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Perspektiven für die demokratiepädagogische Bildungsarbeit in der Schule

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Arila Feurich, M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Wettbewerb Förderprogramm „Demokratisch Handeln". Arbeitsschwerpunkte: Demokratiepädagogik, Schulentwicklung, Bildungslandschaften. Mario Förster, M.A., Koordinator des Aktionsplans Demokratiebildung Thüringen und Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Projekt "ViDem". Arbeitsschwerpunkte: Demokratiepädagogik, Schulentwicklung, Politische Bildung.

Von Arila Feurich/Mario Förster

Augenblicklich steht die demokratische Gesellschaft vor vielfältigen Herausforderungen: Demonstrationen, die eine hasserfüllte und menschenfeindliche Stimmung erzeugen, Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit den Taten des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ sowie der Umgang der europäischen Staaten mit Zuflucht suchenden Menschen sind nur einige exemplarische Auszüge. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob dies bereits Zeichen für eine Gefährdung der Demokratie sind. Sie zeigen, dass die demokratische Ordnung einer Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit ist, da das demokratische Politisch-Sein der Menschen nicht vorausgesetzt werden kann. Die Erhaltung demokratischer und zivilgesellschaftlicher Errungenschaften gleicht einer unendlichen Aufgabe. Eine Diskussion möglicher Konsequenzen und Antworten auf die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen sowie der demokratiebildenden Kräfte ist überfällig und notwendig, um das Aufwachsen junger Menschen verantwortungsvoll und verantwortungsbewusst zu gestalten. Eine pro-demokratische, professionelle Haltung muss für Akteure in pädagogischen Arbeitsfeldern eine grundlegende Kompetenz ihres beruflichen Wirkens sein. Eine Auseinandersetzung aller an Bildung Beteiligten darüber ist erforderlich, um unter den gegenwärtigen Bedingungen demokratieförderliche Bildungsprozesse auszulösen und unterstützen zu können.

Tatsächlich gibt es schon immer Schulen, die Lernstätten praktizierter Demokratie sind und so einen maßgeblichen Beitrag zur Prävention menschenfeindlicher Einstellungen leisten. Von den zahlreichen Beispielen einer gelungenen Auseinandersetzung erfährt die Öffentlichkeit jedoch nur wenig. Es obliegt oftmals dem individuellen Engagement der pädagogischen Fachkräfte, sich dem Thema zu widmen oder nicht. Das Förderprogramm „Demokratisch Handeln“ zeigt in diesem Themenfeld beispielgebende pädagogische Arbeit auf. Aufgrund des über 25-jährigen Bestehens gilt es als langjähriger Erfahrungsträger und wird nachfolgend vorgestellt. Daran schließt sich die Beschreibung eines Schulprojektes an, das sich mit aktuellen demokratiefeindlichen Tendenzen kreativ auseinandergesetzt hat.

Ein Förderprogramm für Jugend und Schule

Der Wettbewerb Förderprogramm „Demokratisch Handeln“ stärkt seit 1989 demokratische Haltung und Kultur und ist für alle allgemeinbildenden Schulen, Jugendarbeit sowie freie Initiativen in Deutschland ausgeschrieben. Ein Anlass zur Etablierung des Wettbewerbes war die Neugründung der Partei der „Republikaner“ Ende der 1980er Jahre, die nationalistisches und ausländerfeindliches Gedankengut vertrat und bei Wählerinnen und Wählern in dieser Zeit Zuspruch fand. Die Sorge um Anziehungskraft und Einfluss demokratie- und menschenrechtsfeindlicher Gruppierungen in der Politik, besonders bei Heranwachsenden, ist daher ein beständiges Motiv. Im Rahmen der Ausschreibung des Wettbewerbs können Kinder und Jugendliche alleine, in Gruppen oder zusammen mit Erwachsenen/pädagogischen Fachkräften Themen, die sie bewegen und an denen sie arbeiten, vorstellen. Die eingereichten Dokumentationen werden jährlich von einer Fachjury begutachtet sowie schließlich ca. 50 Projekte ausgewählt, die beispielgebendes zivilgesellschaftliches und politisches Engagement auszeichnet. Sie werden zur Teilnahme an einer Kreativtagung, der „Lernstatt Demokratie“, eingeladen. Im Rahmen dieser haben die Preisträger_innen die Möglichkeit, ihre Arbeit, den damit verbundenen Prozess und bereits erreichte Ergebnisse zu präsentieren. Darüber hinaus können sie gemeinsam mit anderen Teilnehmenden und Experten_innen an Themen und Formen demokratischen Engagements weiterarbeiten und neue Ideen aufnehmen. Um jedes Engagement zu würdigen, wird im Rahmen des Auszeichnungsprozesses auch Öffentlichkeit hergestellt, in dem die Projekte in einem jährlich erscheinenden Band sowie in einer online zugänglichen Datenbank publiziert werden.

