Von Lucas Frings

Die 2019 von berlinHistory e.V. und dem Berliner Stadtmuseum realisierte App „berlinHistory" will „historische Spuren sichtbar und erlebbar [...] machen und zugleich nachhaltig [...] bewahren“. Unter Mitarbeit vieler Berliner Institutionen wie der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur oder dem Deutsch-Russischen Museum Karlshorst haben die Macher*innen Informationen, Filme und Fotos zusammengetragen, die einen spannenden Einblick in die Berliner Geschichte ermöglichen.

An dieser Stelle soll – entsprechend dem Heftthema – vor allem auf das Projekt „Berlin 1945“ innerhalb von „berlinHistory“ eingegangen werden. Darüber hinaus versammelt die App vor allem Informationen zu Berliner Ereignissen des 19. und 20. Jahrhunderts, wie zur Gewerbeausstellung 1896 und verschiedenen Aspekten von DDR-Geschichte.

Die große Stärke der App liegt in der Verortung von Informationen auf einem Stadtplan als „deep map“. Dieses zentrale Element der App besteht aus verschiedenen historischen Schichten, so dass sich Nutzer*innen etwa am „Straube Plan“ von 1910 oder an einem Luftbild von 1953 orientieren können. Hinter den Markern auf der Karte – in der App „Points of Interest“ genannt – verbergen sich Informationstexte, Audio-Rundgänge, Zeitleisten, Videos und Bilder. Eine Besonderheit, die in „Berlin 1945“ zum Tragen kommt, sind die Vorher-Nachher-Bilder, bei der ein historischer Blick auf einen Teil von Berlin – eine Straße, ein Gebäude, ein Panorama – mit dem heutigen Blick verglichen werden kann.

Die Marker auf der Karte werden in Episoden bis 1933, 1933-1945, 1945-1990 und 1990 bis heute unterteilt. Dazu kommen Verortungen von zukünftigen Plänen wie der Rekonstruktion des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz oder episodenübergreifenden Markierungen an denen die Entwicklung bestimmter Orte, wie zum Beispiel dem Alexanderplatz, über die Jahrhunderte nachgezeichnet wird.

Die bereits erwähnten Vorher-Nachher-Bilder machen den Reiz des Projektes „Berlin 1945“ , das die zerstörte Stadt um 1945 anhand zeitgenössischer Bilder zeigt, aus. Ein großer Teil der historischen Fotografien stammt von Cecil Newman, Timofej Melnik und Iwan Schagin, die mit der britischen bzw. sowjetischen Armee nach Berlin kamen sowie von Walter Franck, der für das Archiv der Berliner Verkehrsbetriebe schon 1943 begann Bilder von Zerstörungen aufzunehmen. Die Biografie von Newman wird in der App vorgestellt, ähnliche Informationen zu den anderen Fotografen wären wünschenswert.

Möchte ein*e Nutzer*in der App ein Foto eines Ortes aufnehmen, erscheint das historische Vergleichsbild transparent unterlegt, so dass die exakt gleiche Perspektive eingenommen werden kann. Diese Funktion ist technisch hervorragend gelöst, sogar der Transparenzgrad lässt sich variieren. So ist es auch vielen Nutzer*innen gut gelungen Vergleichsbilder zu erstellen und die zerstörte Stadt 1945 lässt sich passgenau mit dem erfolgten Wiederaufbau vergleichen. Die App wird hier zu einer partizipativen (Wissens-)Plattform, wobei die Inhalte von Nutzer*innen erst redaktionell geprüft werden. Eine Reihe von historischen Bildern wartet allerdings noch auf die Gegenüberstellung eines heutigen Blicks, denn leider lassen sich nicht alle Fotos aus den 1940er-Jahren genau verorten. Die entstehenden Vorher-Nachher-Bilder lassen sich sowohl über die Stadtkarte anwählen als auch über die Bezirks-Übersicht. Die Qualität der aktuellen Bilder können nach dem 5-Sterne-Prinzip bewertet werden. Haben mehrere Nutzer*innen ein Foto hochgeladen, wird das bestbewertete im direkten Vergleich vorrangig angezeigt.

Die Macher*innen der App sind weiterhin aktiv, sie bieten auch klassische Führungen an und organisieren Veranstaltungen, bei denen Besucher*innen Fotografien mitbringen können, um diese in die App einzupflegen.

Die partizipative Funktion der App hat dem Projekt auch eine Nominierung für den Kindersoftwarepreis 2020 eingebracht. Dort  wird allerdings kritisch angemerkt, dass die App Verbindungen zu Google- und Microsoft-Analysediensten aufbaut und so Informationen über das genutzte Gerät und die Form der Nutzung (keine personenbezogenen Daten) überträgt. Auch andere Apps, wie Facebook oder Instagram können – falls die Nutzer*innen dort auf ihrem Endgerät eingeloggt sind – feststellen, welche Unterseiten besucht werden. Darauf weist die App lediglich in der langen Datenschutzerklärung hin.

Erweitert wird das Projekt „Berlin 1945“ um drei Filme mit historischen Bildern aus den ersten Nachkriegsjahren und einem Karten-Slider. „Berlin unter den Allierten“ von 1989 oder der kurze zeitgenössische englischsprachige Clip „Berlin in Ruins – 1945“ geben einen lebendigen Eindruck des zerstörten Berlin und in die Aktivitäten der Bewohner*innen. Leider werden sie nicht quellenkritisch eingeordnet. Im Karten-Slider können die Nutzer*innen ein Luftbild von 1953 und die heutige Vogelperspektive auf die Stadt im fließenden Übergang vergleichen oder die Stadtpläne von 1945 und heute nebeneinanderlegen.

„Berlin 1945“ ermöglicht den Nutzer*innen mit seiner umfangreichen Fotosammlung und der aktuellen Perspektive auf die jeweiligen Orte einen beeindruckenden Einblick in die Zerstörung und den Wiederaufbau der Stadt.

Die App ist übersichtlich aufgebaut, bietet ausreichend Nutzungsanleitungen und lässt sich gut bedienen. Allerdings wäre im Gesamtblick eine weitere Kontextualisierung der Bilder wünschenswert, bei der ihre Entstehungsgeschichte, Implikationen und Verwendung im Sinne der Visual History stärker thematisiert würden.

Entsprechend den Spracheinstellungen des genutzten Endgeräts ist die App sowohl auf Deutsch als auf Englisch verfügbar. Sie kann kostenlos im App Store oder bei Google Play heruntergeladen werden. 

 

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