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Mythos DDR - Ostalgie und Wirklichkeit

Von Gerit-Jan Stecker

Seit der friedlichen Revolution ist die soziale und wirtschaftlichen Situation für viele im Osten Deutschlands von Unsicherheit geprägt. Abstiegsängste und Unzufriedenheit haben zur Idealisierung des SED-Regimes beigetragen. Dieser „Ostalgie“ will „DDR – Mythos und Wirklichkeit“, ein Portal der Konrad-Adenauer-Stiftung, Aufklärung entgegensetzen. Der „real existierende Sozialismus“ hat viele Menschen massiv in ihren Lebenschancen eingeschränkt und ganze Biographien zerstört.
Das Webangebot beinhaltet didaktisch aufbereitete Informationen beispielsweise zu Medien, Rechtsprechung, Kultur und Schule. Hauptzielgruppe sind junge Menschen, die die DDR selbst nicht mehr bewusst miterlebt haben. Mittlerweile gibt es das Portal auch auf Englisch. Auf der Startseite zählt ein Plug-in Aussagen über die DDR auf, von „In der DDR gab es keine Altersarmut“ bis „Das Gebiet der ehemaligen DDR war schon vor 1945 wirtschaftlich benachteiligt“; ein Klick öffnet Texte, die diese widerlegen sollen. Zusatzinformationen, wo solche mystifizierenden Behauptungen zu finden sind, werden nicht angegeben.
Weiter gibt es ein Quiz, Videos und Audio-Beiträge. Ausführliche Themenseiten behandeln den Mauerbau, Widerstand, Opposition und Flucht, Religion, Kirche und Alltag. Eine gleichnamige Roll-Up-Ausstellung kann ausgeliehen werden.

Im Unterricht

Die Unterrichtsmaterialien bieten didaktische Anleitungen zum politischen System der DDR, zum deutschen Einigungsprozess und zur Planwirtschaft. Weiter stehen Folien und Handouts zur Verfügung, die das politischen System der Bundesrepublik demjenigen der DDR und deren jeweilige Einbindung in „westliche“ und sowjetische Einflusssphären gegenüberstellen.
Die didaktisch-methodischen Vorschläge für den Unterricht sollen Zugänge zu den oben genannten Themen schaffen und grundsätzliche Fragen klären. Sie eignen sich für die Sekundarstufe II und die 10. Klasse der Sek. I, erstellt hat sie Ulrich Bongertmann vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands e.V.. Sie können als PDF heruntergeladen werden. Die Unterrichtsvorschläge geben nach einem Problemaufriss den jeweiligen Zeitbedarf an (45 oder 90 Minuten), der sich durch Weglassen oder Ergänzen variieren lässt, sowie die Lern- und Kompetenzziele. Eine Tabelle zu „Phase/Inhalt“, „Lehrerhandeln“, „Schülerhandeln“ stellt den geplanten Unterrichtsverlauf dar.

Ein „normaler Staat“

Die erste Einheit behandelt die grundsätzliche Frage, ob die DDR „ein normaler Staat oder eine Diktatur“ gewesen sei bzw. ob „die SED diktatorische Macht“ hatte. Aus diesem Grund soll sie im Folgenden näher beschrieben werden. Als Ausgangspunkt dient die Behauptung, dass die DDR zwar nicht als parlamentarische Demokratie funktioniert habe, aber auch nicht als Diktatur wie etwa der Nationalsozialismus oder ein Militärregime. Die Schülerinnen und Schüler deuten anschließend ein Zitat aus dem Artikel 1 der DDR-Verfassung von 1968 (als Folie zum Download: Die DDR „ist ein sozialistischer Staat … unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei“), erarbeiten den zentralistischen Staatsaufbau ohne Gewaltenteilung und beschäftigen sich mit der Rolle von Institutionen wie Volkskammer, SED, Politbüro und Zentralkomitee und erarbeiten schließlich ein Schema, in dem sie zur Ausgangsfrage Stellung beziehen.
Ergänzend kann sich die Klasse belesen, inwiefern die Selbstbezeichnung der DDR als „Arbeiterstaat“ hinfällig sei und warum „der Sozialismus“ gegen die Natur des Menschen handele. Weitere Unterrichtseinheiten behandeln z. B. Rechtsprechung, Wirtschaft, Medien, Bildung und Erziehung.

