Schwerpunkt: Fachdidaktik Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung der Universität Wien (Hg.): historisch-politische bildung Nr. 8/2015. 

Von Lucas Frings

Herausgegeben in der Reihe „historisch-politische bildung. Themendossiers zur Didaktik von Geschichte, Sozialkunde und Politischer Bildung“ befasst sich das achte Heft aus dem Jahr 2015 mit der Öffnung Österreichs nach Mittel-und Osteuropa und deren wechselseitige Auswirkungen auf Österreichs Politik und Kultur. Es entspringt dem Forschungsprojekt „Offene Grenzen, neue Barrieren und gewandelte Identitäten. Österreich, seine Nachbarn und die Transformationsprozesse in Politik, Wirtschaft und Kultur seit 1989“ der Salzburger Dr. Wilfried-Haslauer-Bibliothek.

Aus einem fachwissenschaftlichen und einem fachdidaktischen Teil bestehend richtet sich das Dossier vor allem an Lehrkräfte der Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften. In fünf Fachbeiträgen werden die Themen aufbereitet, die anschließend in Methoden für den Schulunterricht angewandt werden können.

Michael Gehler zeichnet in seinem Beitrag Ursachen und Anlässe nach, die zu den „revolutionären Ereignissen“ in Mittel- und Osteuropa führten. Dafür vergleicht er die Entwicklungen in Polen, Ungarn, Rumänien, der DDR und der ČSSR und nimmt in den Blick welchen Anteil Revolutionen bzw. Reformen jeweils an den Umbrüchen hatten. Dabei stellt er fest, dass die Bewegungen, die bei den „Refolutionen“ (eine Wortschöpfung für das Ineinandergreifen von Revolutionen und Reformen) in Polen, der CSSR und der DDR eine große Rolle spielten, unmittelbar danach zerfielen oder unbedeutend wurden. Sie konnten die Mächtigen absetzen, jedoch keine eigene neue Ordnung aufbauen. Neben nun möglichen „demokratiepolitischen Aufbrüchen und Emanzipationen“ (S.13), entstanden auch „neue nationale Bedrohungen und internationale Risiken“ (S.13) wie die Teilung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik 1993, der Bürgerkrieg in Jugoslawien und die finanziellen Fördermaßnahmen der Europäischen Gemeinschaften.

Beziehungen auf wirtschaftlicher und kultureller Ebene

Dem sogenannten Osthandel und österreichischen Unternehmen in Mittel- und Osteuropa widmet sich Oliver Kühschelm. Nachdem das Österreich der Ersten Republik bereits intensive Handelsbeziehungen insbesondere mit der Tschechoslowakei und Ungarn geführt hatte, musste dieser Exportmarkt nach 1945 von neuem erschlossen werden. Dazu gehörten Banken, die ab Mitte der 1970er-Jahre mit Niederlassungen in Ungarn Finanzdienstleistungen entwickelten, und Joint Ventures, die österreichischen Unternehmen neue Märkte erschlossen während Betriebe in den östlichen Nachbarländern vom Knowhow und erhöhten Produktionskapazitäten profitierten. Neben den sich – trotz der Unwägbarkeit der Konsequenzen einer möglichen reformkommunistischen Veränderung – scheinbar lohnenden Profiten sieht Kühschelm auch historisch tradierte „Ostfantasien“, etwa eine Anknüpfung an k.u.k.-Geschichte als Anreiz für Unternehmen in Ost- und Mitteleuropa zu investieren.

Kulturbeziehungen mit den „Ostblockstaaten“ bestanden seit Mitte der 1960er-Jahre. Andrea Brait untersucht welche Auswirkungen die Umbrüche von 1989 auf die österreichische Kulturaußenpolitik hatten. Politische Einheit bestand in Österreich bei dem entschiedenen Ausbau der kulturellen Förderung durch Erhöhung der Mittel, die Eröffnung repräsentativer österreichischer Kulturinstitute und Österreich-Bibliotheken. Auch wenn kleinere kulturelle Einrichtungen in mittel- und osteuropäischen Staaten bereits vor 1989 präsent waren, hoben Abkommen, die größtenteils 1990 in Kraft traten, die Auslandskulturarbeit auf eine neue Ebene. Neben einem Einfluss auf gesellschaftliche Reformen und eine Demokratisierung nahm die „Abgrenzung von Deutschland zum Zweck der Förderung einer eigenständigen nationalen Identität Österreichs“ (S.26) eine zentrale Rolle ein. So wurden Kooperationen mit Goethe-Instituten abgelehnt und die „Eigenständigkeit der österreichischen Sprachvarietät und Kultur“ (S.26) betont. Brait stellt jedoch abschließend fest, dass die Bemühungen in der Kulturpolitik kaum Einfluss auf die politische Öffnung der Nachbarländer hatte.

