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Das DDR-Frauengefängnis in der Grünauer Straße

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Sandra Czech, geb. 1977, Historikerin, Studium der Neueren Geschichte an der TU-Berlin, Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaftan der FU-Berlin; u.a. Grundlagenforschung zum DDR-Frauengefängnis Grünauer Straße für die Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen; freie Mitarbeit bei der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V.

Von Sandra Czech

Das DDR-Frauengefängnis in der Grünauer Straße war mitten im großflächigen Industrie- und Gewerbegebiet Berlin-Köpenick angesiedelt. Während Ortsfremde an dieser Stelle wohl nur einen weiteren Industriekomplex vermuteten, war Ortskundigen das an der Dahme gelegene Frauengefängnis sehr wohl bekannt.

Folgender Beitrag soll Aufschluss darüber geben, inwieweit das Frauengefängnis in der Grünauer Straße als Sonderarbeitskräfte-Gefängnis für den VEB Kombinat Rewatex errichtet wurde.

Planung

Das Gefängnis in Köpenick wurde als Ersatz für das Frauengefängnis in der Barnimstraße in der Nähe vom Alexanderplatz geplant und errichtet und ging ab September 1973 in Betrieb.

Die Planung des Gefängnisses ab März 1970 stand im Zusammenhang mit der Erweiterung des VEB Rewatex, dem Bau der Großwäscherei in Köpenick. In der Städtebaulichen Bestätigung vom Juni 1970 wurde als Antragsteller und Investitionsträger der VEB Rewatex angegeben. Da der VEB Rewatex aber keine Erfahrung mit dem Bau einer Strafvollzugsanstalt hatte, wurde darauf verwiesen, dass die baulichen Bedingungen des Strafvollzugs einzuhalten wären. Gemeint war hier die Errichtung einer 5,00 m hohen Mauer mit Wachtürmen. In der baulichen Zustimmung vom Mai 1971 musste die Mauer aber nur noch 3,60 m hoch sein. Dabei wurde als wichtig erachtet, dass die Gebäude von der Straße möglichst nicht einsehbar wären. Es wurden also Ausnahmeregelungen zugelassen, um den Gefängniskomplex im Köpenicker Gewerbegebiet eingliedern zu können.

Ab 1978 setzte sich der Direktor des VEB Rewatex Ottokar Strahl für die Erweiterung des Frauengefängnisses ein und begründete seine Forderung mit dem gestiegenen Bedarf an Sonderarbeitskräften. Da allerdings im Fünf-Jahres-Plan keine derartigen Bauten vorgesehen waren, verzögerte sich der Bau des Unterkunftsgebäudes II.

Gefängnisausstattung

Das Unterkunftsgebäude I verfügte über vier und das Unterkunftsgebäude II über sieben Etagen mit Gemeinschaftszellen. Es gab wenige Zellen für vier und viele für jeweils acht Insassinnen. Die Zellen waren ausgestattet mit Doppelstockbetten, einem Tisch für alle, einem Hocker und einem kleinen Spind für jede Strafgefangene. Die sanitären Anlagen bestanden aus mehreren Handwaschbecken und einer Toilette und waren von der übrigen Zelle abgetrennt. Weiterhin gab es eine Wache, Büroräume für die Angehörigen des Strafvollzugs, einen medizinischen Bereich und eine Mehrzweckhalle, die größtenteils als Speiseraum diente und großflächig mit folgendem Spruch an der Wand ausgestaltet war: „Was du nicht kannst, musst du lernen, wenn es dir schwerfällt, werden wir dir helfen, wenn du nicht willst, zwingen wir dich.“

Auslastung der Kapazitäten

Das Frauengefängnis war wie das Gefängnis in der Barnimstraße für eine Belegung mit 360 Insassinnen vorgesehen. Bis Ende November 1973 stieg die Belegung aber schon auf 412 Strafgefangene an. Die Verwaltung Strafvollzug gab als maximale Verwahrkapazität sogar 500-624 Insassinnen an. 1980 wurde diese wieder reduziert, da eine befristete Ausnahmegenehmigung des Ministeriums des Innern (MdI) für eine Überbelegung auslief. Diese Überbelegung wurde „insbesondere aus volkswirtschaftlichen bedingten Gründen“[1] erlaubt. Eine Überbelegung von 120-135 Prozent war aber bis zur Fertigstellung des zweiten Verwahrgebäudes im April 1984 üblich. Wie konnte aber die Kapazitätserhöhung ohne Neubau praktisch umgesetzt werden? Nun gab es nicht mehr vier, sondern fünf oder sechs Doppelstockbetten in einer Zelle, so dass die Belegung von acht auf zwölf Personen stieg. Durch die Aufstellung von Dreistockbetten stieg die Belegung sogar auf 18 Frauen pro Zelle an und die Versorgung des Arbeitseinsatzbetrieb (AEB) VEB Rewatex mit Sonderarbeitskräften war gesichert. Die Anzahl der Inhaftierten schwankte bis zum Frühjahr 1990 zwischen 540 und 610.

