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„Kalte Krieger“ gegen den Kommunismus – die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU)

Von Anne Lepper

In der öffentlichen Wahrnehmung wollten sie sich selbst stets als humanitäre Hilfsorganisation verstanden sehen. Dass die Hilfstätigkeiten der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, kurz KgU, jedoch tatsächlich nur etwa ein Drittel der Aktivitäten der Organisation ausmachten, hat Enrico Heitzer im Rahmen seiner 2015 im Böhlau Verlag erschienenen Dissertation gezeigt. Die Publikation, die mittels einer fundierten und überaus breiten Quellengrundlage Genese, Aufbau und Wirken der Gruppe differenziert und mit großer wissenschaftlicher Genauigkeit analysiert, weckte daher nicht ganz unerwarteterweise einige schlafenden Geister. So kam es anlässlich einer Vorstellung des Buches im Februar 2015 zu hitzigen Auseinandersetzungen zwischen Heitzer und seinen Widersachern, die sich in erster Linie aus dem Umfeld der ehemaligen Mitglieder der Gruppe rekrutierten. Diese sahen sich und ihre Arbeit insbesondere durch die von Heitzer im Buch beschriebenen Verbindungen der KgU zu ehemaligen NS-Funktionären sowie durch das Herausstellen des zum Teil militanten und gewalttätigen Charakters ihrer Tätigkeiten in ein schlechtes Licht gerückt.

Agieren vor und hinter den Gardinen des Systems

Die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“, die sich unter den Eindrücken der ersten Berlin-Krise und der ersten Entlassungswelle aus den sowjetischen Speziallagern 1948 gründete, diente in der Vergangenheit immer wieder als Ausgangs- und Kristallisationspunkt verschiedener zeitgenössischer Pressekampagnen und geschichtspolitischer Debatten. Eine wissenschaftliche Darstellung der Gruppierung, ihrer Organisationsstruktur, ihrer Mitglieder, Handlungsfelder und Reaktionen blieb indes bislang aus. Die Arbeit Heitzers leistet demgemäß nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Erforschung antikommunistischer Aktionskreise und Denkschemata im geteilten Nachkriegsdeutschland, sondern auch zur Rekonstruktion des ideologischen und gesellschaftlichen Innenlebens sowohl der SBZ/DDR als auch der jungen Bundesrepublik.
Dabei macht Heitzer auf die dichotome Organisation beider politischer Systeme aufmerksam. Während im Kontext der offensiv betriebenen Lagerkonfrontation alle zur Verfügung stehenden propagandistischen Mittel genutzt wurden, um in konkurrierenden bildhaften „Schaufenstern“ die politischen, sozialen und ökonomischen Vorzüge des jeweils eigenen Systems sowohl vor der eigenen als auch vor der „anderen“ Gesellschaft hervorzuheben, dienten verborgene „Hinterzimmer“ der nachrichtendienstlichen Erfassung des Gegners sowie der ideologischen Unterwanderung gesellschaftlicher und politischer Strukturen der jeweils anderen Seite.
Die KgU, so vermag Heitzer darzustellen, bewegte sich stets auf einer Ebene zwischen „Schaufenster“ und „Hinterzimmer“. Während sich die Organisation auf der einen Seite darum bemühte, Suchkarteien mit in SBZ und DDR verhafteten und verschleppten Personen anzulegen, Angehörige zu informieren, sowohl letzteren als auch den Verschollenen selbst Hilfe zukommen zu lassen und auf politischer Ebene für deren Freilassung zu kämpfen, nahmen auf der anderen Seite schon bald die militanten und nachrichtendienstlichen „Hinterzimmer“-Tätigkeiten der Gruppe einen Großteil ihrer personellen und finanziellen Ressourcen in Anspruch. Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung arbeiteten zwölf von insgesamt neunzehn hauptamtlichen Mitarbeiter_innen der KgU, also weit mehr als die Hälfte, im informationsdienstlichen Bereich. Wichtigster Kooperationspartner war dabei die CIA, die spätestens ab 1952 auch maßgeblich für die Finanzierung der verschiedenen Aktivitäten sorgte. Unter dem Einfluss der CIA und der von ihr betriebenen Stay-Behind-Pläne (S. 387 ff) für den Fall einer erneuten militärischen Intervention in Deutschland gewann das Einholen sicherheitsrelevanter und militärischer Informationen zunehmend auch für die Arbeit der KgU an Bedeutung. Unterstützung kam dabei wie bereits erwähnt nicht selten von Personen, deren informationsdienstliche Kompetenzen auf ihre Tätigkeiten während des Nationalsozialismus zurückzuführen waren – ein Umstand, der die beiden Leiter der KgU, Rainer Hildebrandt und Ernst Tillich, die im Dritten Reich aufgrund ihrer oppositionellen Haltung selbst Opfer nationalsozialistischer Repressionsmaßnahmen geworden waren, offenbar nicht zu stören schien. Der Kampf gegen den Kommunismus und die „bolschewistischen Feinde“ in Ost und West diente dabei scheinbar als konstantes und funktionierendes „Bindemittel“ (S. 134) zwischen Nationalsozialisten und ehemaligen Gegnern des Regimes, zwischen Faschisten und Demokraten, Konservativen und Liberalen.

