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Volkspolizei. Herrschaftspraxis und öffentliche Ordnung im SED-Staat 1952-1968

Lindenberger, Thomas: Volkspolizei. Herrschaftspraxis und öffentliche Ordnung im SED-Staat 1952-1968, Köln/Weimar/Wien 2003.

Von Lucas Frings

Die knapp 500 Seiten starke Veröffentlichung „Volkspolizei. Herrschaftspraxis und öffentliche Ordnung im SED-Staat 1952-1968“ von Thomas Lindenberger bleibt bis heute eine der äußerst wenigen umfassenden Betrachtungen der DDR-Volkspolizei. Ähnlich wie der Sammelband „Die Deutsche Volkspolizei der DDR“ ist es eines der wenigen Werke, die sich nicht primär dem Ministerium für Staatssicherheit widmen.

Knapp die erste Hälfte des Buches befasst sich mit der Institutionenkunde. Dabei nimmt Lindenberger sogar kurz die Öffentliche Polizei in der SBZ in den Blick. Schon dort wurde die Grundausrichtung der Volkspolizei in der DDR festgelegt, vor allem der „Vorrang des Politischen gegenüber dem Fachlichen, der Parteiherrschaft gegenüber der Rechtsstaatlichkeit“ (S.49) und die geringere Bedeutung der Volkspolizei im Vergleich zur Armee und dem 1950 gegründeten Ministerium für Staatssicherheit.

Äußerst detailliert zeichnet Lindenberger die Anfangsjahre der Volkspolizei samt Anspruch eines ohne NS-Kontinuitäten agierenden Organs, nur kurz dienenden Polizist*innen und teilweise politisch wie fachlich nur schlecht ausgebildetem Personal.

Im sechsten Kapitel untersucht Lindenberger Herkunft, Geschlecht und Bildung der Volkspolizist*innen. Neben dem politischen Wunsch möglichst junge, parteiverbundene und aus der Arbeiterschaft stammende Mitarbeiter*innen zu haben ist das Geschlechterverhältnis bzw. die Geschlechterhierarchie ein spannender Aspekt. Waren 1948 etwa ein Sechstel des Polizeipersonals Frauen sank dieser Anteil auf unter ein Zehntel 1968. Insbesondere Aufstiegschancen wurden ihnen kaum eingeräumt, da, so eine Direktion des Innenministeriums von 1965, Führungstätigkeiten „’eine besondere operativ-taktische Ausbildung erfordern und die physische Belastung der Dienstdurchführung für Frauen zu groß’“ sei (S.238).

Anhand von Fallbeispielen untersucht Lindenberger die Abschnittsbevollmächtigten in ländlichen Regionen, die Freiwilligen Helfer*innen der Volkspolizei und den Straftatbestand des „Rowdytums“.

Die Abschnittsbevollmächtigten der Volkspolizei auf dem Land ließen sich gerade zu Beginn nicht umfassend politisch kontrollieren und standen zwischen ihren staatlichen Aufgaben und lokaler Loyalität, die jedoch u.a. durch die zunehmende Kollektivierung weniger Ausdruck fand.

Die Freiwilligen Helfer der Volkspolizei sind ein besonderes Element polizeilicher Arbeit. Da es sich hierbei um ehrenamtliche Laien handelte, war ihre enge Anbindung an Volkspolizist*innen vorgesehen, was aber erst im Laufe der 1950er durchgehend gelang, da sich die zeitweise 150.000 Helfer*innen auch untereinander organisierten und dann teilweise von den Interessen der Volkspolizei abwichen. Sie dienten zum Einen der personellen Verstärkung, in ihrer halbzivilen Rolle war ihre Aufgabe jedoch auch die „diskrete Ausspähung der Gesellschaft, gerade dort, wo sich die Arbeiter-und-Bauern-Macht bislang keinen Zugang hatte verschaffen können“(S.276).