Insassinnen

Obwohl die Strafvollzugsabteilung II als erleichterter Vollzug mit einem Strafmaß von maximal fünf Jahren eingestuft wurde, waren trotzdem auch weibliche Strafgefangene des allgemeinen oder strengen Vollzugs dort inhaftiert.

Ab 1982 waren über 70 Prozent der Insassinnen in der Grünauer Straße gemäß § 249 DDR-StGB „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten“ verurteilt worden. Dieser Paragraf wurde aus heutiger Sicht mehrfach verwendet, um Menschen zu kriminalisieren und in „gesellschaftlich-nützliche Arbeitsverhältnisse“ zu bringen, obwohl einige von ihnen nur Anderssein wollten.

In der Grünauer Straße waren auch einige wenige politische Gefangene inhaftiert. Zu Beginn waren es meistens gemäß § 213 DDR-StGB „Ungesetzlicher Grenzübertritt“ Verurteilte. Für 1988 sind 16 Strafgefangene gemäß § 213 und 12 Strafgefangene gemäß § 214 DDR-StGB „Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit“ verurteilt worden.

Die inhaftierten Frauen in der Grünauer Straße waren sehr jung. Eine Hälfte war zwischen 18 und 25 Jahren und die andere Hälfte zwischen 25 und 40 Jahren jung. Für die körperlich anstrengende Arbeit im AEB VEB Rewatex war das sicherlich von Vorteil.

Haftalltag

Der Haftalltag der Insassinnen war sehr eintönig und wechselte zwischen Arbeiten, Essen, Schlafen, Freigang und gelegentlichen Besuchen. Eine zusätzliche Belastung für die Mütter war, dass sie ihre Kinder während der Haftzeit nicht sahen, da Kinder im DDR-Strafvollzug nicht gestattet waren.

Trotzdem versuchten sich die weiblichen Gefangenen den Haftalltag zu „versüßen“. Während einer Durchsuchung des AEB‘s wurde ein geheimes Lager zur Alkoholherstellung und Aufbewahrung gefunden. Zwei andere Strafgefangene hatten sich im Essensraum von Rewatex einen toten Briefkasten angelegt und hinterließen sich dort Nachrichten. Nach einem Hinweis durch eine andere Strafgefangene wurde dann ein Kassiber (Zettel) in Form einer selbstgebastelten Katze gefunden. Dieser Fall zeigt zum einen wie Strafgefangene sich anfreundeten oder sogar ein Paar wurden und zum anderen, dass es unter den Frauen aber auch viel Missgunst und Schikane gab. So kam es auch immer wieder zu Schlägereien. Die betroffenen oder für schuldig befundenen Strafgefangenen wurden dann entweder mit Freizeitarrest, Absonderung oder Arrest bestraft.

Arrest

Im Keller des Frauengefängnisses gab es mehrere Arrestzellen, die die Frauen als Bunker bezeichneten. Die Strafgefangenen konnten wegen Nichtigkeiten wie nicht ordnungsgemäßes Tragen der Anstaltskleidung, Widerworten gegenüber den Angehörigen des Strafvollzugs in die Arrestzellen eingesperrt werden. Die Grünauer Straße wurde in den Akten auch als Schwerpunkt für Arbeitsverweigerungen angeführt, die grundsätzlich mit Arrest bestraft wurden.

