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Grauzonen. Rechte jugendliche Lebenswelten in Musikkulturen

Von Christian Schmitt

Musik ist und war schon immer eine zentrale Ausdrucksform von Jugendkultur. Sie dient der Identifikation mit der jeweiligen Szene und gleichzeitig als Protest- und Abgrenzungsmittel. Das ist in mehr oder minder rechten Milieus nicht anders. Wettern Redner_innen auf Pegida-Demonstrationen vor überwiegend älterem Publikum gegen „Volksverräter“, „Lügenpresse“, „Linksfaschisten“ und „Gutmenschen“, werden für derartige Parolen empfängliche Jugendliche mit der Musik einschlägiger Bands erreicht. Die Berliner Agentur für soziale Perspektiven (ASP) hat diesem Thema eine Handreichung gewidmet und zeigt anhand von Beispielen aus der Musik rechte jugendliche Lebenswelten, Ideologien und Mentalitäten sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten innerhalb dieser.

Die Broschüre wurde im Rahmen des Projekts „Grauzonen – rechte jugendliche Lebenswelten“ erstellt, das sich mit rechten Milieus in Musikkulturen sowie im Sport beschäftigt. Ziel ist es, „die inhaltlichen und strukturellen Schnittstellen zwischen extrem rechten, rechten und vermeintlich unpolitischen Szenen und Milieus“ (S. 2) auszuarbeiten. Das Projekt will damit zum Ausdruck bringen, dass „das gesellschaftliche Problem mit den ‚Rechten‘ [nicht] auf offen auftretenden Neonazismus und Rechtspopulismus zu reduzieren [ist]“ (ebd.).

Südtiroler Band Frei.Wild – nur ein Spiegel ihrer Gesellschaft?

Gleich zu Beginn wird die Problemlage präzisiert: Einige mehr oder weniger prominente Beispiele zeigen, wie ambivalent sich manche Künstler_innen zwischen der vorgeblichen Ablehnung von Diskriminierung, Rassismus und Extremismus einerseits und dem Herabwürdigen von Minderheiten oder dem Verbreiten völkischer Inhalte andererseits bewegen. Die Bekanntesten sind hier der Rapper Bushido, ausgezeichnet mit dem Bambi-Medienpreis in der Kategorie „Integration“ und vielfach kritisiert für seine homophoben und frauenfeindlichen Texte, und die Südtiroler Band Frei.Wild, einst für den Musikpreis Echo nominiert und in ihrem Selbstverständnis ein Spiegelbild der Gesellschaft ihrer Heimat samt derer vermeintlich völkischen Vorstellungen. Die Broschüre umreißt das Phänomen so: „Ungleichheitsideologien werden an gesellschaftliche Diskurse angepasst […] und die Argumentation an dem ausgerichtet, was ohne negative Konsequenzen ‚sagbar‘ ist“ (S. 5).

Der erste Teil der Handreichung liefert begriffliche Grundlagen und arbeitet Ungleichheitsideologien heraus. Der Begriff „rechte Lebenswelten“ wird vom Begriff „Szene“ abgegrenzt, weil sich erst innerhalb der verschiedenen Musikszenen wie Hiphop, Deutschrock oder Metal „rechte Lebenswelten in vielen Ausprägungen“ (S. 10) wiederfinden. Es werden theoretische Gerüste erstellt, die Mechanismen der Diskriminierung und Ausgrenzung abbilden, sowie Ebenen der Diskriminierung und verschiedene Ungleichheitsideologien benannt (Ableism, Antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Biologismus, Chauvinismus, Heterosexismus, Rassismus, Sexismus, Sozialchauvinismus). 

Vier Typen von Teilhabenden in rechten Lebenswelten

Der zweite Teil beinhaltet die Ergebnisse aus der Beobachtung einiger ausgemachter rechter Lebenswelten. Die Teilhabenden innerhalb dieser Lebenswelten werden aufgeteilt in vier Idealtypen „in Hinblick auf ihre Nähe zur politischen Rechten und ihren Selbstverständnissen“ (S. 24): Den extrem rechten, den rechten, den rechtsaffinen und den nicht-rechten Typus, wobei die Grenzen fließend verlaufen. Die gemeinsamen und unterschiedlichen Merkmale dieser Typen werden in einem ausführlichen Schema dargelegt. Anhand von Beispielen wie Rassismus, Größen- und Verfolgungswahn oder der Glorifizierung von Heimat zeigt die Broschüre, wie zentrale, konsensbildende Bezugspunkte den inneren Zusammenhalt in den untersuchten Milieus herstellen. Dies erfolgt immer anhand der Analyse ausgewählter Textpassagen einschlägiger Bands und Künstler.

Der abschließende Ausblick diagnostiziert die beobachteten Missstände als „Symptome einer Gesellschaft, die zunehmend in Teilgruppen zerfällt“ (S. 48) und innerhalb derer viele „um ihre Privilegien (als Männer, Deutsche, ‚Angestammte‘ etc.) fürchten“ (ebd.). Die künftige Herausforderung besteht demnach darin, die Fans, die sich ehrlich von Rechtsextremismus und Diskriminierung abgrenzen, für diese Umstände zu sensibilisieren, und denen, die ihre Positionen für alternativlos erklären, auf einen Weg von Diskurs und kritischer Auseinandersetzung zurückzuführen.

Zusammenfassung

Die Handreichung „Grauzonen – Rechte jugendliche Lebenswelten in Musikkulturen“ ist eine kurze, aber informative Studie, die in einem hohen Maß an Differenzierung rechte Milieus beschreibt, die viele nicht als solche erkennen würden. Sie zeigt, dass Ungleichheitsideologien wie Homophobie, Sexismus oder die Ablehnung von Political Correctness auch im sogenannten „Mainstream“ als Bezugspunkte für junge Menschen dienen, die sich oftmals nie als politisch rechts, geschweige denn rechtsextrem verorten würden. Die Broschüre sei allen empfohlen, die sich auf diesem Gebiet einen Überblick verschaffen und das eigene Auge für rechte Tendenzen in Musikkulturen schärfen wollen.

Die Broschüre „Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten in Musikkulturen“ ist gegen eine Schutzgebühr von 2,50 Euro zzgl. Versand und Mehrwertsteuer über mail [at] aspberlin [dot] de (mail [at] aspberlin [dot] de) bestellbar.

 

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