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„Geh sterben“ – Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet

Von Frederik Schetter 

Ein Blick in die Geschichte zeigt: Konkrete Handlungen und Sprache lassen sich nicht voneinander trennen. Sprache bildet die Grundlage für spätere Taten; durch Sprache handelt man. Umso erschreckender ist die Feststellung, dass sich aktuell in Deutschland in einigen Kontexten eine zunehmende Radikalisierung der Sprache beobachten lässt. Rechtspopulistische Politiker_innen versuchen, aus gutem Grund tabuisierte Worte wie „völkisch“ in der öffentlichen Debatte wieder zu etablieren, Demonstrant_innen verwenden NS-geprägte Begriffe wie den der angeblichen „Lügenpresse“ zur Beschreibung der aktuellen deutschen Medienlandschaft und bei Online-Artikeln über Geflüchtete dauert es meistens nur wenige Minuten, bis der erste offen fremdenfeindliche Kommentar zu lesen ist. 

Speziell im Kontext des Internets stellt sich dabei die Frage, wie damit umgegangen werden kann. Kommentare sind meist anonymisiert und oft stellt sich zudem die Frage, wo die Grenze der Meinungsfreiheit erreicht ist. Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat aus diesem Grund eine Broschüre veröffentlicht, die sich auf insgesamt 40 Seiten genau mit dieser Thematik auseinandersetzt. Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Kinder sowie der Freudenberg Stiftung geförderte Handreichung „,Geh sterben‘ – Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“ geht der Frage nach, was mit „Hate Speech“ eigentlich gemeint ist und wie man sie erkennt, bietet Praxisbeispiele von betroffenen Personen und entwickelt Gegenstrategien. Gleich zu Anfang wird konstatiert, dass das deutschsprachige Äquivalent zu Hate Speech – die Hassrede – im Deutschen als Begriff noch nicht etabliert ist. 

Perspektive der Betroffenen als zentraler Ausgangspunkt 

Nach einigen einleitenden und kontextualisierenden Beiträgen bietet der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch einen Überblick über unterschiedliche Definitionen und direkte sowie indirekte Formen von Hate Speech. Er sieht eine Definition, die von der Betroffenenperspektive ausgeht, als am geeignetsten an und kommt so zu dem Schluss, dass Hate Speech dann vorliege, „wenn es Menschen gibt, die sich durch diese Rede herabgesetzt oder verunglimpft fühlen“ (S. 11). 

Dabei hebt er jedoch hervor, dass aus sprachwissenschaftlicher Sicht Hate Speech als solche nur dann festgestellt werde könne, wenn „eine sprachliche Äußerung oder ein Ausdruck nicht nur individuell und/oder situativ, sondern von einem wahrnehmbaren Teil der Sprachgemeinschaft als herabwürdigend und/oder verunglimpfend gegenüber einer Bevölkerungsgruppe verstanden“ (S. 12) werde. Dies ist – wie in der Broschüre auch an weiteren Stellen deutlich wird – ein zentraler Punkt: Hate Speech ist immer vom Kontext abhängig. Wie man sie im konkreten Fall erkennen kann, wird in der Handreichung sowohl durch einen kurzen Beitrag als auch durch in informativen Boxen aufgelistete Beispiele dargestellt. 

Hate Speech als Methode der Rechtsextremen 

Nach einem informativen Beitrag, in dem die Bloggerin Yasmina Banaszczuk Strategien von Hate Groups im Internet herausarbeitet, gibt die Broschüre auf einer Seite einen kurzen Überblick über die Nutzung von Hate Speech durch rechtsextreme Akteur_innen. Diese nutzen Hate Speech vor allem, um neue Mitglieder zu rekrutieren, Propagandamaterial zu verbreiten und durch das Brechen von gesellschaftlichen Tabus die Deutungshoheit über Debatten zu gewinnen. Geschieht dies anfangs vor allem auf subversive Art und Weise, indem Neonazis als vermeintlich normale Nutzer_innen auftreten, so sollen im späteren Verlauf Gegner_innen zunehmend eingeschüchtert und von Rechtsextremen geprägte Begriffe in den Mainstream getragen werden. Am Beispiel des Begriffs des „Kinderschänders“ zeigt die Broschüre, dass dies teilweise auch gelingt. 

Wie mit Hate Speech umgehen? Gegenstrategien und „Do’s and Dont’s“ 

Die zweite Hälfte der Broschüre entwickelt Gegenstrategien zu Hate Speech und bietet Einblicke in die praktische Arbeit von Personen, die sich tagtäglich mit Hate Speech auseinandersetzen oder von dieser bereits persönlich betroffen waren. Besonders hervorzuheben sind dabei zwei Beiträge: Zum einen das Interview mit der Psychologin Dorothee Scholz und zum anderen der Artikel des Rechtsanwaltes Ansgar Koreng. Die beiden Beiträge liefern eine psychologische und rechtliche Einordnung von Hate Speech und entwickeln auf dieser Basis Lösungsmöglichkeiten. Speziell bei der rechtlichen Perspektive kommt Ansgar Koreng jedoch zu dem Schluss, dass Hate Speech durch das Recht alleine nicht lösbar sei. 

Als eine wichtige Handhabe zum Regulieren von Online-Debatten und als rechtliche Absicherung werden in der Broschüre die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) hervorgehoben. „Do’s and Dont’s“ für die Formulierung und das Durchsetzen von AGBs werden genau wie die in unterschiedlichen Beiträgen herausgearbeiteten Gegenstrategien – beispielsweise das stärkere Moderieren von Diskussionen – übersichtlich und informativ auf zwei Seiten noch einmal zusammengefasst. Die am Ende aufgelistete relevante Literatur bietet jedem_r Leser_in die Möglichkeit, sich über unterschiedliche Aspekte der Thematik von Hate Speech weitergehend zu informieren. 

Zusammenfassung 

Die Broschüre „,Geh sterben‘ – Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“ bietet einen guten ersten Einblick in die Thematik. Es werden unterschiedliche Perspektiven und Probleme bzgl. des Erkennens von und des Umgangs mit Hate Speech deutlich. In der aktuellen Diskussion um Geflüchtete und einer in weiteren Beiträgen des aktuellen Magazins angesprochenen Aufbruchsstimmung in der rechtpopulistischen und rechtsextremen Szene liefert die Broschüre ein starkes Plädoyer dafür, sich für eine differenzierte Auseinandersetzung mit Sprachen und Begriffen zu engagieren.

Die Broschüre „,Geh sterben‘ – Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“ ist kostenfrei als PDF-Datei über die Website der  Amadeu-Antonio-Stiftung erhältlich: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/w/files/pdfs/hatespeech.pdf

 

 

 

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