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Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945

Von Frederik Schetter

Die Erforschung des Nationalsozialismus, des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs hat eine Reihe von Veröffentlichungen hervorgebracht, die sich speziell mit den vielfältigen Formen von Widerstand in einzelnen Ländern auseinandersetzen. Ein von Gerd R. Ueberschär unter Mitarbeit von Peter Steinkamp herausgegebenes Handbuch fasst die Vielzahl an Fallstudien in einer Publikation zusammen und bietet auf der Grundlage des aktuellen Forschungsstands eine umfassende Gesamtschau über Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa von 1933 bis 1945. Insgesamt 31 – jeweils etwa 10 Seiten lange – Beiträge widmen sich den Widerstandsmöglichkeiten und -formen in unterschiedlichen europäischen Ländern.

Die länderspezifischen Beiträge sind geografisch in fünf Rubriken gegliedert. Die Autor_innen stellen jeweils zentrale Entwicklungen und Akteure des Widerstands dar, gehen auf Aspekte der Kollaboration ein und skizzieren die Rezeption und wissenschaftliche Aufarbeitung des Widerstands nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Neben in den inhaltlichen Beiträgen genannten, länderspezifischen Literaturhinweisen findet sich im Anhang des Handbuches eine mehrseitige Auswahlbibliografie. Hier ist eine Vielzahl von Überblickswerken zum Thema Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa aufgeführt.

Fehlende politische Anerkennung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

In der Rubrik „Widerstand in den Gebieten der ‚Achsenmächte‘“ geht Wolfgang Neugebauer in seinem Beitrag auf Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Österreich ein. Nach dem „Anschluss“ Österreichs, der erzwungenen „Flucht Tausender potentieller NS-Gegner“ (S.31) und der „weit über die NS-Sympathisanten hinausgehende[n] pronazistische[n] Jubelstimmung“ (Ebd.) sieht er vor allem die organisierte Arbeiterbewegung und das katholisch-konservativ-bürgerliche Lager als zentrale Gegner des NS-Regimes. Erst seit Mitte der 1960er Jahre sei diesen Gruppen jedoch politische Anerkennung und wissenschaftliche Aufmerksamkeit zugekommen. In der öffentlichen Debatte in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg habe in Österreich vielmehr eine negative Sicht auf die Widerständler_innen vorgeherrscht und vor allem die zahlenmäßig starke Gruppe der ehemaligen Weltkriegsteilnehmer und ehemaligen NS-Anhänger sei von den Regierungsparteien umworben worden.

Widerstand als nationales Narrativ

Dem „Mythos des nationalen und geschlossenen Abwehr- und Freiheitskampfes“ (S.79) in Dänemark widmet sich in der Rubrik „Widerstand im besetzten Nord- und Westeuropa“ Karl Christian Lammers. Er hebt die Ambivalenz der politischen Situation in Dänemark zwischen Widerstand und Kollaboration hervor und definiert Widerstand als „aktiven und bewaffneten Kampf gegen die fremde Besatzungsmacht“ (S.74). Dieser sei in Dänemark nach einer Phase der politischen Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht erst ab 1942/43 zunehmend zu erkennen gewesen und habe sich überwiegend in Sabotageaktionen ausgedrückt. Vor allem die letzten zwei Jahre vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs sieht Lammers als Grundlage des in Dänemark lange Zeit vorherrschenden nationalen Mythos, welcher einen „Brückenschlag zwischen der Widerstandsbewegung und den Politikern, die die Politik der Zusammenarbeit getragen hatten, ermöglichte“ (S.79). Gab es seit den 1970er Jahren Ansätze, dieses Narrativ in Frage zu stellen, so habe erst die jüngere Forschung die „politische und ideologisierte Konsensvorstellung überwunden“ (S.82).

In der Rubrik „Widerstand im besetzten Ost- und Mitteleuropa“ beleuchtet der Beitrag von Karsten Brüggemann die deutsche Besatzung in Estland. Er betont, dass die Mehrheit der estnischen Bevölkerung den Einmarsch der Wehrmacht aufgrund der vorherigen sowjetischen Besatzung als Befreiung ansah und der Umgang der deutschen Besatzer mit den Esten „im osteuropäischen Kontext vergleichsweise rücksichtsvoll“ (S.226) war – was aber nicht für die estnischen Jüdinnen und Juden galt. Diese spezielle politische Ausgangslage führte Brüggemann zufolge dazu, dass es in Estland zwar eine „weit verbreitete individuelle Verweigerungshaltung“ (S.228) gab, welche sich beispielsweise in desertierenden estnischen Soldaten äußerte, jedoch keine aktive Widerstandsbewegung gegen die deutsche Besatzung. Sieht Brüggemann in der jüngsten Erforschung der estnischen Geschichte Ansätze zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Zeit der deutschen Okkupation, so stehe sie bis heute im Schatten der sowjetischen Besatzung. In der estnischen Erinnerungspolitik werde zudem bis heute nur der Widerstand gegen die Sowjets als „echter“ Widerstand angesehen.

Widerstand in aktuellen erinnerungspolitischen Prozessen

Mit der bewaffneten Resistance in Griechenland beschäftigt sich im Kontext von „Widerstand auf dem Balkan und im besetzten Südosteuropa“ der Beitrag von Hagen Fleischer. Detailliert und pointiert beschreibt er nicht nur die unterschiedlichen Akteure des griechischen Widerstands, sondern geht auch besonders ausgiebig auf die Folgen von historischen Narrativen und Geschichtspolitik bis in die aktuelle griechische Gesellschaft ein. So sei seit der deutschen Einheit eine zunehmende Germanophobie auffallend, die durch die „Mauertaktik der Bundesregierung(en)“ (S.308) bzgl. der aufgrund der während der Besatzung verübten Verbrechen geforderten Reparationszahlungen verstärkt werde.

Den Abschluss der Rubrik „Widerstand aus der Emigration und Auseinandersetzungen im Exil“ bildet der Beitrag von Gerd R. Ueberschär. Er geht auf emigrierte und vertriebene Deutsche oder Österreicher ein, welche im Verlauf des Zweiten Weltkriegs militärisch auf der Seite der Alliierten gegen die Achsenmächte kämpften oder Widerstandsgruppen beispielweise in Frankreich, Dänemark, der Sowjetunion oder in Belgien unterstützten. Die alliierten Militärführungen standen ihnen anfangs skeptisch gegenüber, da beispielsweise Briten und Amerikaner eine „Unterwanderung durch kommunistische Emigranten befürchteten“ (S.353). Ueberschär hebt hier vor allem den Nutzen der deutschen und österreichischen Soldaten als Vermittler und Übersetzer zum Ende des Zweiten Weltkriegs hervor.

Zusammenfassung

Das Handbuch bietet einen beindruckend umfassenden Einblick in die Entwicklungen von Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa von 1933 bis 1939. Es eignet sich nicht nur hervorragend, um einen Überblick über die Thematik zu gewinnen, sondern bietet auch einen guten Ausgangspunkt für tiefergehende Analysen wie beispielsweise eine vergleichende Betrachtung der Widerstandsformen und -bedingungen. Dass die Autor_innen immer jeweils die Rezeptionsgeschichte aufgreifen und die wissenschaftlichen Auseinandersetzung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs skizzieren, fügt dem Band zudem einen deutlichen Mehrwert hinzu.

Literatur

Gerd R. Ueberschär (Hg.): Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945, De Gruyter, Berlin 2011, 383 Seiten, 109,95 Euro.

 

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