Messen am eigenen Anspruch

Es ist sinnvoll, stereotype Vorstellungen über ein Regime wie das in der DDR - sowie deren Wurzeln in sozialer Unsicherheit - als Ansatzpunkt für historisch-politisches Lernen zu nutzen. Und es bietet sich an, am konkreten zeitgeschichtlichen Beispiel Diskussionen zum Verhältnis eines Staates zu seinen normativen Legitimationsgrundlagen wie Mitbestimmung, Freiheit und Gerechtigkeit anzuregen. Dabei decken die Unterrichtsmaterialien „DDR: Mythos und Wirklichkeit“ der Konrad-Adenauer-Stiftung umfangreiche Themen ab und stützen sich auf aktuelle Literatur. Besonders interessant: An einigen Punkten wird die DDR an den eigenen Ansprüchen gemessen, wodurch Widersprüche erkennbar werden können. Z. B. beanspruchte das Regime offiziell, „Arbeiter und Bauern“ zu repräsentieren, schlug aber den Aufstand vom 17. Juni 1953 nieder; und 1989 fühlten sich laut einer im Zusatztext zitierten Umfrage die wenigsten Arbeiter_innen auf Betriebsebene vertreten.
An anderen Stellen bleibt dieser Ansatz, Widersprüche aufzudecken, jedoch auf der Strecke. Der Kurztext vom „Arbeiterstaat“ nennt keine Quellen und Literatur. Dabei wäre es gerade aus Sicht der Demokratiebildung sinnvoll gewesen, Informationen zur demokratischen Selbstorganisation in den Betrieben, dem „betrieblichen Aufbruch“, zu geben (vgl. Hürtgen, Gehrke 2001). Es müssten dann, wie in der Folie zum Vergleich von DDR und repräsentativer Demokratie, die Chancen zur Interessenvertretung durch Betriebsräte in der Bundesrepublik vergleichend gegenübergestellt werden. Allerdings würden diese angesichts von Leih- und Zeitarbeit, Werkverträgen und geringem Kündigungsschutz nicht deutlich zugunsten der Bundesrepublik ausfallen.
Weiter wäre es informativ, die DDR am eigenen sozialistischen Anspruch zu messen. D. h. es wäre zu klären, inwiefern eine Ökonomie, die weiterhin auf Lohnarbeit beruht und an der internationalen, monetär vermittelten Konkurrenz partizipiert, zutreffend als sozialistisch begriffen werden kann. Im Ergänzungstext „Sozialismus“ des ersten Moduls wird diese Frage jedoch nicht behandelt, zudem werden keine Quellen genannt. Vielmehr tritt zur ungeklärten, impliziten Setzung, ein „normaler Staat“ entspreche der Bundesrepublik, die Behauptung hinzu, die Menschen seien natürlicherweise Egoisten und ungleich, nur werde das in einem „normalen“, sprich marktwirtschaftlichen Staat fürs Gemeinwohl genutzt. Woher aber die wirtschaftliche Unsicherheit kommt, die ja den Grund für „Ostalgie“ und damit für dieses Unterrichtsmaterial bilde, diese Frage bleibt ebenfalls offen.

Ergänzungsbedarf

Es empfiehlt sich daher, die Unterrichtsvorschläge zu ergänzen und auf einen aktuellen Stand der historisch-politischen und demokratischen Bildung zu bringen. So darf etwa der Grundbegriff der Gleichheit nicht mit individueller Differenz verwechselt werden, sondern ist mit Blick auf heute geführte Diskussionen um soziale Gleichheit und Verteilungs- bzw. Chancengleichheit zu besprechen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung). Gelingt diese Ergänzung und eine differenzierte Diskussion, kann das Lernmaterial zum Mythos DDR zur historischen und demokratischen Bildung beitragen.

Web: http://www.kas.de/wf/de/71.6466/

Literatur: Renate Hürtgen, Bernd Gehrke (Hrsg.): Der betriebliche Aufbruch im Herbst 1989: Die unbekannte Seite der DDR-Revolution. Diskussion-Analysen-Dokumente; (2001) Berlin Bildungswerk Berlin der Heinrich Böll Stiftung

 

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