Seit der Gründung des Förderprogramms haben sich bereits über 5.600 Initiativen beteiligt, die ein breites Themenspektrum widerspiegeln. Überwiegend widmen sie sich dem gesellschaftlichen Zusammenleben. Über historische Zugänge, alltägliche Betroffenheit oder politisches Interesse erfolgt die zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung in der Schule und darüber hinaus.

Weltoffen und bunt – Die Städtische Realschule Waltrop

Das Projekt "Weltoffen und bunt" der Städtischen Realschule im westfälischen Waltrop beispielsweise setzte sich 2015 mit aktuellen, antidemokratischen Strömungen auseinander. Ein halbes Jahr lang arbeiteten die Schülerinnen und Schüler jeder Jahrgangsstufe fächerübergreifend zu unterschiedlichen Aspekten dieses Bereiches. In der Waltroper Innenstadt präsentierten sie ihre Arbeit, kamen mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch und entfalteten auf ihre eigene, kreative und junge Art durch „Kunst im städtischen Raum“ Wirkung.

Das Projekt ist bereits das vierte im Wettbewerb dokumentierte Projekt der Schule, das demokratisches Engagement mit Öffentlichkeit in der Demokratie verbindet. Ziel ist, „gegen Rechts“ ein Zeichen zu setzen und die Alternative einer humanen, pluralen und offenen Gesellschaft zu beschreiben, aber auch einzufordern – indem man sich an deren Gestaltung aktiv beteiligt. 

Der Schwerpunkt der Arbeit im Jahr 2015 lag auf der Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen antidemokratischen Strömungen, die auch und gerade im Ruhrgebiet kaum zu übersehen sind. Die Schülerinnen und Schüler entschieden sich für eine künstlerische Umsetzung ihres Anliegens. Sie vertraten die These, dass Kunst Türen öffnen kann, um der Demokratie und der demokratischen Haltung Eintritt zu gewähren. Ein halbes Jahr lang arbeitete die gesamte Schule in jeder Jahrgangsstufe fächerübergreifend. Sie bearbeiteten aktuelle Herausforderungen, vor denen die Demokratie steht: „PEGIDA“, „Flüchtlingspolitik in Europa“ und einer damit verbundenen Kritik, „Terrorismus“, „Meinungsfreiheit“, „Rechtsextremismus“, „Vorurteile“ und „Diskriminierung“. Alle Themen fanden Resonanz in einer künstlerischen Idee und deren individueller Variation. 

Die Kinder und Jugendlichen gestalteten Flaggen zu den Themen, entwickelten ein Gegenlogo zu „PEGIDA“, mit dem sie die Menschen zum Nachdenken über die wirklichen „Alternativen für Deutschland“ anregen wollten. Weiterhin gestalteten sie Litfaßsäulen mit persönlichen Briefen, die dazu aufforderten, sich für demokratische und humanistische Werte einzusetzen, die aber auch zuließen, die eigenen Ängste zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus zierten kreative „Gestaltungen des Bundesadlers“ und eine Deutschlandkarte in bunten Farben die Litfaß-Säulen. Ihr Ziel: Die Kunst für die Vielfalt in der Bundesrepublik sprechen zu lassen. 

