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Comic - Film - Gender

Sina, Véronique: Comic – Film – Gender. Zur (Re-)Medialisierung von Geschlecht im Comicfilm, Bielefeld 2016, 34,95€.

Von Lucas Frings

Die Comicforschung als Teildisziplin steht in ihrer Entstehung naturgemäß in einem Verhältnis zu anderen Disziplinen, insbesondere zu Literatur-, Kunst-, Kultur- und Geschichtswissenschaft. Im Zuge der zunehmenden akademischen Auseinandersetzung mit Comics, bilden sich Verbindungen zu weiteren Feldern, in „Comic – Film – Gender“ der Genderforschung, oder wie Véronique Sina es formuliert: „Medienwissenschaftliche Comicforschung trifft genderorientierte Medienwissenschaft“ (S.14).

Im theoretischen Teil der Monographie setzt sich Sina mit der „(hyper-)mediale[n] Beschaffenheit des Comics (S.29), also Aufbau, Bild-Text-Beziehung, Zeichenstilen und dem Verhältnis von Comic und Gender auseinander. Anschließend untersucht sie in drei Kapiteln die Filme „Sin City“, „Immortel“ und als Superheld*innenfilme die Reihe „Kick Ass“ auf ihre (De-)Konstruktion von normativen Geschlechterbildern.

Sina bezieht sich für ihre Untersuchung, wie Gender in Medien, hier eben speziell im Comicfilm, reproduziert wird, primär auf Judith Butlers Verständnis von Performativität. Danach kann nichts beschrieben werden ohne auf vorhandene Diskurse zurückzugreifen, es bleibe ein „permanentes Zitieren bzw. zwanghaftes Wiederholen hegemonialer Normen und geschlechtlicher Identitäten“ (S.16). Sina fragt wie Medien die Kategorie Gender konstituieren und reproduzieren als auch andersherum, wie auf Geschlecht bezogene gesellschaftliche Machtkonstruktionen Medien beeinflussen.

Dabei hätten Comics vor allem durch die Mittel Reduktion und Überzeichnung die Möglichkeit bestehende Genderstereotype zu reproduzieren und gleichzeitig durch sichtbare Übertreibung zu konterkarieren. Sie schreibt Comics und Comicfilmen, insbesondere über ihre Ästhetik, dabei ein subversives Potential zu. Anders als nichtanimierte Filme könne der Comicfilm die Schaffung einer Figur samt ihrer Konstruiertheit und Zuschreibungen sichtbar machen. So werde etwa durch die Wiederholung derselben Figur in aufeinanderfolgenden Panels bei gleichzeitiger Überzeichnung bzw. Verwandlung die Inszenierung von Genderrollen deutlich.

Bei ihrem ersten Beispiel, dem Comicfilm „Sin City“ bzw. der Comicreihe von Frank Miller als Vorlage, finde sich die Remedialisierung von Comicästhetik, die künstliche Konstruktionen, hier eben von Geschlechtsidentität, aufzeigen könne. In den, voneinander getrennten, surrealen Geschichten in „Sin City“ sei dies insbesondere die parodiehafte Überspitzung heteronormativer Geschlechterrollen. Dies mache den Film zu einer „subversive[n] Repräsentationsform“ (S. 126).

„Immortel“ beruht ebenfalls auf einer Comicvorlage. Seine zentralen Figuren besitzen keine normative Geschlechteridentität, diese ist hybrid. Allerdings versuchen mehrere Akteur*innen ihnen einen eindeutige, normierte Identität aufzuerlegen.  Das zeigt sich sehr gut an der Figur Jill, die durch medizinische Mittel und Experimente ihre Vergangenheit vergessen soll um durch gegenwärtige Geschlechterzuweisungen in einen eindeutigen weiblichen Körper gezwängt zu werden. So wird die biologische Kategorie als „durch soziokulturelle Normierung und gewaltsame Disziplinierung erschaffenes Konstrukt ohne fixen Ursprung oder ‚natürlichen’ Ausgangspunkt“ (S.188) gezeigt.

Wo die Repräsentationsformen in diesen beiden Filme Geschlecht als Kategorie dekonstruieren, bietet Véronique Sina im folgenden Kapitel mit den Comicfilmen „Kick Ass“ und Kick Ass 2“ ein Gegenbeispiel.

Zwar ständen die Protagonist*innen auf den ersten Blick im Widerspruch zu heteronormativen Bildern, eine tiefergehende Subversion finde jedoch nicht statt. Die Filme hindurch ziehe sich ein Bild von „normalen“, heterosexuellen Figuren und Beziehungen. Zwar werde Sexualität und Abweichungen von gesellschaftlichen Normen verhandelt, sie blieben aber eben als Abweichungen sichtbar. Am krönenden Ende stehe jedoch der Protagonist Dave, der die ihm zugeschriebene Homosexualität ablegt und zur heterosexuellen Liebesbeziehung und „neu gewonnene[r] Potenz und (heterosexuelle[r]) Männhaftigkeit“ (S.243) findet und so seine Opferrolle verliert.

Die hier teilweise versuchte Untergrabung von Geschlechterrollen schlägt ins Gegenteil und verfestigt diese umso mehr.

Véronique Sina kann an ihren drei Beispielen differenziert belegen, dass Medien und Gender in einer wechselseitigen, sich reproduzierenden Beziehung stehen. Die ersten beiden Beispiele zeigen das subversive Potential von Comics und Comicfilmen in Bezug auf Geschlechteridentitäten auf. Dabei sticht besonders die ausführliche formal-ästhetische Analyse hervor. Filmstills illustrieren durchgehend die Aspekte die Sina bespricht, wie idealisierte Weiblichkeit und Männlichkeit oder visuelle Entfremdungsaspekte.

Angesichts der stringenten Argumentation und der zahlreichen Belege ist der Dissertationscharakter spürbar, eine leichte Lektüre ist „Comic – Film – Gender“ nicht. Bei allem Bemühen, Theorien verständlich zu machen und Storylines wiederzugeben, erleichtern es ein Verständnis von Performativität, Medialität und der Kategorie Gender sowie das Schauen der Filme den Gedankengängen Sinas zu folgen.

Auch die Auswahl der drei Beispiele wird nicht klar, insbesondere bei den „Kick Ass“-Filmen.

Ohne Zweifel ist „Comic – Film – Gender“ aber eine Untersuchung, die hervorragende Vorarbeit für die Analyse weiterer Comicfilme bietet. 

 

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