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Content-Author: Ingolf Seidel

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Nadia Matin unterrichtet seit 2013 die Fächer Deutsch und Politikwissenschaften in Berlin und entwickelt seitdem außerschulische Bildungsmaterialien mit unterschiedlichen Kooperationspartner*innen in der öffentlichen Bildungsarbeit. Dr. Franziska Jahn ist als Historikerin und Lehrerin (Geschichte und Politikwissenschaften) in Berlin tätig. Zuletzt erschien von ihr: „Das KZ Riga-Kaiserwald und seine Außenlager 1943–1944. Strukturen und Entwicklungen“ (2018). Hannes Riemann ist Historiker für Zeitgeschichte, Politik- und Medienwissenschaftler und wohnt in Potsdam.

Von Nadia Matin, Franziska Jahn und Hannes Riemann

Anfang November 1992 fand ein Angler den von schweren Misshandlungen gezeichneten Leichnam von Rolf Schulze am Ufer des Kolpinsees bei Kloster Lehnin im Bundesland Brandenburg. Rolf Schulze wurde von drei Neonazis an den See entführt und auf grausame Art und Weise zu Tode gequält. Aus Sicht der Täter hatte der sozial Ausgegrenzte kein Recht zu leben. Sein Schicksal spielte 1992 in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Während das Gericht 1993 kein rechtsextremes Tatmotiv bei den Tätern erkannte, wurde Rolf Schulze 2009 von der Brandenburger Landesregierung als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt.

Der Verein Opferperspektive zählt zwischen 1990 und 2017 bundesweit mindestens 183 Todesopfer rechter Gewalt. Staatlich als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt sind jedoch weniger als die Hälfte der Opfer. Die Opferperspektive wurde 1998 als Reaktion auf die zur damaligen Zeit ausufernde rechte Gewalt in Brandenburg gegründet. Sie bietet Beratung und Unterstützung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt an. Zudem dokumentiert sie das tatsächliche Ausmaß dieser Gewaltformen und sensibilisiert im Zusammenhang mit extrem rechten Einstellungen und Verhalten in der Gesellschaft. 

Die Brandenburger Ausstellung 

Brandenburg ist eines der Bundesländer, in denen seit der Wiedervereinigung mit die meisten Todesopfer rechter Gewalt zu beklagen sind. Zu den 18 staatlich anerkannten Fällen in Brandenburg zählt die Opferperspektive weitere vier Fälle, in denen sozialdarwinistische, rassistische oder andere extrem rechte Einstellungen tatbegleitend oder tateskalierend eine Rolle gespielt haben. Die Opferperspektive erinnert seit Jahren auf ihrer Webseite „Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg“ an 22 rechte Tötungsdelikte und das damit verbundene individuelle Schicksal der 22 Menschen. Auf den Inhalten der Webseite baut die Ausstellung „Kein schöner Land – Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg“ auf. Sie ist seit 2018 kostenlos über die Opferperspektive brandenburg- und berlinweit ausleihbar. 

Das Layout der Tafeln ist dem Anlass angemessen schlicht, der Umfang der Texte ist angeglichen: die Gleichwertigkeit der Betroffenen ist optisch ablesbar. Denn einige Schicksale, wie das von Amadeu Antonio oder Marinus Schöberl, bewegten die Öffentlichkeit, andere, wie das Schicksal von Rolf Schulze oder Ernst Fisk, wurden kaum zur Kenntnis genommen oder vergessen. 

Die Tafelköpfe sind als Collage gestaltet – die Autor*innen der Ausstellung haben jeden einzelnen Tatort oder Erinnerungsort fotografiert, insofern diese bekannt und auffindbar waren. Mit Blick auf den Titel der Ausstellung „Kein schöner Land“ verbindet sich diese Fotoserie mit einer bedrückenden Reise durch das gesamte Bundesland. 

