch beschreibt der Autor die Plünderung. Schonungslos ehrlich beschreibt er anschließend, wie die Mutter mit ihren letzten Schätzen Jahre später in ein Heim für Displaced Persons fährt, um ihren Schmuck gegen Lebensmittel einzutauschen – eben jenen Schmuck, der ihr als Raubgut von den Jüdinnen*Juden aus ihrer Zeit in Krakau nach der Plünderung noch übrig blieb. Die Familie hatte also alles verloren – auch ihren Vater. So mussten die fünf Kinder von da an ohne Vater aufwachsen. Zudem verlor die Familie ihr hohes Ansehen, wollte doch plötzlich niemand mehr mit der Henkersfamilie gesehen werden, niemand mehr selbst Nazi sein oder jemals gewesen sein. Niklas Frank beschreibt außerdem, dass auch er und seine Geschwister mit den Taten ihres Vaters konfrontiert und unrecht behandelt wurden, doch „was ist das im Vergleich zum Leiden der Millionen Opfer des Holocausts? Wir Frank-Kinder haben nie deren ausweglose Verzweiflung erlebt“ (S. 40). Selbstverständlich ist auch Hans Frank selbst Opfer, so schreibt er 1945 an seine Frau: „Der Prozess ist für mich eine schauerliche Offenbarung, wie sehr doch Adolf Hitler uns, unser Volk und die ganze Welt belogen und betrogen hat. Es ist furchtbar, welch ein unfassbares Elend auf diese Weise über die Welt und unser armes Volk gekommen ist“ (S. 146). Hans Frank will also erst in den Nürnberger Prozessen vom vollen Ausmaß der deutschen Vernichtungspläne erfahren haben und muss erbittert feststellen, dass er von Hitler hinters Licht geführt wurde. Auch seine Frau weiß dies zu bestätigen: „Ach, Hans, wie vielen Menschen hast du Gutes getan, wie viele vorm KZ gerettet oder wieder herausgeholt. Was hast du Dich um die jüdischen Verwandten von Richard Strauss allein bemüht. Dies alles wird Dir der Herrgott lohnen“ (S. 159-160). Sein Martyrium führt Frank auch vor Gericht fort: „Denn, indem ich die Schuld übernahm, zeigte ich zumindest, dass unser großes leidendes Volk an all dem furchtbaren Geschehen unschuldig ist. Einer musste sich schließlich bekennen, nachdem die bisher vernommenen Angeklagten vor mir, alle ihre Unschuld beteuerten. Ich aber will meinem Herrgott in die Augen sehen können“ (S. 195). Frank wird sich in Teilen also selbst schuldig sprechen, weiterhin aber vom meisten nichts gewusst haben wollen – eine Inszenierung, die an gestörter Selbstwahrnehmung kaum zu übertreffen ist, wie sein jüngster Sohn zu kommentieren weiß. Auch besagter „Herrgott“ spielt ab dem Moment seiner Verhaftung die zentrale Rolle. Dank Hitlers Selbstmord kann er an ihn nicht mehr glauben, so benötigt es einen Ersatz. Der „Herrgott“ soll in „dieser Welt voller Hass und Rache“ (S. 266) für Gerechtigkeit sorgen – letztlich also der Welt die Augen öffnen, dass Hans Frank unschuldig sei. Aber auch er hat es nicht geschafft und so bleibt Hans Frank kurz vor seiner Hinrichtung nur der Abschied: „Wenn du diesen Brief erhältst, dann bin ich wahrscheinlich schon nicht mehr am Leben und in dem großen, riesigen Zug der Todesopfer dieses Krieges Adolf Hitlers eingereiht“ (S. 267). Zuletzt aber stirbt bekannterweise die Hoffnung, so dass sich Hans Frank nahezu sicher ist, dass ihm eines Tages die volle Gerechtigkeit zuteil und die Wahrheit siegen wird. Denn: „Ich sterbe – aber Gott lebt!“ (S. 274)
Glücklicherweise hat die Wahrheit gesiegt und sein jüngster Sohn Niklas Frank sorgt mit seinem neuesten Buch dafür, dass sie auch weiterhin Bestand hat. Auch wenn es dem, was der Vater sich erhofft, gar erwartet hat, diametral entgegensteht.
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- 26/01/2022 - 07:32