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Projektbericht Gedenkstätte Breitenau: Digitale Kommunikation und Vermittlung

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Dr. des. Ann Katrin Düben leitet seit August 2019 die Gedenkstätte Breitenau. Die Gedenkstätte wurde im Jahr 1984 eröffnet und bis 2019 von Dr. Gunnar Richter geleitet.

Von Ann Katrin Düben

An der Gedenkstätte Breitenau wird aktuell in einem Modellprojekt der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung (HLZ) ein Konzept zur Digitalisierung der Gedenkstätte Breitenau und ihrer pädagogischen Angebote umgesetzt. Der Fokus liegt auf dem Handlungsfeld Vermittlung und Kommunikation. Welche Herausforderungen und Chancen digitale Zugänge in diesen Bereichen bieten und welche Teilprojekte an der Gedenkstätte Breitenau künftig realisiert werden, erläutert der vorliegende Beitrag. 

Bei der 1979 ins Leben gerufenen Gedenkstätteninitiative Breitenau handelte es sich um ein vorwiegend akademisches Projekt: Breitenau ging weder aus einer von Lai*innen getragenen Geschichtswerkstatt noch aus einer Initiative ehemaliger Gefangener hervor, sondern war an der Gesamthochschule Kassel angesiedelt. Hier wurde seit den 1980er Jahren die Geschichte Breitenaus erforscht. Aus der eigenen Erfahrung des projektbasierten Lernens entwickelten die Gedenkstättenbegründer*innen das pädagogische Konzept von Breitenau, das sich am forschenden Lernen orientierte und einen lokal- und regionalhistorischen sowie biographischen Zugang wählte. Zentrale Inhalte der Gedenkstättenarbeit waren die Geschichte Breitenaus in der NS-Zeit, die Erinnerung an die Gefangenen und die „Auseinandersetzung mit Gegenwartsfragen“ (Elsas/Naundorf/Richter 1994: 6). Neben Führungen wurde die Beschäftigung mit sachthematischen Sammlungen zu Verfolgten und Verantwortlichen sowie Regionen zu einem zentralen Element des Bildungsangebotes, das sich insbesondere an Schüler*innen richtet. 

Das gedenkstättenpädagogische Konzept von Breitenau und seine Umsetzung hatte zur Zeit seiner Entwicklung Pioniercharakter. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, die Gedenkstätte für die Gegenwart und Zukunft anschlussfähig zu machen. Neben der zunehmenden zeitlichen Distanz zum Nationalsozialismus und dem Verlust der Zeitzeug*innen hat die Digitalisierung zu einem erinnerungskulturellen Wandel beigetragen. Wie jüngst die MEMO-Studie der Universität Bielefeld gezeigt hat, nehmen durch die sich wandelnden Seh- und Nutzungsgewohnheiten digitale Zugänge in der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit eine immer wichtigere Rolle ein (MEMO-Studie 2019). Neue und soziale Medien bieten die Chance, Inhalte niedrigschwellig, interaktiv und visuell ansprechend zu kommunizieren. Trotz des zunehmenden zeitlichen Abstands rückt die Geschichte damit näher und wird durch multimediale und partizipative Angebote zum Sprechen gebracht. Zugleich können Gegenwartsfragen zeitgemäß vermittelt und verhandelt werden. 

Das Ziel des Projektes ist es daher, eine Lernumgebung zu schaffen, in die neue und soziale Medien einfließen. Im Bereich der Kommunikation sind folgende Maßnahmen geplant: die Entwicklung einer Corporate Identity, der Relaunch der Website und die Entwicklung eines Social Media Konzepts. Weitere Teilprojekte zur Ergänzung und Erweiterung des Gedenkstättenangebots umfassen die digitale Spurensuche mittels einer interaktiven Karte und QR-Codes, Medienstationen und digitale Vor- und Nachbereitungsmaterialen für Lehrkräfte und Multiplikator*innen. 

Die Entwicklung eines Corporate Designs ist als partizipativer und dynamischer Prozess konzipiert: Im Rahmen eines Workshops, an dem verschiedene Akteur*innen der Gedenkstätte – von Honorarkräften und hauptamtlichen Mitarbeiter*innen über Beiratsmitglieder hin zu langjährigen Vereinsmitgliedern – teilnehmen, werden Werte und Ziele der Gedenkstättenarbeit reflektiert: Was bedeutet für uns Breitenau heute, welche Aspekte sind uns wichtig, was ist das Ziel unserer Arbeit und wo wollen wir hin? Die Reflexion dieser Fragen fließt in die Corporate Identity ein und wird im Corporate Design visualisiert, wobei Kommunikation und Vermittlung immer zusammengedacht werden. 

