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Geschichtspolitik und historisch-politische Bildung – ein Spannungsfeld

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Elena Demke ist Historikerin und Referentin beim Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen.  

Von Elena Demke

Der (geschichts-)politische Auftrag verschiedener Gedenkstätten und öffentlich geförderter Aufarbeitungsinitiativen an Orten von nationalsozialistischem und von SED-Unrecht stimmt in zentralen Aspekten überein: Regelmäßig wird eine Verbindung von Lehren aus der Geschichte, Demokratie- und Menschenrechtserziehung sowie der Einsicht, dass die Gewährleistung letzterer nicht selbstverständlich sei, hergestellt. Es ist demnach, „gerade für die junge Generation, die sozusagen das Glück hat, in Demokratie aufzuwachsen […] wichtig darauf hinzuweisen, dass das nicht selbstverständlich ist und sehr leicht in Gefahr geraten kann…“ – so etwa Axel Klausmeier, Direktor der Stiftung Berliner Mauer, am 8.8.2013 in einem Interview (siehe "Ein unbequemes Denkmal mitten in der Stadt", Zugriff: 10.4.2016). Fast gleichlautend resümieren Bildungspolitiker mit Blick auf den Besuch von KZ-Gedenkstätten: „Wir stehen vor der wichtigen Aufgabe, die jungen Menschen […] für ihr künftiges Leben in der Demokratie zu erziehen und sie auch für die Gefährdungen der Demokratie zu sensibilisieren. Angesichts unserer historischen Erfahrung […] müssen wir der nachwachsenden Generation nachdrücklich vermitteln, dass unsere demokratische Gesellschaftsform nichts Selbstverständliches ist.“ (Henry Tesch, Bildungsminister in Mecklenburg-Vorpommern, (siehe „Demokratieerziehung und Gedenkstättenbesuche in Mecklenburg-Vorpommern“, Zugriff: 10.4.2016).

Dieser Konnex verblüfft bei näherem Hinsehen in mehrerer Hinsicht. Den Wert dessen, was man hat bzw. was die Erwachsenen den Kindern präsentieren, mittels Verweis auf das bedrohliche Szenarium seiner Abwesenheit zu vermitteln, ist zwar eine übliche Erziehungsstrategie (etwa Kinder mit dem Verweis auf den Hunger anderswo zum Essen anzuhalten), hat als solche jedoch eher mit hilfloser Ungeduld angesichts der Befremdung durch kindliche und jugendliche Normbrüche zu tun und steht der schwarzen Pädagogik nahe – denn letztlich wird hier mit Drohung gearbeitet. Dabei würde wohl kaum jemand argumentieren, dass eine durch abschreckendes Beschwören der Alternativen herbeigeführte Identifikation mit einer bestehenden Ordnung besonders reflektiert und handlungsbefähigend sei. Woher also die Popularität dieser geschichtspolitischen Argumentationsfigur? Des Weiteren irritiert bei näherem Hinsehen die implizite Erwartung, dass die Kenntnis von Normen und ihrer Wertbindung (etwa der Menschenrechte) auch normgerechtes Verhalten hervorbringe. Dabei führen Beispiele aus dem Alltag durchaus drastisch vor Augen, dass dem nicht so ist, siehe jüngst etwa den Fall eines jugendlichen Mörder, der einzig im Fach Ethik ein guter Schüler gewesen war („Tod einer schwangeren Schülerin, Süddeutsche Zeitung, 17.2.2016, S. 8), und die sozialwissenschaftliche Empirie zeigt, dass ethische Anschauungen und ethisches Engagement einander nicht bedingen müssen (klassisch etwa das Experiment von Darley & Bateson, „From Jerusalem to Jericho“: A study of situational and dispositional variables in helping behavior". Journal of Personality and Social Psychology, 27/1973, S. 100-108.) Als dritte Irritation sei der Umstand angeführt, dass lange vor einer Kompetenz-Orientierung des Geschichtsunterrichts und auch bereits vor dem Beutelsbacher Konsens darüber nachgedacht und geschrieben wurde, dass das historische Lernen nicht zur Werte-Pädagogik tauge, so warnte der Theoretiker der „offenen Gesellschaft“ Karl Popper, „alle organisierten Versuche, höhere Wert zu übertragen, [seien] nicht nur erfolglos, sondern […] sie richten außerdem noch Schaden an“ (Karl Popper, Hat die Weltgeschichte einen Sinn? In: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Band 2, in: Popper, Gesammelte Werke, 8. Auflage, Tübingen 2003, S. 324). Diesen Widersprüchen zum Trotz wird die politische Aufgabe von Gedenkstätten und öffentlich finanzierten Aufarbeitungsinitiativen in der oben skizzierten Weise als Erziehungsauftrag so selbstverständlich umrissen, dass die Formulierungen sogar mit Blick auf unterschiedliche historische Zusammenhänge austauschbar erscheinen (s.o.).