Die einzelnen Ausstellungstafeln sind chronologisch nach dem Datum der rechten Gewalttat angelegt. Die kurzen Tafeltexte fokussieren auf die Opfer, die rechte Gewalttat und deren juristische Aufarbeitung. Ergänzend dazu sind auf allen Tafeln die Tatorte kartografiert und das Datum des Angriffes und des Todes vermerkt. Der bundesrepublikanischen Entwicklung folgend sind auch in Brandenburg die meisten Opfer in den ersten zehn Jahren nach der Wiedervereinigung zu beklagen. Darüber geben die Tafeln Hinweise zum jeweiligen rechten Tatmotiv. Die meisten Opfer rechter Gewalt in Brandenburg sind, wie zum Beispiel Rolf Schulze, aus einer sozialdarwinistischen Motivation heraus ermordet worden. Informationen zum Stand der staatlichen Anerkennung der Betroffenen als Todesopfer rechter Gewalt runden die Falltafeln ab. Einige dieser Tafeln zitieren zudem die Erinnerungen von Angehörigen oder Freund*innen an die Opfer oder bieten ähnlich passende Zitate zum Fall. Jede Falltafel ist über QR-Codes mit einer ausführlicheren Darstellung der jeweiligen Tat verknüpft, wie sie sich auf der Webseite Todesopfer rechter Gewalt findet. Weitere QR-Codes verweisen auf fallbezogene Gedenk- und Erinnerungsseiten im Netz. 

Vier weitere Informationstafeln flankieren die 22 Falltafeln. Die Tafel zur Anerkennung greift Unterschiede in der Bewertung der Taten als rechte Tötungsdelikte und die Debatte darüber auf. Ergänzend dazu gibt die Tafel Rechte Tatmotive einen Überblick über die Motive rechter Gewalt und ihre dahinterstehenden Feindbilder als Voraussetzung. Neben diesen 22 eindeutig rechten Tötungsdelikten lassen sich in Brandenburg weitere Fälle aufzeigen, bei denen ein rechter Hintergrund der Täter*innen oder ein rechtes Tatmotiv nicht mehr eindeutig nachweisbar ist, aber angenommen werden muss. Diese sind auf der Tafel Verdachtsfälle und rechte Täter dokumentiert. Alle vier Informationstafeln sind über QR-Codes mit der erwähnten Webseite verknüpft. 

Das pädagogische Begleitmaterial 

Die Ausstellung wurde 2019 durch eine umfangreiche pädagogische Handreichung ergänzt. Das Begleitmaterial kann kostenlos heruntergeladen werden. 

Zielgruppe sind Schüler*innen der Sekundarstufe I/II (ab Klasse 9) aus Brandenburg und Berlin. Die Inhalte und Methoden orientieren sich an den aktuellen Rahmenlehrplänen der Länder Brandenburg und Berlin. Durch einen ausführlichen pädagogischen Kommentar in Form von Lösungsvorschlägen, weiterführenden Hinweisen und konkreten, phasierten Stundenvorschlägen wurden der Zugang und Einsatz für Lehrer*innen möglichst alltagstauglich gestaltet. Das Begleitmaterial kann auch unabhängig von der Ausstellung genutzt werden und ist daher auch außerhalb von Brandenburg sinnvoll einzusetzen.

Das Unterrichtsmaterial basiert auf vier Modulen, die aufeinander aufbauend, aber auch getrennt voneinander genutzt werden können. Je nach Wissensstand der Schüler*innen kann das Material ausstellungsbegleitend, als inhaltliche Vor- und Nachbereitung der Ausstellung sowie als Vertiefung einzelner Aspekte durch biographisches Lernen eingesetzt werden. 

Modul A eignet sich zur Vorbereitung des Ausstellungsbesuches. In ihm werden Aspekte extrem rechter Einstellungen und Verhaltensweisen arbeitsteilig untersucht und problemorientiert erarbeitet, um anschließend eine eigene Definition des Begriffs Rechtsextremismus zu entwickeln. Hier geht es darum, bewusst zu machen, wo Grenzen verlaufen und inwiefern bestimmte Haltungen und Äußerungen der extremen Rechten zugeordnet werden können. Schließlich kann dieses Wissen die Schüler*innen auch darin bestärken, in Diskussionen eine begründete Haltung gegen rechts einzunehmen und mithilfe von Fachwissen zu argumentieren. 

