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Die Deutsche Volkspolizei der DDR

Wolfgang Schulte (Hg.): Die Deutsche Volkspolizei der DDR. Beiträge eines Seminars an der Deutsche Hochschule der Polizei in Münster, Frankfurt 2018.

Von Tanja Kleeh

In dem Sammelband „Die Deutsche Volkspolizei der DDR“, herausgegeben 2018 von Wolfgang Schulte, wird der Polizeiapparat einer näheren Untersuchung unterzogen. Wie Schulte in der Einleitung schreibt, steht die Deutsche Volkspolizei (DVP) im Gegensatz zur Stasi weniger im allgemeinen Forschungsinteresse (S.9). Die Autor*innen des vorliegenden Band, entstanden im Rahmen eines Seminars an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, setzen sich in sechs Beiträgen mit der DVP im Allgemeinen sowie einzelnen, vertiefenden Aspekten auseinander.

Thomas Lindenberger beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Öffentliche Sicherheit, Ordnung und normale Abläufe – Überlegungen zum zeitweiligen Gelingen kommunistischer Herrschaft in der DDR“ mit der Funktion des Polizeiapparates innerhalb des Staatssozialismus . Lindenberger stellt zu Beginn die Frage, ob die „staatssozialistischen Diktaturen an einem Übermaß an ‚Sicherheit‘ gescheitert“ seien (S.13). Zur Beantwortung wählt er den Zugang über die Definition von „öffentlicher Ordnung und Sicherheit“ im modernen europäischen Staat (S.16). Idealtypisch sieht Lindenberger das Modell des „Nachtwächterstaates“: Schutz gegen Angriffe auf die Sicherheit der Bürger*innen, der jedoch nicht in alle Lebensbereiche hinein reicht (S.18). Bedingt durch die nationalen Vorgeschichten der Länder, herrschte jedoch zur Etablierung der Herrschaft der kommunistischen Parteien im Allgemein ein– so Lindenberger – „bestenfalls aufgeklärt-autoritäres, wenn nicht reaktionäres Polizeiverständnis“ vor (S.22).

Einen entscheidenden Faktor für die Ausgestaltung Polizei in der DDR sieht Lindenberger in dem Aufstand vom 17. Juni 1953. In Folge dessen wurden staatliche Aufgaben militarisiert, bis in den Alltag hinein spürbar und „entsprach[en] der Vorstellung von der Allgegenwart des ‚Gegners‘ […]“ (S.26). Auch mit der bereits staatlich gelenkten Wirtschaft wurde der Sicherheitsapparat nun mehr und mehr verknüpft: Die Durchsetzung der staatlichen Produktionsziele wurden Polizeiaufgabe (S.39). Darüber hinaus weiteten sich die polizeilichen Aufgaben – und Befugnisse – über die Grenzen der „öffentlichen Ordnung“ aus, wenn etwa die „Normen des sozialistischen Zusammenlebens“ gegen sogenannte „Rowdies“ oder „Asoziale“ verteidigt wurde (S.38).

Ähnlich wie Thomas Lindenberger zeichnet auch Daniel Niemetz die historischen Entwicklungen der Polizei in der DDR nach. Dabei nimmt Niemetz ebenfalls den Aufstand 1953 als prägendes Ereignis der Sicherheitspolitik. Er streicht in seinem Aufsatz „Vom Arbeiteraufstand zur Herbst-Revolution“ vor allem die Militarisierung und den stetigen Aus- und Aufbau des Polizeiapparates heraus. Niemetz blickt zudem auf die Entwicklungen am Ende der DDR, d.h. in den 1980er-Jahren sowie rund um die Demonstrationen in Leipzig und Dresden. Nicht nur die bloßen Polizeieinsätze, sondern auch die Wahrnehmung durch die Bevölkerung analysiert Niemetz ausführlich.

Zur Abschreckung gedacht, führte das massive Auftreten der Staatsmacht zur Solidarisierung von Bürger*innen mit den Demonstrant*innen. Misshandlungen, Festnahmen und Verletzungen durch die Polizei sorgten für sinkendes Vertrauen in den Polizei- und Staatsapparat und trugen zur Verstärkung der Protestaktionen bei (S.89). Der sehr detailreiche Beitrag von Daniel Niemetz ist umfangreich mit Belegen aus Akten unterlegt, so dass er an inhaltlichem Gewicht gewinnt. Manche Erkenntnis – wie die enorme Polizeigewalt – erscheint nicht neu – jedoch ist die ausführliche Darlegung der Entwicklungen hin zur politischen Entscheidung für eben diese Gewalt interessant nachzulesen.

Den Synergien zwischen Stasi und DDR-Volkspolizei hat sich Volker Höffer gewidmet. Er legt in seinem Aufsatz „Die DDR-Volkspolizei und die Stasi – Im Spannungsfeld von Kooperation und Überwachung“ die Aufgabenbereiche der beiden staatlichen Organisationen dar. Höffer sieht in der Volkspolizei – ebenso wie in der Stasi – ein „ideologisches Überwachungs- und Vollzugsorgan der SED“ (S.43). Ein Fallbeispiel findet sich auch auf Seite XXX dieses LaG-Magazins.

