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„Es war ein Ort, an dem alles grau war…“

Von Lucas Frings

Mit den Deportationen der badischen Jüdinnen*Juden nach Gurs im Oktober 1940 und der Situation im Lager befasst sich das Lese- und Arbeitsheft „Es war ein Ort, an dem alles grau war…“ der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung. Die Texteinheiten und Arbeitsmaterialien ermöglichen Pädagog*innen die Ausgrenzung, Beraubung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Baden zu thematisieren und mehr über Opfer und beteiligte Täter zu erfahren. Das Material setzt sich aus elf ein-bis zweiseitigen Überblickstexten mit zugeordneten Lernmaterial-und aufträgen zusammen. Begleitet werden diese durch die Einführung in didaktische Zugänge, Kartenmaterial, eine Chronik und Informationen über Gedenkstätten. Die Lesetexte widmen sich der Situation der badischen Jüdinnen*Juden vor ihrer Deportation, den Deportationen selbst samt Reaktionen und Folgen in ihren Heimatorten, den Zuständen im Lager Gurs, den Tätern und dem Gedenken an die Deportation.

In nur zwei Tagen, dem 22. und 23. Oktober 1940 wurden über 6500 Jüdinnen*Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland nach Südfrankreich in das Internierungslager Gurs verschleppt. Dass die Deportation in der Zeit von Sukkot (dem jüdischen Laubhüttenfest) stattfand zeigt dabei eine zusätzliche Erniedrigung auf und hatte auch praktische Gründe, da die Nationalsozialisten davon ausgehen konnten, die meisten Jüdinnen*Juden zu Hause anzutreffen. Das Material der Landeszentrale für politische Bildung steigt mit der Situation der badischen Jüdinnen*Juden insbesondere ab 1938 ein. Trotz den zunehmenden antisemitischen Regelungen und Gerüchten über eine bevorstehende „Evakuierung“, waren die meisten von ihrer Verhaftung am Morgen des 22. Oktober 1940, in Zusammenarbeit von Gestapo, Ordnungspolizei, SS und SA, überrascht worden. Bereits am selben Tag fuhren die ersten Deportationszüge ab, das Ziel im noch nicht von Deutschland besetzen Teil Frankreichs, war den Deportierten unbekannt. Die Fahrt zum im deutschen Auftrag von der Vichy-Regierung betrieben Camp de Gurs dauerte zum Teil mehrere Tage, unterwegs kamen weitere Verhaftete dazu oder der Zug blieb mehrfach stehen.

Das Lager in Gurs bestand bereits seit dem Frühjahr 1939 als provisorisches Internierungslager der französischen Regierung, in dem politische Flüchtlinge und Spanienkämpfer, die als „unerwünschte Ausländer“ eingewiesen wurden. Das Vichy-Regime wandelte Gurs und andere Lager wie Rivesaltes und Le Vernet in dauerhafte Lager für politische Gegner ein. Die eintreffenden badischen Jüdinnen*Juden erlebten eine große Unterstützung durch die bis dahin ca. 3000 Häftlinge und erhielten Lebensmittel, Medikamente und Kleidung durch verschiedene Hilfsorganisationen, die versuchten die schlechten Bedingungen zu verbessern. Über deren Tätigkeiten, das religiöse und kulturelle Leben sowie den Protest der französischen Kirchen gegen die Deportationen in Vernichtungslager ab 1942 informieren mehrere der kurzen Texte im Heft. Die vorletzte Leseeinheit, die sich mit den Verantwortlichen der Deportationen 1940 befasst, sticht durch ihre Transparenz über Unklarheiten bezüglich der Entscheider heraus. Ob die örtlichen Gauleiter, das Reichssicherheitshauptamt oder Hitler direkt die treibende Kraft hinter den Festnahmen waren, lässt sich nicht abschließend klären, an der Organisation und Durchführung waren jedoch gesichert mehreren Stellen beteiligt.

Im ersten Teil der Publikation werden drei didaktische Zugänge vorgestellt, die bereits bei der Textanalyse helfen können. Besonders die Quellen-bzw. Ideologiekritik anhand der abgedruckten Fotos und Zitate in den Texten und Arbeitsmaterialien, scheinen besonders geeignet, um die Einarbeitung in das Thema zu begleiten. Die den einzelnen Texten zugeordneten Aufgaben bestehen überwiegend aus der Auseinandersetzung mit Karten- und Bildmaterial, Briefen und Berichten von Opfern, Schreiben von Behörden und Biografien. Neben Aufgaben, die das Textverständnis, unter anderem zu den Deportationsabläufe und den Tätern prüfen, sind die Lernenden aufgefordert, die Quellen tiefgehend zu analysieren, einzuordnen und zu bewerten: Wie angemessen sind Begriffe wie „Verwahrung“ und „Verwaltung“ hinsichtlich der eingezogenen Werte von Jüdinnen*Juden vor und nach ihrer Deportation? Trifft die weithin verbreitete Aussage „Fotos sind ein Abbild der Wirklichkeit“ im Kontext der Deportationsfotografien zu? Wie lässt sich die Bezeichnung des Camp de Gurs als „Wartesaal für Auschwitz“ verstehen? Hinzu kommen Rechercheaufträge, etwa zum Thema Rettungswiderstand oder in Gedenkbüchern.

Die Geschichte des Gedenkens an die Deportation ist Thema der letzten Einheit. Während in Gurs bereits 1945 ein erstes Denkmal entstand, begann die Erinnerung in Baden erst Ende der 1950er. Die Lernenden können anhand verschiedener Gedenksteine Formen der Erinnerung diskutieren und sollen sich eigene Gedanken für ein aktuelles Gedanken machen.

„Es war ein Ort, an dem alles grau war…“ vereint auf knapp 60 Seiten übersichtliche und leicht verständliche Informationen über die Situation der Jüdinnen*Juden in Baden und nach ihrer Deportation nach Gurs. Bezüge zu vielen lokalen Beispielen und Biographien von Verfolgten ermöglichen Lernenden vielfältige Zugänge zum Thema. Eine besondere Stärke der Publikation stellt die Anleitung zur Quellenkritik mit vielfältigen Aufträgen dar, die eine kleinteilige und eigenständige Beschäftigung sowie Raum für produktive Diskussionen und Positionierung ermöglicht. Pädagog*innen erhalten mit diesem Heft eine wertvolle Unterstützung für ihre Arbeit.

Das Lese- und Arbeitsheft kann über die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg kostenlos bestellt oder online heruntergeladen werden. 

 

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