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Jahrbuch für Politik und Geschichte 7. Schwerpunkt: Virtuelle Erinnerungskulturen

Claudia Fröhlich/Harald Schmid (Hg.): Jahrbuch für Politik und Geschichte 7 (2016 – 2019), Schwerpunkt: Virtuelle Erinnerungskulturen, Stuttgart 2020.    

Von Tanja Kleeh

Der 2020 erschienen, siebte Band des „Jahrbuchs für Politik und Geschichte“ legt, wie bereits im Titel ersichtlich, seinen Schwerpunkt auf virtuelle Erinnerungskulturen. Entsprechend dem Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe von Lernen aus der Geschichte werden thematisch anders gelagerte Beiträge des Jahrbuches nicht näher betrachtet.

Die Herausgeber*innen des Jahrbuchs, Claudia Fröhlich und Harald Schmid, legen im Editorial mit „Wie verändern, wie schaffen virtuelle Welten und Digitalisierung Kulturen des Erinnerns?“ die Leitfrage fest. Insbesondere die Folgen für den Umgang der Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus stünden im Zentrum entsprechender Überlegungen, beispielsweise hinsichtlich im Rahmen „des generationenbedingten Abschieds von Zeitzeugen“. Die politischen und soziologischen Rahmenbedingungen von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur geben den entsprechenden Diskussionsrahmen vor.

Wie Medien im Allgemeinen die Erinnerungskultur prägen, untersucht Habbo Knoch in seinem Beitrag „Grenzen der Immersion. Die Erinnerung an den Holocaust und das Zeitalter der Digitalität“. Mit Hinblick auf die digitalen Medien gelte es zu fragen, wie „die Erinnerung in das Digitale“ komme. Knoch stellt eine große Unsicherheit und Uneinigkeit fest, vor allem bezüglich der Sozialen Medien. Er verweist darauf, dass die Debatte verengt geführt wird und etwa „die jahrzehntelang Prägung von Sag- und Zeigbarkeitsregeln durch analoge Medien wie Fotografie, Film, Fernsehen und AV-Aufzeichnungsmedien ausgeblendet wird“. Die Frage, wie der Holocaust dargestellt wird und ob dies angemessen ist, stellt sich laut Knoch bereits mit der Ausstrahlung der Serie „Holocaust“ oder dem Comic „MAUS“. Die deutschen Institutionen des Erinnerns erhalten von Knoch kein gutes Zeugnis: Der Einsatz von Medien in Gedenkstätten sei an sich eine etablierte Praxis, jedoch stets verbunden mit Skepsis gegenüber innovativen Formaten. Digitale Technologien werden „vorwiegend ergänzend und konservativ“ verwendet.

Insbesondere die Frage nach dem Umgang mit (digitaler) Zeitzeug*innenschaft wird je nach Gedenkstätte unterschiedlich verhandelt. Mit den digitalen Zeugnissen setzen sich aus fachdidaktischer Sicht Michele Barricelli und Markus Gloe auseinander. Im Fokus der Autoren stehen die digitalen Projektionen von Zeitzeug*innen der USC Shoah Foundation, die neben der Erzählung ihrer Geschichte auch in der Lage sind, auf Fragen zu antworten. Durch die Interaktion entstehe mit jeder Anwendung ein neues digitales Zeugnis. Gloe und Barricelli erörtern in ihrem Beitrag die allgemeine Bedeutung von Zeitzeug*innen für die Bildungsarbeit, deren Einfluss auf diese und wie sich diese im Laufe der Jahre verändert hat. Zudem tragen sie unterschiedliche – positive und kritische – Stimmen zu dem „Hologramm“-Projekt zusammen. Die Autoren selbst merken unter anderem kritisch an, dass es bisher keine tools zur Selbst- und Weiterarbeit gibt und Sprachbarrieren bestehen. Insgesamt halten Gloe und Barricelli es jedoch für „verfehlt und unbegründet, digitale 3D-Zeugnisse aus der historisch-politischen Bildung herauszuhalten“. So ist ihr Beitrag denn auch mehr als ein Plädoyer für den Einsatz der digitalen Möglichkeiten zu lesen. Dass die Kritikpunkte entsprechend aufgeführt werden ist richtig und wichtig, können so doch potentielle Gefahren im Umgang mit digitaler Zeitzeug*innenschaft erkannt und Lösungen erarbeitet werden.

Den Grenzen des virtuellen Erinnerns, aber auch seinen Chancen, im Hinblick auf virtuelle historische Lernorte geht Katrin Biebighäuser nach. Sie versteht darunter „historische Orte, die im Virtuellen nachgestellt wurden und als historische Lernorte Eingang in geschichtsdidaktische Projekte finden“. Hierfür nutzt Biebighäuser das Beispiel der virtuellen Welt „Second Life“, konkret ein von ihr so organisiertes Projekt, welches einen Rundgang durch verschiedene Orte der DDR beinhaltete. Aufgrund der Erfahrungen empfiehlt sie die Möglichkeit zur Kommunikation mit Expert*innen sowie die Bereitstellung umfangreicher Informationen, da somit Fehlinterpretationen und Missinformationen vermieden werden könnten. Als bereits um entsprechende Informationen erweitertes Beispiel stellt Biebighäuser die App „Tod an der Berliner Mauer“ vor.

Dem eher spielerischen Zugang zu Geschichte ist auch der Beitrag von Nico Nolden (siehe auch die Besprechung von Noldens "Geschichte und Erinnerung in Computerspielen" in diesem Heft) gewidmet. „Levelaufstieg. Impulse für den geschichtswissenschaftlichen Umgang mit digitalen Spielen zwischen Geschichtsbildern und Erinnerungskultur“ beschäftigt sich mit zeithistorischen Computerspielen. Historische Inszenierungen, so Nolden, hätten in digitalen Spielen eine bemerkenswerte Konjunktur. Um die entsprechende Qualität zu verbessern, müsse sich die Geschichtswissenschaft entsprechend fachlich einbringen. Es fehlt zudem an Analysen, die verlässliche Aussagen darüber treffen, wie sich historische Spiele auf die Geschichtsrezeption der Spieler*innen auswirken. Nolden plädiert für eine interdisziplinäre Annäherung an den Gegenstand.

Auf theoretischer Ebene setzt sich Peter Hoeres mit „Geschichtsvermittlung und Geschichtspolitik in der Wikipedia“ auseinander. Die digitale Erzählweise bricht mit der traditionellen Erzählung, etwa durch den Bruch der Linearität mittels Modul- und Hyperlinkstruktur, „jeder Link führt zu einer neuen Erzählung“. Zudem sieht Hoeres die Machtfrage: Wer erzählt was, wer darf was erzählen, wer entscheidet darüber bzw. über Inhalte? Zur Beantwortung arbeitet der Autor sich tief in die Funktionsstruktur der Wikipedia ein und erläutert diese ausführlich. Es ist an manchen Stellen nicht immer leicht zu folgen, ohne über entsprechende (Sach-) Kenntnisse zu verfügen bzw. die Wikipedia-Seite geöffnet zu haben.

Fazit

Das Jahrbuch bietet einen vielseitigen Blick auf den Aspekt des Digitalen im Bereich der Erinnerungskultur. Akteur*innen der historisch-politischen Bildung können ebenso Anreize finden wie Lehrer*innen, die Einblicke in die Lebenswelten ihrer Schüler*innen gewinnen möchten.

 

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