Auch andere künstlerische Ausdrucksformen wurden gewählt: Ein selbst geschriebener Rap mit dem Titel „Demokratie – Unsere Strategie“, der in einem Tonstudio aufgenommen wurde, und eigens entworfene Demokratiebuttons flossen in das Projekt ein. Im Juni 2015 wurden die Kunstwerke und alle mit dem Projekt verbundenen Aktivitäten in der Waltroper Innenstadt öffentlich vorgestellt. Mit einem Schweigemarsch zogen die Schülerinnen und Schüler von ihrer Schule in die Innenstadt. In der Innenstadt sprachen die Kinder und Jugendlichen Passantinnen und Passanten an und erklärten die von ihnen durchgeführte Aktion. Sie verbreiteten ihre Botschaft individuell sowie auf einer Bühne, verlasen persönliche Briefe an die Demokratie, führten den Demokratie-Rap live auf und verkauften die Demokratie-Buttons. Die Initiative fand die Aufmerksamkeit der Presse und der Öffentlichkeit: Zahlreiche Zeitungen berichteten über die Ereignisse in der Innenstadt. Zudem wurde das Projekt mit dem ersten Preis des „Wettbewerbs der Bürgerstiftung 2015“ sowie 2016 mit dem „Hildegard Hamm-Brücher Förderpreis für Demokratie lernen und erfahren“ ausgezeichnet. 

Im Rahmen dessen haben sich die Beteiligten mit realpolitischen Problemen, die sie in ihrem Umfeld und ihrer Stadt beobachteten, kreativ auseinandergesetzt. Sie haben demokratiefeindliche Strömungen wahrgenommen und sie zum Anlass genommen, die Vorzüge und Chancen der Demokratie aufzuzeigen. Dafür erarbeiteten sie in einem demokratischen Prozess einen künstlerischen Weg, um die Menschen ihrer Stadt auf die vielfältigen demokratiegefährdenden Themen und Tendenzen aufmerksam zu machen und einen Denkprozess anzustoßen. Nebst der kooperativen und auf Mitbestimmung, Absprachen, Toleranz und Öffentlichkeit zielenden Anlage des Projekts ist die Dimension der „Öffentlichkeit“ eine besondere in Waltrop: Die ästhetischen Teilprojekte zeigen sich als Elemente öffentlicher Verständigung in der Demokratie. Die Kunst verbindet sich mit einer politischen Aussage, einem pro-demokratischen Statement und wird abschließend in die städtische Öffentlichkeit getragen. Hierbei beeindruckt auch der Mut der Schülerschaft und der sie betreuenden Lehrkräfte. Denn im Forum einer Kleinstadt begegnen solche Initiativen nicht ungeteilter Zustimmung.

Fazit

Das Förderprogramm „Demokratisch Handeln“ belegt, dass es in der Praxis vielfältige Ansätze demokratischen Handelns gibt. Eine Vielzahl der dokumentierten Einsendungen zeigt auf, dass gerade im Bereich der präventiven Bildungspraxis die Projektarbeit als Methode geeignet erscheint, Themen auch in ihrer größtmöglichen Komplexität zu behandeln. Im Fachunterricht allein ist das aufgrund der zeitlichen Beschränkung nur selten möglich. Vorzüge projektorientierter Bildungsarbeit sind beispielsweise die umfangreichen Interaktionsformen, die zur Stärkung der Kommunikation und sozialen Kompetenzen beitragen. Der Umgang mit Konflikten, Herausforderungen und Schwierigkeiten kann geübt und gleichsam Gelegenheiten zur Festigung des Selbstwertgefühls und der Erfahrung von Selbstwirksamkeit gegeben werden. Hinzu kommen Perspektivenwechsel und Rollenhandeln, sowohl bei den Kindern und Jugendlichen als auch den pädagogischen Fachkräften. Projektarbeit ermöglicht die Gestaltung einer realen Lernumgebung, bei der Wissen mit praktischen Erfahrungen verbunden wird.

Zur Webseite des Förderprogramms „Demokratisch handeln“: http://www.demokratisch-handeln.de

Kontakt zu den Autor_innen

Arila Feurich
E-Mail: feurich [at] demokratisch-handeln [dot] de

Mario Förster
E-Mail: m [dot] foerster [at] demokratiebildung-thueringen [dot] de

 

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