Auf weiteren achtzig Seiten analysiert Thomas Lindenberger den Umgang der Volkspolizei mit dem sogenannten Rowdytum von 1956-1969. Dieser Straftatbestand blieb auch im weiteren Bestehen maßgeblich eine Aufgabe der Volkspolizei und wurde nur zum Teil von der Staatsicherheit verfolgt. Dabei handelte es sich aus Sicht der Volkspolizei um eines der politisch problematischsten und umfangreichsten Felder. Das liegt zum einen in der unspezifischen Beschreibung, die dem polnischen und sowjetischen Strafrecht entstammt, ursprünglich aus dem Jugendstrafrecht. So war in der DDR „Rowdytum“ anfangs u.a. als „Synonym für den gewaltbereiteten, häufig betrunkenen und ungehobelten Störer öffentlicher Ordnung“ (S.368) oder als „Halbstarken-Krawall“ charakterisiert ohne juristisch festgeschrieben zu sein.

Wurde anfangs noch „Schund- und Schmutzliteratur“ und westlich-imperialistische Medien verantwortlich gemacht, begann in den 1960ern eine Kriminologie, die nach den psychologischen Komponenten fragte.

Hinzu kommt, dass die Volkspolizei trotz verschiedenen Strategien und Ausweitung ihrer Bemühungen, daran scheiterte, die Jugendlichen im politischen Sinne umzupolen.

Bewusst setzte die Volkspolizei nicht auf eine Tötung der betroffenen Jugendlichen, wenn auch durchaus Gewalt gegen sie angewandt wurde. Hoffnung lag auf einer jugendfürsorglichen Betreuung, die mithilfe einer „autoritär-fürsorgliche[n] Umerziehung“ (S.447) und gesellschaftlicher Reintegration gelingen sollte.

Der Versuch „Rowdys“ mit Begriffen wie „Asozialität“ und „negativ-dekadent“ zu belegen und gesellschaftlich auszugrenzen hatte ebenso wenig Erfolg, da sich die Jugendlichen etwa mit Beatmusik ganz bewusst neben sozialistisch-gesellschaftliche Normen stellten.

„Asozialität“ wurde jedoch auch in dem ähnlich vage formulierten §249 DDR-StGB verhandelt, mit dem gleichen Ziel ein „Fremde[s] im Eigenen der sozialistischen Menschengemeinschaft“ (S.446) zu konstruieren. Neben der umfangreichen Darstellung von Gesetzen, Beschlüssen und deren Umsetzung liefert Thomas Lindenberger hier eine treffende Analyse: „Der Rowdytumdiskurs knüpfte ungebrochen an Topoi der antimodernen und antiwestlichen Kulturkritik an und stand mit seiner Rede von Dekadenz und sexuellen Ausschweifungen dem Entartungsdiskurs der nationalen Rechten erstaunlich nahe.“ (S.446)

Die Erfassung im Strafgesetzbuch 1968 war jedoch auch nur vage umrissen. „Rowdytum“ wurde als „Verhaltensweise von Personen, die die öffentliche Sicherheit, Ordnung und Disziplin in zumeist herausfordernder, brutaler oder demonstrativer Weise angreifen, um deren Mißachtung zum Ausdruck zu bringen“ (§215 DDR-StGB) definiert.

So diente der Paragraph auch weiterhin der politischen Beurteilung und Verfolgung. 

Was Thomas Lindenberger gelingt, ist eine detaillierte und gleichzeitig umfassende Beschreibung der Geschichte der frühen Volkspolizei und ihres Aufbaus. Diese ist zwar nur teilweise mit seinen Fallbeispielen verknüpft, was allerdings für ein Standardwerk auch keine Voraussetzung sein soll.

Wer weiter zur DDR-Volkspolizei forschen will, würde sich freuen wenn ein ähnlich präziser und umfangreicher Band auch für die letzten 20 Jahre der DDR erscheinen würde.

 

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