Das Modul B kann während des Ausstellungsbesuches genutzt werden. Ziel des Moduls ist es, zunächst das Thema und den Aufbau der Ausstellung zu erfassen. Es folgt eine Erarbeitung der Motive rechter Täter*innen und eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Biografien der Todesopfer rechter Gewalt in Brandenburg seit 1990.

Die Bearbeitung des Moduls integriert sowohl die Fall-, als auch Informationstafeln der Ausstellung und leistet einen Beitrag, das Lernen an außerschulischen Orten zu fördern. Das konkrete biografische Lernen erzeugt ein intensives Problembewusstsein bei den Schüler*innen. Sie stellen hier einen Zusammenhang zwischen den Tatmotiven (inhaltliche Bezugnahme auf Modul A) und einzelnen Opfern her. Produkt dieses Moduls ist ein von den Schüler*innen verfasster Zeitungsartikel zu einer der Gewalttaten. 

Das Modul C eignet sich zur vertiefenden Nachbereitung des Ausstellungsbesuchs. Es greift Zahlen einer aktuellen Studie zu rechten Einstellungen in der deutschen Gesellschaft auf. Eine Analyse dieser Zahlen zeigt, dass diese rechten Einstellungen keine Randerscheinung, sondern in der Mehrheitsgesellschaft etabliert sind. Zudem sind Einstellungsunterschiede zwischen Menschen in Ost- und Westdeutschland erkennbar. Es folgt eine Erarbeitung der Ursachen solcher Einstellungen anhand unterschiedlicher Erklärungsansätze, eine Analyse der Situation in Ostdeutschland in der Vor- und Nachwendezeit sowie die Überprüfung jener Erklärungsansätze am Beispiel Ostdeutschlands.

Der zweite Teil des Moduls widmet sich insgesamt vier der 22 Todesopfer genauer und beleuchtet besondere biografische Aspekte und gesellschaftlich relevante Themen wie Antisemitismus, Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland, Vertragsarbeiter*innen in der DDR und Nachwendezeit sowie das Gedenken an die Opfer. 

Modul D rückt das eigene, das gesellschaftliche und das staatliche Handeln gegen rechte Einstellungen und Verhaltensweisen in den Fokus. Zunächst werden anhand konkreter Fallbeispiele Handlungsoptionen für Zeug*innen und Betroffene rechter verbaler und physischer Gewalt entwickelt und reflektiert. Der Ansatz ist handlungsorientiert und stärkt die Schüler*innen darin, in möglichen Situationen kompetent und vor allem couragiert zu handeln. Zudem nimmt es noch einmal die Perspektive der Opfer in den Fokus. 

Der zweite Teil des Moduls thematisiert die Ideengeschichte sowie einige Instrumente der wehrhaften Demokratie und prüft diese dem politischen Urteil entsprechend nach ihrer Effizienz und Legitimität. Ziel ist auch, zu erkennen, wo die Grenzen bestimmter Grundrechte liegen. Zudem untersuchen die Schüler*innen exemplarisch die Hintergründe und Schwierigkeiten von Vereinsverboten.

Das Material bietet heterogenen Lerngruppen unterschiedliche methodisch-didaktische Zugänge und Differenzierungsmöglichkeiten an. Sprachliche Fallstricke wie Fremd- und Fachwortschatz werden im Sinne eines Scaffoldings (das Bauen von „Lern-Gerüsten“) in typografisch hervorgehobenen Kästen neben den Texten erklärt. Die Operatoren und wichtige Arbeitshinweise sind ebenfalls typografisch hervorgehoben. Den individuellen Lernbedürfnissen der Schüler*innen wird mit einem abwechslungsreichen Medieneinsatz begegnet und der Umgang mit beispielsweise journalistischen, juristischen und diskontinuierlichen Texten sowie Bildern kompetenzorientiert gefördert.

Die Relevanz der Ausstellung und der dazugehörigen pädagogischen Begleitung offenbart sich mit Blick auf die jüngsten rechtsterroristischen Gewalttaten in Kassel, Halle und Hanau. Extrem rechte Einstellungen und Verhaltensweisen bleiben eine Herausforderung für die Gesellschaft.  

 

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