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Jung, weiblich, feindlich-negativ – die „Frauen für den Frieden“ in Ost-Berlin

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Almut Ilsen ist Mitherausgeberin und Mitautorin der 2019 erschienenen Publikation „Seid doch laut! Die Frauen für den Frieden in Ost-Berlin“. Sie studierte Chemie an der Universität Jena sowie postgradual Bibliothekswissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin und war von 1976 bis 2016 in der Staatsbibliothek zu Berlin als Fachreferentin für Naturwissenschaften tätig.

Von Almut Ilsen

Anlass für die Gründung der Ostberliner „Frauen für den Frieden“ war die Verabschiedung eines neuen Wehrdienstgesetzes im März 1982, das die Einbeziehung von Frauen in die Armee vorsah. Die Gruppe gründete sich Ende 1982 und bestand bis 1988. Sie war eine der am längsten bestehenden Oppositionsgruppen und eine der wenigen kirchenunabhängigen Gruppen. Da es um Frauen in der Armee ging, beschlossen die Gründungsfrauen bereits im Herbst 1982 als reine Frauengruppe zu agieren. Auch später, als sich die Gruppe anderen Themen zuwandte, änderte sich daran nichts. Die Frauen hatten die solidarische, warmherzige und sachbezogene Zusammenarbeit in der Gruppe kennen- und schätzen gelernt. 

Wie war die Lebenssituation von Frauen zu Beginn der 1980er Jahre in der DDR? Über 89% (Kaminsky 2020: 99) gingen arbeiten und viele hatten Kinder. 1982 lag ihr Beschäftigungsanteil bei 49,6% (Stat. Jahrbuch 1984. 16), war also fast identisch mit dem der Männer. Mit 59,3 % (Ebda.: 123) hatten auffallend viele Frauen einen Fachschulabschluss, und 36,2 % (Ebda.) hatten erfolgreich ein Hochschulstudium absolviert. Die Frauen empfanden es als „normal“, ihr eigenes Geld zu verdienen oder unkompliziert über eine Schwangerschaftsunterbrechung zu entscheiden. Da sie finanziell unabhängig waren, stand es ihnen frei, eine nicht mehr funktionierende Partnerschaft zu beenden. 

Wie war die politische Situation in dieser Zeit? Der kalte Krieg zwischen den damaligen Weltmächten USA und Sowjetunion und ihren Militärbündnissen NATO und Warschauer Pakt trat Ende 1979 mit dem NATO-Doppelbeschluss in eine neue Phase ein. Die Rüstungsspirale drehte sich weiter. Es war geplant, im Herbst 1983 die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen beidseits der deutsch-deutschen Grenze in den Parlamenten zu beschließen. Die DDR war Stationierungsgebiet, sah sich jedoch selbst als der Staat mit der überlegenen Gesellschaftsordnung und damit als Friedensstaat an. Sie unterstützte die in den westlichen Staaten entstandene starke Friedensbewegung. Doch nach innen wurde die Gesellschaft immer stärker militarisiert. In den staatlichen Kindergärten wurde mit Spielzeugpanzern gespielt, Schulklassen besuchten Kasernen der Nationalen Volksarmee. 1978 wurde für die 9. und 10. Klassen der Wehrkundeunterricht als Pflichtfach eingeführt, Studenten mussten ins Militärlager, Studentinnen ins Zivilverteidigungslager.

