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Störung Ost

Von Lucas Frings

Die ersten Worte des Filmes „Störung Ost – Punks in Ostberlin 1981-1983“ gehören Erich Mielke, der 1988 die Linientreue und das Klassenbewusstsein des größten Teils der Jugend lobt. Später im Film wird seine Rede fortgesetzt, Mielke spricht von den „ideologische[n] Einwirkungen des Gegners“, in deren Folge „nach westliche[n] Verhaltensmustern auftretende Kräfte wie Punks, Skinheads, Heavy Metals und deren Sympathisanten“„dekadentes“ Verhalten zeigen würden. Von ihnen gingen „nicht zu unterschätzende Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit“ aus.
Mag man sich darüber amüsieren, wie Mielke über die englischen Begriffe stolpert, aber seine Worte und Dokumente der Staatssicherheit lassen keinen Zweifel daran, wie ernsthaft der Staat Gruppen mit abweichendem Verhalten verfolgte.

Die 77-minütige ZDF-Dokumentation von 1996 zeigt das Alltagsleben und die Zusammenkünfte von Punks, deren gesellschaftlicher Position und die Repression und Gewalt, die sie erfuhren.
Ausgangspunkt des Films ist eine Fahrt durch Berlin, vorbei an Palast der Republik und Oberbaumbrücke. Rund 40 Menschen kommen im September 1995 auf einem Ausflugsschiff zusammen, zu einer Reise in die Vergangenheit. Die Fotos und Filmausschnitte aus den 1980ern, Punksongs und Anekdoten, die auf dem Schiff und in den Interviews erzählt werden, lassen eine gewisse Nostalgie aufkommen. An viele Momente erinnern sich Protagonist*innen des Filmes gerne und mit einem Schmunzeln. Dazu gehören eine Zugfahrt in ein Dorf, in dem die Punks feststellen mussten, dass die für einen Hof angekündigte Party nicht stattfand und sie von der Polizei in einem Viehwaggon zurück nach Berlin geschickt worden. Die Fahrt selbst sei allerdings Erlebnis genug gewesen. An anderer Stelle erinnert sich der Schauspieler Bernd Michael Lade an seine Versuche, sich einen Iro zu frisieren, andere berichten von Konzerten.

Punk zu sein

Wenngleich zum „Punk sein“ auch ein gewisser Lebens- und Kleidungsstil gehörte, war die Musik ein wichtiges verbindendes Element. Songs von DDR-Punkbands wie „Ich bin schon 16 Jahre im Exil“ vom jugendlichen Duo „Rosa Beton“ und „Frank liegt krank im Schrank“ von „Morgenrot“ begleiten die Zuschauer*innen durch den Film. Punk-Schallplatten wurden über die Großmütter aus Westberlin geschmuggelt, DJs überredet, diese in Jugendclubs zu spielen und Kopien und Konzertmitschnitte machten die Runde. Vereinzelt wurden westeuropäische Medien auf die DDR-Punks und ihre Musik aufmerksam, so spielte John Peel vom BBC ab und zu Ost-Punk in seiner Radiosendung, ohne selbst die genauen Texte zu verstehen. Von dieser Anerkennung hätten sie sich allerdings korrumpieren lassen, so Lade. Das Bild des Westens sei idealisiert gewesen und traf nach 1989 auf eine enttäuschende Realität.

Von einer etablierten Punk-Szene zu sprechen, mag zu viel sein, aber die, die interviewt werden und sich zur Bootsfahrt treffen, waren über Kleidung, Musik und Lebenseinstellung miteinander verbunden und konnten sich dadurch auf der Straße erkennen und fanden einander am gesellschaftlichen Rand, den sie sich suchten und an den sie gedrängt wurden. „Weil wir die einzigen Farbkleckse im Ostgrau waren, zogen wir uns magisch gegenseitig an, wurden eine Familie und hatten Spaß, bis es Erich Mielke und seiner Staatssicherheit zu bunt wurde“, erinnern sich die Filmemacherinnen.

