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„Jüdische Frontsoldaten – zwischen Zugehörigkeit und Ausgrenzung“ Ein Überblick

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Anne-Susann Schanner ist Historikerin und Bildungsreferentin des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. im Landesverband Berlin.

Von Anne-Susann Schanner

Der erste globale Konflikt des 20. Jahrhunderts veränderte durch den industriellen und technischen Fortschritt alle bisher geltenden Werte. Mit seiner Brutalität, den Millionen Opfern und Verwundeten, der Zahl der beteiligten Länder und seinen politischen Folgen stellte der vier Jahre währende Krieg alles bis dahin Gewesene in den Schatten. Er stellte eine Zäsur mit tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und Auswirkungen auf ganz Europa dar.

2018 jährt sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum einhundertsten Mal. Lange Zeit stand die Erinnerung an diesen Krieg in Deutschland im Schatten des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Verbrechen. Ein Jahrhundert nach den Ereignissen des Ersten Weltkrieges fällt es schwer, die dramatischen Veränderungen in den Lebensumständen der Menschen nachzuvollziehen. Da keine Zeitzeug_innen mehr berichten können, droht er im kollektiven Gedächtnis immer mehr zu verblassen. Wer weiß heute, dass etwa 100.000 deutsche Juden, mehr als 17% der damaligen jüdischen Bevölkerung, für das Deutsche Reich in den Krieg zogen – nicht selten freiwillig? Was ist bekannt über den Antisemitismus, die Ausgrenzung und die Diskriminierung jüdischer Soldaten – in der Gesellschaft und im Heer?

„Burgfrieden“

Wie ihre christlichen und atheistischen Mitbürger_innen wurden Jüdinnen und Juden 1914 von einem patriotischen Taumel erfasst und fielen in die allgemeine Kriegsbegeisterung mit ein. Kurz nach Kriegsbeginn pflegte man das Ideal des „Burgfriedens“ zwischen den politischen, sozialen und konfessionellen Lagern. „Ich kenne (…) keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder“, verkündete Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914 bei seiner zweiten Balkonrede. Ein Großteil der deutschen Jüdinnen und Juden glaubte daran, dass sich diese Aussage bewahrheiten und der Krieg die gesellschaftlichen Grenzen zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Deutschen verwischen würden. Denn trotz rechtlicher Gleichstellung und Assimilierung der jüdischen Bevölkerung, hatte sich im Deutschen Reich ein latenter Antisemitismus breit gemacht. Die jüdischen Soldaten hofften, durch den Kriegseinsatz endlich Anerkennung und Gleichberechtigung zu finden. Sie wollten ihre Loyalität und Zugehörigkeit zum deutschen Volk, ihren Patriotismus und ihre Opferbereitschaft beweisen – etwa jeder Zehnte bezahlte dafür mit dem Leben.

„Judenzählung“

Das Ideal des „Burgfriedens“ sollte nicht lange währen. Je länger der Krieg andauerte, die deutschen Anfangserfolge abebbten, die Opferzahlen stiegen und sich in der Heimat die Versorgungslage verschlechterte, desto mehr hetzten rechtsnationale Verbände und Parteien gegen jüdische Männer. Man stellte ihre Loyalität in Frage und warf ihnen vor, sich vor dem Militärdienst an der Front zu drücken. In der sogenannten „Judenzählung“, auf Anweisung des preußischen Kriegsministeriums von 1916, fand der Antisemitismus einen ersten Höhepunkt. Für die jüdischen Soldaten war dieser Vorwurf der Drückebergerei ein Affront. Das Ergebnis der Zählung wurde nicht veröffentlicht, es lieferte keinerlei Beweise für das Vorurteil.

„Dolchstoßlegende“

Als die deutsche Niederlage absehbar wurde, versuchten Militärs und verantwortliche Politiker, die Schuld von sich zu schieben. Die Propaganda, die Juden und Jüdinnen zu Sündenböcken machte und darauf abzielte, sie für die Misserfolge verantwortlich zu machen und als Drückeberger, Saboteure und Kriegsgewinnler zu denunzieren, verstärkte sich zunehmend. Die ihnen unterstellte Unterstützung, sogar die maßgebliche Leitung einer gegen Deutschland gerichteten internationalen Verschwörung, stellte für viele deutsche Juden den schmerzlichsten Angriff dar.

In der historischen Forschung wird die Legende als Geschichtsfälschung und Rechtfertigung der militärischen und nationalkonservativen Eliten des Kaiserreichs bewertet. Die zugewiesene Schuld am verlorenen Krieg war der Auftakt zum Heranwachsen des Antisemitismus in der Gesellschaft, der letztlich im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust endete.

Reichsbund jüdischer Frontsoldaten

Die feindlichen Akte gegen jüdische Soldaten und Bevölkerung, ließ die Hoffnung sterben, dass die Juden im gemeinsamen Kampf für das Vaterland volle Anerkennung in der Gesellschaft erreicht hätten und erreichen würden. Der 1920 als Reaktion auf die antisemitischen Verleumdungskampagnen gegründete Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) machte es sich zur Aufgabe über den Einsatz jüdischer Soldaten im Krieg zu informieren, die Kriegsteilnehmer zu ehren und der gefallenen Soldaten zu erinnern. Gut die Hälfte der überlebenden jüdischen Frontkämpfer trat dem Bund bei. Der RjF war neben dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens die zweitgrößte jüdische Organisation in der Weimarer Republik.
Mit dem Pogrom vom 9. November 1938 stellte der RjF seine Tätigkeit ein. So sehr sich die jüdischen Soldaten im Krieg auch bewährt haben mochten, sie konnten sich dem Zugriff des nationalsozialistischen Regimes nicht entziehen und wurden letztlich zu Opfern einer verbrecherischen Ideologie. Weder die Tatsache, dass etwa 12.000 jüdische Soldaten auf deutscher Seite gefallen waren, noch die Listen der 30.000 Tapferkeitsmedaillen, der 900 Ritter des Eisernen Kreuzes Erster Klasse und der 17.000 Träger des Eisernen Kreuzes Zweiter Klasse sowie 23.000 Beförderungen halfen, den Verbrechen der Nationalsozialisten zu entkommen.

