Von Frederik Schetter

Die Gegner_innen des Nationalsozialismus verband keine einheitliche Weltanschauung, vielmehr leisteten Menschen von unterschiedlicher sozialer Herkunft aus verschiedenen Beweggründen Widerstand gegen das NS-Regime. Die Mitglieder eines Berliner Widerstandsnetzwerks, von der Gestapo dem Fahndungsnahmen „Rote Kapelle“ zugeordnet, bildeten dabei keine Ausnahme. Hier fanden sich von Wehrmachtsbediensteten bis zu Jungkommunist_innen insgesamt mehr als 150 Regimegegner_innen zusammen. Die Geschichte(n) einiger Widerstandskämpfer_innen erzählt ein erst vor knapp einem Monat veröffentlichter Audiovideoguide. Dieser begibt sich auf die Spuren der Roten Kapelle im Zentrum von Berlin. Entwickelt wurde er von dem Künstler Stefan Roloff in Kooperation mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds.

Technisch unkomplizierte Umsetzung

Der Audiovideoguide kann kostenfrei sowohl in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand ausgeliehen als auch auf Android-Geräten als App heruntergeladen werden. Er steht in den Sprachen Deutsch, Englisch, Spanisch sowie in einer Variante für Gehörlose zur Verfügung und ist technisch sowohl hochwertig als auch unkompliziert umgesetzt. In insgesamt 15 zumeist etwa ein- bis sechsminütigen Videos führt der Audiovideoguide die Nutzer_innen vom Tiergarten über die Wilhelmsstraße bis zur Topographie des Terrors. Dauer der gesamten Tour sind etwa 80 bis 90 Minuten. Ständige Begleiter sind die beiden Tourguides Felix von Harnack und Kolja Unger. Sie führen die Nutzer_innen in den Videos von Ort zu Ort, geben Hintergrundinformationen und ordnen historische Personen sowie Prozesse ein.

Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen

Im Zentrum des Audiovideoguides stehen die Geschichten der Widerstandskämpfer_innen um die Ehepaare Libertas und Harro Schulze-Boysen sowie Mildred und Arvid Harnack, von denen viele nach der Aufdeckung der Roten Kapelle durch die Gestapo ab August 1942 hingerichtet wurden. Die Lebensgeschichten der Widerstandskämpfer_innen werden nicht nur erzählt, sondern vielmehr durch das Vorlesen von Briefen und Berichten sowie durch immer wiederkehrende schwarz-weiße Videosequenzen, in denen historische Geschehnisse durch Schauspieler_innen nachgestellt werden, in hohem Maße erfahrbar gemacht. So steht man beispielsweise an einem Punkt im Tiergarten vor einer Parkbank, während im gleichen Moment in einer Videosequenz Harro und Libertas Schulze-Boysen auf ebendieser Bank sitzen – mit dem Unterschied, dass die Bank in der Videosequenz die Aufschrift „Nur für Arier“ zeigt. Die technisch hochwertige Umsetzung und das Einfügen von lebensechten Umgebungsgeräuschen lassen so die Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart im Laufe der Tour immer wieder verschwimmen.

Dass der Audiovideoguide nicht nur eine geografische Spurensuche ist, sondern darüber hinaus auch eine Aufarbeitung mit der persönlichen Vergangenheit ist, zeigt sich beim Blick auf die an der Entwicklung beteiligten Personen. Nicht nur Stefan Roloff, Felix von Harnack und Kolja Unger sind Nachfahren von Widerstandskämpfer_innen der Roten Kapelle, auch für die eingesprochenen Stimmen weiterer Mitglieder sind Nachkommen der jeweiligen Personen verantwortlich. Neben der detaillierten inhaltlichen Vorstellung der Roten Kapelle zeichnet sich der Audiovideoguide daher auch durch eine Reflexion darüber aus, wie man heute mit der eigenen Vergangenheit umgehen kann.

Zusammenfassung 

Mit dem Audiovideoguide zur Roten Kapelle ist den Beteiligten ein spannendes und technisch gut umgesetztes Produkt zur Geschichtsvermittlung gelungen. Wer sich über die Lebensgeschichten von Widerstandskämpfer_innen nicht nur informieren will, sondern die historischen Geschehnisse möglichst hautnah erleben will und dies gerne mit einem längeren Spaziergang durch das Zentrum Berlins verbindet, kommt hier auf seine Kosten.

 

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