Im März 1982 wurde ein neues Wehrdienstgesetz verabschiedet. Es sah vor, dass Frauen im Alter zwischen 18 und 50 Jahren im Verteidigungs- und Mobilisierungsfall zur Nationalen Volksarmee eingezogen werden konnten. Das empfanden einige Frauen als unerträglich. Sie kannten sich größtenteils schon längere Zeit und waren in DDR-kritischen Freundeskreisen, in der unabhängigen Friedensbewegung, die sich unter dem Dach der evangelischen Kirche gebildet hatte bzw. in der Kunstszene verortete. Sie wollten keine Waffe in die Hand nehmen müssen, sie verstanden sich als Pazifistinnen. Sie hatten Angst um ihre Kinder, auf die die Raketen gerichtet sein würden. Dann erfuhren sie, dass Mecklenburger Krankenschwestern bereits auf die Wehrkreiskommandos zur Musterung bestellt wurden. Einige schrieben Briefe an die Partei- und Staatsführung, um gegen das neue Wehrdienstgesetz zu protestieren. Dieser als „Eingabe“ bezeichnete Protest war eine der wenigen Möglichkeiten, bestehende Zustände zu kritisieren. Als die Frauen keine oder unbefriedigende Antworten erhielten, beschlossen sie, eine gemeinsame Eingabe zu schreiben und Unterschriften zu sammeln. So geschah es – die Malerin Bärbel Bohley, die Keramikerin Irena Kukutz, die Heimerzieherin Katja Havemann, die Tierärztin Karin Teichert, die Lehrerin Bettina Rathenow, die Chemikerin Almut Ilsen und die Museumsassistentin Ulrike Poppe formulierten im Herbst 1982 eine Eingabe gegen das Wehrdienstgesetz. Circa 130 Frauen aus Berlin und Halle (Saale) brachten den Mut auf, zu unterschreiben. Den Frauen war klar, dass sie spätestens jetzt im Fokus der Staatssicherheit stehen würden. Vier Wochen später stand die Stasi vor ihren Türen. Sie versuchte, die Frauen einzuschüchtern und zur Rücknahme ihrer Unterschrift zu bewegen – ohne Erfolg! 

Im Dezember 1982 beschlossen ca. 35 Ostberliner Frauen, als „Frauen für den Frieden“ weiter zusammen zu agieren. Der Handlungsdruck war zu groß, um es bei einer Eingabe bewenden zu lassen. Sie gaben sich den gleichen Namen wie ihre westeuropäischen Mitstreiterinnen - sie sahen sich als Bestandteil der systemübergreifenden Frauenfriedensbewegung. Bereits im Herbst 1982 begannen westdeutsche und westeuropäische Friedensfrauen Kontakt zu den Ost-Berliner „Frauen für den Frieden“ aufzunehmen. Das waren die Westberliner „Frauen für den Frieden“, Frauen des END (European Nuclear Disarment) aus Großbritannien sowie Friedensfrauen aus Italien und Holland. Später bestanden auch Kontakte zu einigen Mitgliedern der „Grünen“ wie Petra Kelly, Gert Bastian und Lukas Beckmann. 

Bereits kurz nach ihrer Gründung wurden die „Frauen für den Frieden“ zu einem festen Bestandteil der unabhängigen Friedensbewegung der DDR. Bald schlossen sich auch Frauen in anderen Städten der DDR zusammen. Die Frauengruppen hielten bis zum Ende der DDR Kontakt miteinander. Von 1984 bis 1989 fanden jährliche Treffen der Frauenfriedensgruppen statt. 

In den Jahren ihres Bestehens wandten sich die „Frauen für den Frieden“ nicht nur gegen Wettrüsten und die zunehmende Militarisierung insbesondere im Hinblick auf Kinder und Jugendliche. Ihnen ging es auch um den Abbau von Feindbildern und um Friedenserziehung. Bei Veranstaltungen in der Auferstehungskirche in Berlin-Friedrichshain kamen Hunderte. Christa Sengespeick, die Pastorin der Auferstehungsgemeinde, hatte den Frauen ihre Kirche geöffnet. Bei den Politischen Nachtgebeten – einer offenen Gottesdienstform – konnte jede ans Mikrofon treten, Repressionen benennen und auf Missstände hinweisen. Bei den Treffen der Frauenfriedensgruppen ermutigten sich die Frauen, Eingaben zu schreiben, bei öffentlichen Veranstaltungen ihre Meinungen zu äußern, sich einzumischen, um an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt zu werden. 