Repression und Freiräume

Das gesellschaftliche und mediale Bild von Punks war weitestgehend negativ. Um dem Vorwurf, dass Punks Nazis seien, entgegenzutreten plante eine Gruppe, in der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen einen Kranz („Nie wieder Faschismus – Punk aus Berlin“) niederzulegen. Der Plan wurde bewusst in die Öffentlichkeit getragen und die Gruppe dann von Sicherheitskräften am Besuch der Gedenkstätte gehindert.
Den Kranz legten sie dann am Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus, der heutigen Neuen Wache, nieder, woraufhin die Teilnehmenden festgenommen wurden.

Die Provokation von Polizei und Staatssicherheit war ein weiteres Vergnügen der Punks, wobei sie deren Beobachtung unterschätzte. Sie wurden zunehmend ins Visier genommen und die Situation spitzte sich zu. Mehrere Interviewpartner*innen berichten vom Gewahrsam im Polizeipräsidium in der Keibelstraße, wo sie als Minderjährige verhört und gedemütigt wurden. Einige erhielten Haftstrafen, etwa aufgrund von Texten ihrer Bands, nach §220 DDR-StGB (Öffentliche Herabwürdigung). Dabei seien, so ein Zeitzeuge, die Verfahren nicht rechtsstaatlich abgelaufen, sondern die Strafen noch vor der Gerichtsverhandlung festgelegt worden.

Katzorke und Schneider binden auch die eigenen Biographien ein, sie sind keine Interviewerinnen auf Distanz, denn sie waren selbst Teil des Punk-Lebens in der DDR. In den Interviews wird die Beziehung zu den Eltern aufgegriffen, deren angepasstes Leben – teilweise mit Arbeitsplätzen im Staatsapparat – steht im Widerspruch zum Leben ihrer Kinder. Die Interviewten berichten von Gewalt ihnen gegenüber und davon, dass ihre Eltern sie in der Öffentlichkeit ignoriert hätten. Ihre eigenen Elternhäuser sehen die Autorinnen des Filmes im Kontrast zu den familiären Hintergründen der anderen. Sie versuchten ihren Freund*innen gegenüber zu verbergen, dass sie Pfarrerstöchter sind und dennoch ergab sich im kirchlichen Umfeld einer der wenigen Freiräume die Punks blieben, nachdem ihnen der Zugang zu öffentlichen Orten – u.a. „Alexanderplatzverbot“, „Plänterwaldverbot“ und „Berlinverbot“ – und Jugendclubs verwehrt wurde. Einzelne Diakon*innen wurden zu ihren Fürsprecher*innen und öffneten die kirchlichen Räume für Zusammenkünfte und Konzerte.
„Aber dass wir, Mecki und Shnaidy, zurück ins kirchliche Hoheitsgebiet mussten, war eine Schlappe. Mit dem Punk-Werden hatten wir uns doch losgesagt von den Sicherheiten der christlichen Opposition (...).“

„Störung Ost“ dreht sich ebenso um die Frage, was es ausmacht(e) ein*e Punk*erin zu sein und wie sich das Selbstverständnis der Interviewpartner*innen in den über zehn Jahren und vor allem nach 1989 verändert hat. „Bist du ein Punk?“ fragen die Filmemacherinnen ihre ehemaligen Weggefährt*innen.
Die Antworten fallen unterschiedlich aus. Mehrere Interviewte zögern kurz und selbst wenn sie sich nicht mehr eindeutig als Punk verstehen, bleiben Musik, bestimmte Kleidung und eine Lebenseinstellung, zu der Widerstand gegen Obrigkeiten oder Kreativität gehören, noch immer Bestandteile ihres Lebens.

Fazit

In „Störung Ost“ kommen die Zuschauer*innen mehreren Punks aus der DDR sehr nahe. Kurzweilige Erinnerungen, zeitgenössische Filmausschnitte und Musik ermöglichen eine Vorstellung vom Leben als gesellschaftlich außenstehende*r Punk*erin. Die Reflektionen der eigenen Rolle in Punk-Gruppen und den Veränderungen in den Jahren darauf geben intime Einblicke, die unbeteiligte Interviewer*innen so möglicherweise nicht gelungen wären.
Dass zitierte Dokumente teilweise nicht eingeordnet wird, lässt sich daher verschmerzen und ist mittlerweile online recherchierbar.

„Störung Ost – Punks in Ostberlin 1981-1983“ ist ausschließlich auf Youtube verfügbar.

 

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