Beim Relaunch der Website geht es uns vor allem darum, sie als Plattform zu nutzen, die das Geschichtswissen interaktiv und ortsunabhängig zugänglich macht. Alle Informationen werden visuell ansprechend und sprachlich prägnant vermittelt, Details zur vertiefenden Beschäftigung sind über verlinkte Dateien zugänglich, um die Seite nicht zu überfrachten. Als Vertiefungsangebot steht eine Datenbank mit ausgewählten Biographien von Gefangenen zur Verfügung, die multimedial aufbereitet sind. Hier ist das Ziel, über die bislang im Fokus stehenden prominenten Verfolgten hinaus auch Menschen sichtbar zu machen, die damals wie heute marginalisiert sind. Einzubetten in die Website gilt es auch die Spurensuche-Projekte: Einerseits Informationen zu Orten auf dem Gedenkstättengelände, die mittels QR-Codes abzurufen sind, andererseits eine interaktive Karte zu den Orten der Organisation der Verfolgung und NS-Zwangsarbeit in Kassel und Umgebung. 

Die Spurensuche mittels QR-Codes ist eine technisch besonders einfache und kostengünstige Lösung, die es erlaubt, historische Orte erlebbar zu machen – durch eingesprochene Erinnerungsberichte, eingeblendete historische Bilder und Lagepläne. So kann der Ort individuell und nach eigenem Tempo und eigenen Interessensschwerpunkten erkundet werden. Die interaktive digitale Karte wiederum visualisiert kartografisch und damit anschaulich und niedrigschwellig Verbrechens-, Zwangsarbeits- und Erinnerungsorte in Kassel. Damit wird die räumliche Dimension der Verbrechenskomplexe eingefangen und sichtbar gemacht sowie der (lokale) Zusammenhang zwischen Zwangsarbeit und Arbeitserziehungslager verdeutlicht. 

Sowohl die interaktive Karte als auch ein Angebot zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der Geschichte Breitenaus werden auf Medienstationen eingebettet und vor Ort zugänglich gemacht. Zielgruppen der beiden Medienstationen sind zum einen Einzelbesuchende, die neben der künstlerisch-assoziativen Dauerausstellung vertiefende und zugleich leicht zugängliche Informationen suchen. Zum anderen werden die Medienstationen dupliziert und als Recherchetools in der Arbeit mit Gruppen zum Einsatz kommen, aber auch als Präsentationsmedium: Im größten Seminarraum wird ein festes Display installiert. Zentral bei der Konzeption der Medienstation zur historischen Vertiefung ist, dass sie unterschiedliche Vorkenntnisse und Interessenlagen im Sinne der Barrierefreiheit berücksichtigt. Die Oberflächen sind mehrsprachig zu gestalten, sodass sie perspektivisch nicht nur um weitere Fremdsprachen, sondern auch Leichte Sprache und Sprachausgaben für Menschen mit Sehbehinderung erweitert werden können. 

Im Sinne der Niedrigschwelligkeit wird die Geschichte von Breitenau unter vier Themen vertieft: Der Inhalt „Breitenau 1874 bis heute“ wird beispielsweise in einem Zeitstrahl dargestellt, Bilder und Texte sind in Pop-ups zu öffnen. Die Rubrik „(W)Orte der Ausgrenzung“ ist ein spielerisches Tool, in dem Begriffe oszillieren und die Nutzer*in den Begriffsgeschichten nachgehen kann. Welche Narrative stecken hinter dem Begriff der Arbeitsbummelei? Welche Funktion und Bedeutung hatte Arbeit bzw. der Zwang zur Arbeit in Breitenau? Welche sozialen Deutungsmuster von Armut lassen sich am Straftatbestand der Bettelei nachvollziehen?  

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Projektes ist die Kommunikation der neuen Formate, Themen und Angebote an Lehrkräfte und Multiplikator*innen, die mit Abstand die größte Zielgruppe ausmachen. Historische Überblicksdarstellungen sowie Vor- und Nachbereitungsmaterialien werden in Zukunft sowohl auf der Website als auch in gedruckten Broschüren zur Verfügung gestellt. 

Vor dem Hintergrund des Erinnerungswandels und der sich wandelnden Rezeptionsgewohnheiten strebt die Gedenkstätte Breitenau mit den hier skizzierten Maßnahmen eine behutsame Modernisierung durch die Erweiterung ihrer Vermittlung um digitale Angebote sowie die digitale Zugänglichmachung von Informationen an. Sie reagiert damit auf die wachsende Bedeutung medialer und digitaler Zugänge in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit. Das Ziel des aktuell angestoßenen und sich über die nächsten Jahre erstreckenden Erneuerungsprozesses ist es, eine Lernumgebung zu schaffen, die zur Teilhabe an Bildung und Forschung einlädt und damit das Konzept der Gedenkstättenbegründer*innen ins 21. Jahrhundert trägt.

Literatur

Barbara Elsas; Arnd Naundorf; Gunnar Richter, Überlegungen zur pädagogischen Konzeption für die Arbeit mit Jugendlichen in der Gedenkstätte Breitenau – unter besonderer Berücksichtigung des Besuchs von Schülern und Schülerinnen, Guxhagen 1994.

Multidimensionaler Erinnerungsmonitor (MEMO), Studie der Universität Bielefeld, die auf Befragungen von 1.000 Personen im Alter von 17 bis 93 Jahren basiert, online: https://pub.uni-bielefeld.de/record/2934984 [30.06.2020]. 

 

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