Ebenfalls ein Fallbeispiel näher betrachtet wird im Aufsatz von Hannes Lerke. „Die Rolle des Abschnittsbevollmächtigten in der Deutschen Volkspolizei – Eine Untersuchung am Beispiel des Bezirks Rostock für die 1980er Jahre“ blickt – nach einem ausführlichen Blick auf die angewandte Methodik, Geschichte der DDR und ihres Sicherheits- und Geheimdienstapparates – auf den titelgebenden Abschnittsbevollmächtigten (ABV) im Bezirk Rostock. Hannes Lerke wertet vorhandene Akten des MfS aus, um die Verbindungen zwischen ABV und MfS nachzuzeichnen.

Mit „Die Geschichte der Frauen in der deutschen Polizei im 20. Jahrhundert“ widmet sich Bettina Blum den Besonderheiten der weiblichen Polizist*innen. Blum beginnt im Jahr 1903, das erste Jahr, in dem Frauen bei der Polizei eingestellt wurden. Sie waren jedoch noch keine Polizist*innen, sondern als sogenannte „Fürsorgerinnen“ (S.63) für die Betreuung von Frauen* zuständig, die von der Sittenpolizei wegen des Verdachts auf Prostitution aufgegriffen wurden. Der Einsatz weiblicher Polizist*innen entwickelte sich in den deutschen Ländern unterschiedlich, wobei sich das „Preußische Modell“ durchsetze. Verkürzt gesagt waren hierbei Frauen für Frauen zuständig und agierten im Bereich der Sozialfürsorge (S.65). Wie Bettina Blum aufzeigt, veränderte sich dies mit dem NS-Staat. Der Fokus der weiblichen Polizist*innen, die weiterhin als „Ergänzung“ der männlichen Kollegen angesehen wurden, lag nun auf der – rassenpolitisch motivierten – Arbeit in der sowie der Zuarbeit für die „Reichszentrale zur Bekämpfung der Jugendkriminalität“ (S.67).

Über einen kurzen Exkurs in die westlichen Zonen schlägt Bettina Blum den Bogen in die SBZ/DDR. Ebenso wie im Westen waren die „Debatten um den polizeilichen Auftrag mit Geschlechterbildern“ verknüpft. Während der Nachkriegsjahre prägten vor allem die Bilder von uniformierten Verkehrspolizist*innen das Straßenbild – und boten ideale Propagandabilder für die SBZ. Hinter den Kulissen jedoch seien die Polizistinnen wesentlich kritischer als ihre männlichen Kollegen betrachtet worden, so Blum (S.75). Mit der Militarisierung in den frühen 1950er-Jahren wurden die Frauen dann auch entlassen oder in den Innendienst versetzt. Erst ab 1965 wurden wieder verstärkt Frauen eingestellt. So resümiert Blum: „Eine wirkliche Gleichstellung der Geschlechter ist im Untersuchungszeitraum nicht zu erkennen. […] Die Repräsentation des staatlichen Gewaltmonopols blieb in beiden Fällen von Geschlechterbildern geprägt.“ (S.76f).

Dem Aspekt der Verwaltung widmet sich Franziska Kuschel mit dem Beitrag „,Hüter der Ordnung und Sicherheit‘ – Die Verwaltung der Volkspolizei im Ministerium des Innern der DDR“.  Kuschel beleuchtet sowohl die Personalauswahl als auch Strukturen, Zuständigkeiten und Handlungsfelder. Zeitlich beschränkt sie sich auf die ersten eineinhalb Jahrzehnte der DDR.

Die Personalauswahl innerhalb der Volkspolizei zeigt Franziska Kuschel anhand von Kurzbiografien der ersten vier Leiter (Zeitraum 1949 – 1962) der DVP auf. Den Zugang zum unübersichtlich anmutenden Aufbau der DVP – also Strukturen, Zuständigkeiten und Handlungsfelder – gelingt über eine Grafik. Ausführliche, jedoch trotzdem nicht ausartende Erklärungen ergänzen diese.

Vor allem die Rolle der Parteimitgliedschaft auf allen Ebenen wird ausführlich beleuchtet. Die SED-Zugehörigkeit war auf Leitungsebene de facto zur Bedingung geworden. Dementsprechend zeigte sich der Einfluss der Partei: „Innerhalb des Innenministeriums hatte die SED den Status einer eigenen Kreisleitung […]“ (S.135). Die Polizeiverwaltung an sich verfügte (bis zur großen Reform 1962) innerhalb des Ministeriums jedoch über weitgehend autonome Strukturen (S.136).

„Die Deutsche Volkspolizei der DDR“ ist ein kompakter Sammelband, der ein bisher wenig erforschtes Thema behandelt und einen guten Einstieg bietet, um sich mit dem Sicherheitsapparat in der DDR auseinanderzusetzen. Bedingt durch die geringen Forschungen wirken manche Dinge in unterschiedlichen Beiträgen redundant, wie etwa die allgemeingefassten Erläuterungen zur DVP von Thomas Lindenberger und Hannes Lerke Nichtsdestotrotz ist das Buch informativ und mit Beiträgen gefüllt, die Zugang zu einem selten betrachteten Thema bieten.

 

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