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Bürger, Rowdys und Rebellen

Kenkmann, Alfons/ Spieker, Christoph (Hg.): Bürger, Rowdys und Rebellen. Deutsche Polizeilehrfilme in West und Ost, Münster 2004.

Von Lucas Frings

Die didaktische Handreichung „Bürger, Rowdys und Rebellen“ von Stefan Noethen und Volker Pade nimmt Polizeilehrfilme aus der BRD und DDR in den Blick. Sie umfasst eine DVD mit zehn Filmsequenzen, dazugehörige Informationen und didaktische Empfehlungen.

Herausgegeben hat die Handreichung der Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster. Die dortige Dauerausstellung zu den Verbrechen der Ordnungspolizei im Zweite Weltkrieg befindet sich in dem Gebäude, der von 1940 bis 1944 als Sitz der regionalen Ordnungspolizei diente.

Die meisten auf der DVD enthaltenen Polizeilehrfilme sind für die Aus-und Fortbildung von Polizist*innen gedacht, zwei der Filme richten sich jedoch an die Bevölkerung in Ost bzw. West.

Die Filme variieren stark in ihrer kinematographischen Qualität, Länge und Intention. In der Publikation wird daher zwischen vier Feldern unterschieden, unter der jeweils Filme aus der DDR und BRD gegenübergestellt werden: „Polizei und Politik“, „Selbstverständnis“, Polizei und Bürger“ sowie „Polizeiliches Gegenüber“.

Ein großer Unterschied zwischen der DDR und der BRD lässt sich bei den verhandelten Themen erkennen. In mehreren Filmen der Bundesrepublik wird das regelwidrige Verhalten im Verkehr thematisiert, verbunden mit der Frage nach polizeilicher Zuständigkeit. Selbstverständlich sind alle Filme von einer politischen Agenda und Gesellschaftsidealen geprägt, der BRD-Film „Polizei – Büttel oder Bürger in Uniform“ von 1965 enthält jedoch erstaunlich direkte politische Forderungen: „Ist es noch vertretbar, dass 50% der langfristig ausgebildeten und hochqualifizierten Polizeibeamten auch für weniger schwierige Aufgaben eingesetzt werden? Sollte man dafür nicht lieber in Kurzlehrgängen ausgebildete Hilfskräfte einsetzen um einen großen Teil der Allgemeinen Schutzpolizei wieder ihren eigentlichen Aufgaben zuführen zu können?“

Die DDR-Lehrfilme hingegen sind geprägt vom Vorgehen gegen „Rowdytum“. An dieser Stelle illustrieren die Filme sehr gut, wie dieser im Strafgesetzbuch äußerst vage gehaltenen Paragraph für eine große Bandbreite von Handlungen angewandt wurde. Im Film „Beseitigung einer Störung durch Rowdys“ von 1976 zeigt sich durch die Worte der Sprecherin, dass bei einer Verfolgung die Interessen der SED bedeutender waren als Gesetze.

In dem an die Öffentlichkeit gerichteten Film „Verhalten im Wohngebiet“ (DDR 1976) heißt es „Werte erhalten, verbessern. In Ruhe im Wohngebiet zusammenleben, das ist im Sinne von Ordnung und Sicherheit für uns alle“, womit auch polizeiliches Eingreifen bei Störungen legitimiert wird.

In selben Film wird dann aber nicht nur die polizeiliche Taktik, sondern auch eine mögliche Konsequenz aufgezeigt. Auf eine Szene in der Volkspolizisten gegen „rodwyhaftes Benehmen“ von Jugendlichen vorgehen, folgt eine mit lockerer Musik unterlegte Passage, in der es heißt: „Als wirkungsvolles Erziehungsmittel, die gemeinnützige Arbeit, die zu Achtung und Respekt erzieht.“Unter „Polizei und Bürger“ wird im BRD-Film „Ansprechen des Mitbürgers“ (1965) und dem DDR-Film „Nach Feierabend“ die Kommunikation mit der Bevölkerung thematisiert. Der DDR-Film – professionell produziert und mit Spielfilmcharakter – möchte vermitteln, dass sich die Freiwilligen Helfer*innen der Polizei nicht mit „peripheren Unsinn und Aushorchung der Bürger“, sondern mit dem „Kampf gegen die Feinde der sozialistischen Gesellschaft“ (S.42) befassen. „Ansprechen des Mitbürgers“ zeigt anhand von Negativ- und Positivbeispielen, wie Polizist*innen durch sachliche und zielgerichtete Kommunikation das Vertrauen der Bevölkerung erwirbt.

Die Zielgruppe der Publikation ist nicht explizit benannt und lässt sich nicht eindeutig festlegen. Für einen wissenschaftlichen Kontext ist eine Analyse der Filme sicherlich interessant und mehrere ließen sich auch für einen Staaten-Vergleich in Bildungskontexten verwenden. Eine Reihe von didaktischen Empfehlungen richten sich hingegen an (angehende) Polizist*innen, etwa wenn es heißt: „Berichten Sie über Ihre erste Begegnung mit uneinsichtigen Bürgern, z.B. im Straßenverkehr – wie haben Sie reagiert? Wie würden Sie heute reagieren?“.

Beim pädagogischen Vorgehen hervorzuheben ist die Anregung bestimmte Fragen bereits vor dem Film mit einem Abgleich nach dem Screening.

Die Publikation beabsichtigt historische Ansichten von polizeilicher Arbeit in ihrer Entwicklung und im Vergleich zu analysieren, den Vergleich zu heutigen Zielen der Polizeiarbeit anzuregen und – im Falle der Ausbildung – von Polizist*innen das eigenen Agieren kritisch zu reflektieren.

Die Notwendigkeit einer thematischen Sortierung liegt auf der Hand, ist allerdings angesichts des vorliegenden Materials nur bedingt gelungen. So werden etwa die Gemeinsamkeiten der polizeilichen Taktik bei Gegenprotesten gegen einen NPD-Landesparteitag 1968 und dem Vorgehen gegen Störungen in einer fiktiven DDR-Stadt in der Kategorie „Polizei und Politik“ nur bedingt deutlich.

Den historischen Vergleich der polizeilichen Absichten erschwert leider die Auswahl der Ausschnitte, da die BRD-Filme überwiegend in den 1960ern produziert wurden, während die DDR-Filme meist aus den späten 1970ern stammen. Mit ausreichender Kontextualisierung, die sich durch in den Fußnoten genannten Titeln erarbeiten lässt, kann dieses Manko sicherlich ausgeglichen werden und in der Bildungsarbeit gut verwenden. Die Sammlung der Filme präsentiert darüber hinaus äußerst spannende Zeitdokumente.

 

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