Bildungspaket zum Ersten Weltkrieg des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

Anlässlich zum Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren wurden für das bereits bestehende Bildungspaket „14/18 – Mitten in Europa“ des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zwei pädagogische Ergänzungsmodule konzipiert, die den Blick auf das Kriegsende und kurz danach richten und Anregungen für den Unterricht und Projekte geben sollen.

Eines der Module hat den Umgang mit jüdischen Frontsoldaten, deren Zugehörigkeit und Ausgrenzung zum Thema. Dabei werden die oben aufgeführten einschlägigen Ereignisse wie „Burgfrieden“, „Judenzählung“ und „Dolchstoßlegende“ und „RjF“ aufgegriffen, um mittels Quellenarbeit die Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden und besonders gegen die jüdischen Weltkriegsteilnehmer herauszuarbeiten. Schüler_innen haben die Möglichkeit, diese speziellen historischen Ereignisse in den Kontext der politischen und sozialen Situation der Kriegs- und Nachkriegszeit einzuordnen und mit der Entwicklung des Antisemitismus im Ersten Weltkrieg und kurz danach zu verbinden. Neben Propaganda-Karikaturen, Gedichten und Einzelschicksalen bieten die Arbeitsblätter allgemeine Informationen zum Thema sowie Frage- und Aufgabenstellungen für den Unterricht. Das Modul kann als Überblick und Einleitung genutzt werden, um das Wissen über jüdisches Leben in Deutschland vor 1933 zu erweitern und um weiterführend gegen Ausgrenzungsprozesse zu sensibilisieren und über Identität nachzudenken.

In einem zweiten Modul wird das Thema der „Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkrieges“ aufgegriffen. Der Erste Weltkrieg brachte neuartige Formen im Umgang mit Tod und Trauer hervor, vor allem die der mythisierten Verklärung des Massensterbens mittels Kriegerdenkmäler. Diese lassen zeitgenössische Perspektiven auf Krieg und Kriegstod greifbar werden. Zudem existieren sie in fast jedem Ort, meist jedoch unbeachtet und vergessen. Dabei bieten die Denkmäler die Möglichkeit, die große Geschichte an lokalen oder regionalen Beispielen zu illustrieren und zu konkretisieren.

Bei tiefer gehender Recherche bietet sich auch die Möglichkeit, beide Module miteinander zu verbinden und anhand von Kriegerdenkmälern den Umgang mit der Erinnerung an jüdischen Frontsoldaten während des Dritten Reiches zu diskutieren: Die Nationalsozialisten setzten alles daran, das Andenken an die gefallenen jüdischen Soldaten auszulöschen. Dies beinhaltete auch das nachträgliche Entfernen ihrer Namen von sogenannten Ehrenmälern und Gedenksteinen.

Das Bildungspaket „14/18 – Mitten in Europa“ wurde bereits 2014 konzipiert und beinhaltet eine Ausstellung, welche in sechs Themenkreisen u.a. Schicksale der Soldaten und der Bevölkerung an der „Heimatfront“, die politische Neuordnung der Zwischenkriegsjahre sowie den Weg in eine neue europäische Einigung darstellt. Diverse Arbeitsblätter zur Ausstellung helfen Schüler_innen, Inhalte zu erschließen sowie Einzelaspekte zu vertiefen.
Die umfangreiche pädagogische Handreichung bietet, neben historischen Hintergrundinformationen zum Ersten Weltkrieg, Unterrichtsmaterialien, die die Auseinandersetzung mit dem Thema vertiefen.
Einen weiteren Zugang für Schüler_innen, der ein besseres Einordnen und Verstehen der Zusammenhänge und Folgen des Ersten Weltkrieges ermöglicht, bietet die Lernapp „Lost Generation“. Hier können Schüler_innen in insgesamt fünf Biografien Jugendlicher und junger Erwachsener – darunter der Soldat und Feldrabbiner Ezechiel Hasgall - zur Zeit des Ersten Weltkrieges eintauchen.

Die Module zu den Themen Kriegerdenkmäler und jüdische Frontsoldaten stehen ab Mai als pdf-Datei frei zum Download bereit.

Das Bildungspaket zum Ersten Weltkrieg ist über schule [at] volksbund [dot] de sowie über die einzelnen Landesverbände des Volksbundes bestellbar.

Literatur

Berger, Michael: Für Kaiser, Reich und Vaterland: Jüdische Soldaten. Eine Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Zürich 2015.

Hank, Sabine; Simon. Hermann: „Bis der Krieg uns lehrt, was der Friede bedeutet.“ Das Ehrenfeld für die jüdischen Gefallenen des Weltkrieges auf dem Friedhof der Berliner Jüdischen Gemeinde. Berlin 2004.

Dr. Käppner, Joachim; Wetzel, Jakob (Hg.): Menschen im Krieg: Europas Katastrophe 1914-1918. o.O. 2014.

Rosenthal, Jacob: „Die Ehre des jüdischen Soldaten“: die Judenzählung im Ersten Weltkrieg und ihre Folgen. Frankfurt am Main 2007.

Sieg, Ulrich: Jüdische Intellektuelle im Ersten Weltkrieg: Kriegserfahrungen, weltanschauliche Debatten und kulturelle Neuentwürfe. Berlin 2008.
 

 

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