Arbeitseinsatzbetrieb: VEB Kombinat Rewatex

1973 äußerte sich Direktor Ottokar Strahl zur neuen Großwäscherei in Köpenick folgendermaßen: „Jetzt steht die Wäscherei mit einer solchen Dimension, die wir noch nicht überschauen können. 190 Maschinen werden dort in Betrieb genommen […] in einer Größenordnung, mit der wir noch nicht gearbeitet haben. […] Die Grünauer Straße ist nicht schlechthin ein Betriebsteil, sondern ist zum Herzstück für Rewatex geworden.“[2]

Arbeitszeiten

Die weiblichen Strafgefangenen mussten im Dreischichtsystem 30 Prozent des Gesamtvolumens von Rewatex, größtenteils Hotel- und Privatwäsche waschen.

Auf Grund eines erhöhten Wäscheaufkommens wurde ab 1976 in der fliegenden Schicht rund um die Uhr mit Ausnahme von nur vier Sonntagen gearbeitet. Ab 1978 waren die Auftragsbücher so voll, dass Rewatex weitere 120 Sonderarbeitskräfte für die rollende Schicht (auch Sonn- und Feiertage) bei der Verwaltung Strafvollzug beantragte.

Lohnvereinbarungen

Wiederholt beanstandete die Verwaltung Strafvollzug die Verletzungen arbeitsrechtlicher Regelungen durch den AEB Rewatex. Der VEB Rewatex konnte seine Lohnkosten verringern, weil er nicht den Zuschlag für Schichtarbeit zahlte, die Einführung der Grundlöhne verzögerte und die Steuerklassen falsch zuordnete.

Zusätzlich wurde bei einer Prüfung von Seiten der Verwaltung Strafvollzug bemängelt, dass trotz des Arbeitseinsatzes der Strafgefangenen im durchgängigen Dreischichtsystem der gesetzliche Mindestlohn nur knapp oder gar nicht erreicht wurde.

Berufliche Aus- und Weiterbildung

Auch die Aus- und Weiterbildung im Bereich des AEB Rewatex blieb hinter den Wünschen der Verwaltung Strafvollzug weit zurück. Eine Qualifizierung der weiblichen Gefangenen zu Facharbeiterinnen und Teilfacharbeiterinnen wurde im gesamten Zeitraum nicht umgesetzt.

Fazit

Die Verwaltung Strafvollzug kritisierte immer wieder den AEB Rewatex und hielt – mit sehr passenden Worten – fest: „Es besteht der Eindruck, daß für den AEB lediglich die Sicherung der Produktion […], nicht aber die Komplexität der Verantwortung“[3] im Vordergrund steht.

Dass die Grünauer Straße als Arbeitsgefängnis für den VEB Rewatex errichtet worden ist, konnte anhand mehrerer Aspekte belegt werden. Bereits in der Planungsphase wird diese Annahme durch die Umgehung der baulichen Vorgaben des Strafvollzugs bestätigt. Die Ausnahmegenehmigung des MdI für eine Überbelegung aus betriebswirtschaftlichen Gründen ist ein weiterer Beweis dafür. Auch die Inhaftierung Strafgefangener aus dem strengen und allgemeinen Vollzug in ein Gefängnis des erleichterten Vollzugs spiegeln wider, dass die Versorgung des VEB Rewatex mit Arbeitskräften vorrangig und somit das eigentliche Anliegen des Strafvollzugs, die Resozialisierung weiblicher Strafgefangener, nachrangig behandelt wurde. Dabei trat der VEB Rewatex mit seinen Forderungen nach Sonderarbeitskräften gegenüber der Verwaltung Strafvollzug teilweise sehr vehement auf und begründete sie mit der 100 prozentigen Erfüllung der Produktionsaufgaben für den Staat und die Gesellschaft.

Ab Ende 1989 fehlten die weiblichen Gefangenen als Sonderarbeitskräfte und wurden mit Vertragsarbeiter*innen u.a. aus dem sozialistischen Vietnam ersetzt.

 


[1] Lageeinschätzung II. Quartal 1977 vom 28.7.1977, Bl. 5. Sowie Lageeinschätzung für das Jahr 1979 vom 21.1.1980, S. 9, BArch Berlin DO 1/3740 unpag.

[2] SED Bezirksleitung Berlin, Bezirksparteiarchiv, Bestand Grundorganisation VEB Rewatex, Betriebsparteiorganisation, Protokoll der Wahlberichtsversammlung am 10.12.73, S. 15, Landesarchiv Berlin (LAB) C Rep 904-029, Nr. 20.

[3] Komplexe Lageeinschätzung 1. Halbjahr 1984 vom 13.7.1984, Bl. 18. LAB C Rep 330 Nr. 2. 

 

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