Die KgU – operationelles Organ antikommunistischer Kräfte in Ost und West

In seiner 550-Seiten starken Arbeit nähert sich Heitzer im Rahmen von vier eigenständigen, thematisch-inhaltlichen Schwerpunkten dem Kern der KgU. Dabei geht es ihm darum, den Tatsachengehalt auch und gerade mit Blick auf die verborgenen, gewalttätigen Aktivitäten der Gruppe zu rekonstruieren und diese in Bezug auf Handlungslogik, ideologische Geisteswelten und systemtheoretische Anknüpfungspunkte zu untersuchen. Dadurch entsteht ein differenziertes Bild in Bezug auf Struktur, Aufbau, Finanzierung, Handlungsfelder, Aktivitäten, Personal, Wahrnehmung und Bekämpfung der Organisation.
Während sich der erste Schwerpunkt dabei der handlungsorientierten Organisationsgeschichte sowie der ideologisch-ethischen Basis der Gruppe widmet, stellt der zweite Teil die einzelnen Mitglieder der KgU in das Zentrum, wobei diese hier den verschiedenen Kohorten (Gründerkohorte, Ausbaukohorte, Integrationskohorte) zugeordnet und entsprechend in Abgrenzung zueinander analysiert werden. Im dritten Teil, dem weitaus umfangreichsten, werden anschließend die verschiedenen Aktionen der KgU – und dabei zuerst jene in Westberlin und der Bundesrepublik, danach diejenigen, die in der SBZ/DDR durchgeführt wurden – rekonstruiert und dargestellt. Dabei wird das stetige Lavieren der Gruppe zwischen „Schaufenster“ und Hinterzimmer“, zwischen dem offenen und öffentlichkeitswirksamen Agieren auf der einen und dem verborgenen Operieren auf der anderen Seite deutlich. Im vierten Teil richtet der Autor schließlich das Blickfeld auf die öffentliche Wahrnehmung, Rezeption und Verfolgung der Gruppe und ihrer Mitglieder. Dass die Funktion der KgU dabei den immanenten „Feindbildbedarf“ der sowjetischen Führung in optima forma erfüllte, zeigen die zahlreichen drastischen Repressionsmaßnahmen, die gegen die Mitglieder der Gruppe und ihre V-Leute eingeleitet wurden. Die KgU, die in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre zu einem ideologischen Hauptgegner der DDR-Führung avancierte, konnte von dieser wie kaum eine andere Organisation zu propagandistischen und Legitimations-Zwecken genutzt werden – oder, um es mit den Worten des Autors auszudrücken: „[D]ie KgU als 'Feindzentrale' [hätte] wohl erfunden werden müssen, wenn es sie nicht gegeben hätte.“ (S.16) Die von beiden Seiten betriebene Instrumentalisierung der KgU und ihrer Aktivitäten hatte zumindest für die KgU seinen Preis: Zahlreiche Festnahmen, Verschleppungen und Todesurteile trafen viele der Mitglieder und V-Leute, in mehreren Schauprozessen war es den jeweiligen sowjetischen Militärtribunalen und DDR-Gerichten in erster Linie daran gelegen, die Gruppe als Terrororganisation erscheinen zu lassen. Von inneren Krisen und massiver Repression gezeichnet löste sich die KgU Anfang 1959 offiziell auf – das militante und gewaltbereite Auftreten der Gruppe wurde von der umfassenden Verfolgung durch die sowjetischen Organe absorbiert und von einer neuen Ostpolitik im Westen abgelöst.

Zusammenfassung

Enrico Heitzer hat mit seiner Monografie ein Standardwerk geschaffen, das am Beispiel der KgU eine differenzierte und umfassende Darstellung der politisch-ideologischen Konfrontationen im Kontext des Kalten Krieges vornimmt. Die breite Quellengrundlage, die der Autor aus den überlieferten Unterlagen des MfS, der CIA und der KgU selbst schöpft, ermöglicht dabei eine fundierte und systematische Entfaltung des ökonomischen, sozialen, gesellschaftlichen und vor allem politischen Kontextes sowie eine scharfe und detaillierte Analyse der ethisch-moralischen, sozialpsychologischen und ideologischen Hintergründe.
Neben dem Band über die KgU gibt es eine weitere Publikation des Autors, in der in kompakter Form Akteure, Gruppen, Aktionen und Formen von Opposition und Widerstand in SBZ und DDR dargestellt werden. Das von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen herausgegebene Heft bietet einen guten Überblick über die Thematik und eignet sich aufgrund des moderaten Umfangs gut für die Implementierung in den Unterricht.

Literatur

Heitzer, Enrico: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948-1959. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 2015. 550 Seiten.

Heitzer, Enrico: Opposition und Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone und frühen DDR. Landeszentrale für politische Bildung, Erfurt 2015.

 

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