Andreas Pudlat wirft aus österreichischer Perspektive einen Blick auf das Schengener Abkommen. Österreich war kein Mitglied der Europäischen Gemeinschaft und konnte somit auch weder beim ersten Abkommen 1985 noch beim Schengener Durchführungsübereinkommen 1990 teilhaben. Ab 1997 trat das Abkommen auch für Österreich in Kraft wonach nun lediglich im Ausnahmefall reguläre Grenzkontrollen stattfanden. Im Weiteren zeichnet Pudlat Diskurse zur Kontrollfreiheit angesichts von Migration nach, etwa der Wandlung des insbesondere im DDR-Kontext verwandten Begriffs des „Fluchthelfers“ zum „Schlepper“ oder die mediale und politische Instrumentalisierung von Grenzkontrollen.

Im letzten fachwissenschaftlichen Artikel betrachtet Marcus Gonschor die Memoiren von Helmut Kohl, George H.W. Bush, Ronald Reagan unter der Fokussierung auf 1989. Hierbei wird deutlich wie wichtig ein neutrales, geeintes Deutschland für die beiden US-amerikanischen Präsidenten war. In Kohl fanden beide zu ihrer Zeit einen Ansprechpartner mit ähnlichen Vorstellungen eines gesamtdeutschen NATO-Beitrittes, der den USA auch einen Verbleib von Militärtruppen sicherte. Kohl hingegen wusste um die US-amerikanische Unterstützung für ein deutsches Recht auf Selbstbestimmung bei der Vereinigung und darüber hinaus.

Unterrichtsvorschläge

Der fachdidaktische Teil des Dossiers umfasst 25 Beispiele für Unterrichtseinheiten. In einem kurzen einleitenden Text halten die fünf Autor_Innen fest, dass die Umbrüche 1989 und das Ende des Kalten Krieges „zentrale Themen für die Geschichts- und Politikdidaktik“ (S. 43) sind. Ein Lernen im historisch-politischen Unterricht könne Bilder bzw. Karten von Europa im Kopf der Teilnehmenden offenlegen und kontrovers und multiperspektivisch betrachten. Dies könne „geografische Abgrenzungsversuche genauso wie historische Konstellationen durch den Eisernen Vorhang, kulturell-religiöse Konnotationen im Sinne eines ‚christlichen Abendlandes’ oder die institutionelle Vorstellung von EU-Europa“ (S. 43f.) umfassen. Dadurch soll eine Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie eine politische Mündigkeit bei Schüler_innen entwickelt werden, die, etwa durch patriotisch-nationalistische Gefühle oder abwertende Vorurteile hervorgerufenen, Grenzen im Kopf entgegenwirken sollen.

Die Unterrichtsbeispiele zeichnen sich durch eine große Themen- und Methodenvielfalt aus. Unter anderem eine Foto- bzw. Karikaturenanalyse, ein Worldcafé zum Vergleich von Umbrüchen in verschiedenen Ländern, Rechercheformate oder die Erstellung von Quizze, Radiobeiträgen oder Ausstellungen stärken Sach-, Orientierungs-, Urteils- und Methodenkompetenz der Schüler_innen gleichermaßen. Lehrkräfte finden hier neben gut verständlichen Anleitungen und prozesshaften Beschreibungen der Einheiten alle benötigten Materialien als ansprechende Kopiervorlagen vor.

Fazit

Das vorliegende Dossier bietet Lehrer_innen zahlreiche Möglichkeiten ein Thema zu bearbeiten, das so bisher in Schulbüchern oder fachdidaktischen Handreichungen nur selten aufbereitet ist. Die fünf Fachbeiträge vermitteln Grundwissen und zeigen für den Unterricht wichtige Perspektiven auf. Die anschließenden Vorschläge für die Unterrichtsgestaltung sind thematisch anspruchsvoll, methodisch kreativ und abwechslungsreich. Gleichzeitig sind die Methoden nicht starr und können auch für den Unterricht mit deutschen Schüler_innen überarbeitet und genutzt werden.

Das Heft steht kostenlos zum Download zur Verfügung.

 

Add comment

CAPTCHA
This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.