Von Lucas Frings 

Am 18. Oktober 1946 vermeldete das Neue Deutschland die Umbenennung der Karl-Peters-Schule in Pankow in Carl-von-Ossietzki-Schule: „Karl Peters, der bekannte Vertreter der kolonialen Interessen, hat nicht immer mit fairen Mitteln den eingeborenen Völkern gegenüber gearbeitet.“ Knapp fünf Kilometer entfernt, im Berliner Wedding, wird noch heute über die Umbenennung der Petersallee gestritten. Die Publikation „Stadt neu lesen. Dossier zu kolonialen und rassistischen Straßennamen in Berlin“ bzw. die dazugehörige Webseite des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags (BER) findet 70 Jahre später deutlichere Worte: „Der auch als ‚Hänge-Peters’ und in Tansania als mkono wa damu (blutige Hand) bekannte Carl Peters etablierte durch Betrug und Gewalt die Kolonie ‚Deutsch-Ostafrika’ und errichtete als Reichskommisar im Kilimandjarogebiet eine Terrorherrschaft.“ Dass die Straße vom Bezirk 1986 umgewidmet wurde – von nun an für den Stadtverordneten Hans Peters – wird an dieser Stelle als Etikettenschwindel bezeichnet.

Das Dossier, 2016 in Zusammenarbeit mit Berlin Postkolonial und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland veröffentlicht, sowie die Webseite nehmen Berliner Straßennahmen, ihre kolonialen Verweise und rassistischen Implikationen in den Blick. Dafür sind die Petersallee im „Afrikanischen Viertel“, der benachbarte Nachtigalplatz und die hinter dem „Kleingartenverein Togo“ liegende Lüderitzstraße nur drei Beispiele. Die Autor*innen und Herausgeber*innen fordern Umbenennungen von Straßen, die mit der kolonialen Gewalt und Ausbeutung verknüpft sind. Die Erinnerung an Forscher, Kriegsschiffe und Kolonialisten soll – den Kolonialzeitbezug erhaltend – durch eine Würdigung antikolonialen Widerstands ersetzt werden und so von „Rassismus Betroffene als Subjekte“ anerkennen. Die neuen Straßennamen sollen auch einer Wissenserweiterung über die Kolonialzeit und deren Verknüpfung mit dem Nationalsozialismus die Türen öffnen. Die Umbenennung des Gröbenufers in Berlin-Kreuzberg in May-Ayim-Ufer 2010 wird dabei als gelungenes Beispiel herangezogen.

In der Broschüre wird die direkte Umbenennung von sieben weiteren Straßen – der M*straße in Mitte, den Wissmannstraßen in Neukölln und Wilmersdorf, der Woermannkehre in Neukölln und der Lansstraße, der Iltisstraße und des Maerckerwegs jeweils in Steglitz-Zehlendorf – gefordert.  Abgesehen von der M*straße und der Iltisstraße, benannt nach einem Kanonenboot, dass an der Niederschlagung des „Boxerkriegs“ beteiligt war, erinnern die Straßen an Männer, die als Militärs, Politiker, Kaufmänner oder Forscher an der Unterwerfung, Ausbeutung und Unterdrückung in deutschen Kolonien beteiligt waren. 

Zu jeder Straße liefert die Seite eine geographische Verortung, Hintergründe zum Namensgeber und die darin liegenden Gründe für eine Umbenennung. Wenngleich schon ein einzelner Aspekt eine Namensänderung begründen könnte, akkumulieren sich etwa bei Georg Maercker Tätigkeiten aus verschiedenen Zeitabschnitten. Seine Rolle als „Kolonialkrieger“ in „Deutsch-Ostafrika“, „Deutsch-Südwestafrika“ und China, Kommandeur beim Völkermord an den Herero und Nama, Freikorps-General, Kapp-Putsch-Kämpfer und Verantwortlicher für den Ausschluss jüdischer Soldaten aus dem „Stahlhelm“ wurden 1936 mit der Straßenbenennung gewürdigt. Da in jedem Beitrag auch angeführt wird, wie andere Städte mit gleichnamigen Straßen umgehen, stellt sich bei diesem Beispiel überdeutlich die Frage, warum Bezirk und Stadt die Straße noch nicht – wie Dortmund 1946 – umbenannt haben.

Neben der Forderung nach Umbenennung der Straßen liefert das Dossier Vorschläge für Alternativnamen. Die Vorgeschlagenen sollen, so der Anspruch, ein Panorama von Erfahrungen, Tätigkeiten und Widerständigkeit von Kolonisierten aufzeigen, vor allem, aber nicht nur in Berlin. Zudem wird angemerkt, dass insbesondere Frauen und ihr Handeln bei Straßenbenennungen sichtbar gemacht werden können. Unter den Vorgeschlagenen findet sich z.B. der Abolitionist Anton Wilhelm Amo, Anfang des 18. Jahrhunderts als Kind nach Deutschland verschleppt und später Forscher und Dozent an mehreren Universitäten und Staatsrat in Berlin. Auch Afrodeutsche finden sich unter den Vorschlägen für neue Straßennamen, etwa Fasia Jansen, die als Kind den Nationalsozialismus überlebte und in der BRD Bekanntheit als Friedensaktivistin erlangte. Mit der Yìhétuán-Bewegung könnte auch eine Gruppe erinnert werden. Die chinesische Widerstandsbewegung, auch als „Boxer“ bekannt, führte Angriffe auf westliche Missionar*innen und Diplomaten aus.

Das Dossier weist auf die problematische Betitelung von Stadtraum hin, erläutert übersichtlich die Geschichte von Namen und Namensgebung und fordert eine kritische Beurteilung von Namen mit Kolonialbezug, ähnlich wie dies bei nationalsozialistischer Ehrung weitestgehend geschehen und auch im Berliner Straßengesetz festgehalten ist. Zentral ist dabei der Wunsch diese Namen nicht nur zu entfernen sondern deren Hintergrund und die verknüpfte Geschichte durch einen Perspektivwechsel, die Erinnerung an antikoloniale Kämpfe, zu thematisieren. Wenngleich die Webseite einen Großteil des gedruckten Dossiers wiedergibt, fehlen online u.a. 24 Straßennamen in Berlin, die statt einer Umbenennung eine kritische Kommentierung erhalten könnten. Dennoch bietet bereits die Webseite einen guten Einblick in die Bedeutung von Straßenbenennungen und deren Potenzial.

Die gedruckte Broschüre „Stadt neu lesen. Dossier zu kolonialen und rassistischen Straßennamen in Berlin“ ist für 10€ beim Berliner Entwicklungspolitischem Ratschlag bestellbar. Der Großteil der dort versammelten Beiträge findet sich auf der Webseite „Stadt neu lesen“.

 

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