Während all dieser Jahre war die Staatssicherheit präsent. Bereits im Herbst 1982 befürchtete die Stasi, dass sich aus der Gruppe eine unabhängige Frauenbewegung in der DDR als Gegenpart zum offiziellen Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) entwickeln könne. Die Frauen galten als „feindlich-negativ“, ihnen wurde die Planung breiter staatsfeindlicher Aktivitäten zugetraut. Die Frauen der Gruppe nahmen lange Zeit an, dass die Stasi sie weniger wichtig nahm als männliche Oppositionelle. Aber nach der Recherche in den Stasi-Akten wurde offenbar – sie galten von Anfang an als nicht weniger „feindlich-negativ“. Die Marginalisierung der Opposition war nicht geschlechtsspezifisch. Allerdings wurde bei den „Zersetzungsmaßnahmen“ die Angst der Frauen um ihre Kinder als Druckmittel eingesetzt. Damit die Kinder im Fall einer Inhaftierung nicht ins Kinderheim kommen, verfassten die Frauen Vollmachten für den Verbleib ihrer Kinder. 

Bereits ab Dezember 1982 erarbeitete die Stasi Konzeptionen und Maßnahmenpläne für die „Zersetzung“ und Zerschlagung der Gruppe. Sie schleuste inoffizielle Mitarbeiterinnen ein, die Informationen weitergaben und Einfluss auf die Gruppe ausübten. Im heißen Herbst 1983, dem Herbst der Nachrüstungsbeschlüsse, wurden die Frauen mehrfach „zugeführt“, d.h. die Stasi holte sie morgens um sechs Uhr aus ihren Wohnungen zur „Klärung eines Sachverhalts“ und verhörte sie zumeist bis in die Abendstunden. Im Dezember 1983 wurden gegen Bärbel Bohley, Irena Kukutz, Ulrike Poppe und Jutta Seidel Ermittlungsverfahren eingeleitet. Bärbel Bohley und Ulrike Poppe waren in der Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen inhaftiert, aus der sie dank internationaler Proteste nach sechs Wochen freikamen. 

Im Jahr 1985 wurde der Zentrale Operative Vorgang ZOV „Wespen“ gegen alle „Frauen für den Frieden“ in der DDR eröffnet. Darin wird den Frauen eine „Feindtätigkeit mit hoher Gesellschaftsgefährlichkeit“ zugeschrieben. 

Die „Zersetzungsmaßnahmen“ der Staatssicherheit wirkten sich teilweise massiv auf das Leben der Frauen aus. Die drei Lehrerinnen in der Gruppe waren von Berufsverbot betroffen. Die freischaffenden Künstlerinnen waren vom Ausschluss aus ihrem Berufsverband bedroht bzw. ihnen wurde die Mitgliedschaft verwehrt. Andere durften nicht studieren. Diejenigen Frauen, die in die Bundesrepublik ausreisen wollten, bekamen ihre Ausreise ungewöhnlich schnell bewilligt – dies schwächte die Gruppe. Frauen, die in nichtkirchlichen Arbeitsverhältnissen beschäftigt waren, wurden der „gesellschaftlichen Einflussnahme“ ausgesetzt. Sie wurden unter Druck gesetzt, sie sollten aus der Gruppe „herausgebrochen“ werden. Die Stasi belegte die westdeutschen und westeuropäischen Mitstreiterinnen mit Einreiseverbot und konnte dadurch Kontakte erfolgreich verhindern. In den Augen der Stasi galt die Frauengruppe 1988 als „zersetzt“. Dies galt allerdings nicht für die einzelnen Frauen. Sie waren in anderen Oppositionsgruppen und Bürgerbewegungen aktiv geworden, und einige spielten eine maßgebliche Rolle während der Friedlichen Revolution. 

Literatur 

Kaminsky, Anna: Frauen in der DDR, Berlin 2020. 

Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik. Bd. 1984. Hg. vom Statistischen Amt der DDR. Berlin 1984.

 

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