Allerdings sieht die Praxis anders aus, als der formelhafte Verweis auf Demokratieerziehung durch historische Abschreckung. Die Forderungen einer kompetenzorientierten Didaktik historisch-politischer Bildung mit dem Fokus auf mündige Urteilsbildung als einem reflektierten Prozess mit offenem Ausgang und dem gezielten und kritisch-analytischen Reflektieren von Geschichtskultur(en), haben nicht nur Eingang in die schulischen Rahmenlehrpläne gefunden, sondern prägen auch zahlreiche gedenkstättenpädagogische Angebote. Gedenken und geschichtspolitische Selbstreflexivität schließen sich nicht aus. Ausstellungen wie die Dauerausstellung der Gedenkstätte Ravensbrück, die seit 2013 ihre Genese und damit die Präsentation als etwas „Gemachtes“ für die Besucherinnen und Besucher aufbereiten und offenlegen, sind zwar nicht der Regelfall, im didaktischen Ansatz aber auch keine Ausnahme-Erscheinung. Die auch in Seminarkonzepten an Erinnerungsorten praktizierte Multiperspektivität und der ihr inhärente Verweis auf den Konstruktcharakter historischer Erzählungen widersetzt sich einer Indienstnahme für antizipierbare historische Lehren im Sinne der formulierten Aufträge. So gesehen wird Demokratieerziehung zu einer Frage des Prozesses und der Ausgestaltung eher als des Lern-Inhalts von Bildungsangeboten. Die Annahme ist dabei, dass Werte wie Achtung der Menschenrechte und Meinungsfreiheit ihre Plausibilität nicht primär in einem Ansatz des „learning about democracy“, sondern vor allem durch ein „doing democracy“ auch in der Auseinandersetzung mit diktatorischer Geschichte unter Beweis stellen.

Insofern lässt sich eine gewisse Spannung zwischen den zentralen Topoi geschichtspolitischer Auftrags-Postulate – Werteerziehung und Förderung von Demokratie-Identifikation durch historisches Lernen über die Folgen der Abwesenheit von Demokratie – und den didaktischen Prinzipien konkreter pädagogischer Angebote ausmachen. Diese Spannung scheint in der Praxis relativ unproblematisch zu sein – integrieren doch die gleichen Ort je nach Handlungsfeld in der normativen Rede oder konkreten pädagogischen Praxis die verschiedenen Ansätze offenbar problemlos. Was würde jedoch passieren, wenn diese Spannung zugespitzt und ausgereizt würde? Lassen sich die unter den Expertinnen und Experten historischer Forschung und Bildung so selbstverständliche Rede vom Konstruktcharakter der Geschichte und die aus dieser Sicht folgenden didaktischen Ansätze in eine plausible und popularisierbare Legitimation der entsprechenden Geschichtsvermittlung übersetzen, die das umrissene Bild von einem im Kern als „Abschreckungslernen“ konzipierten Auftrag auch auf der normativen Ebene herausfordern können? Zu populären Erwartungen an historisches Lernen passen die gängigen Topoi dieser Auftrags-Formulierungen nach wie vor besser. Offenbar wird erwartet, dass außerhalb der Klassenzimmer und der spezialisierten gedenkstättenpädagogischen Formate die Vermittlung von Geschichte zumeist auch Vermittlung einer Botschaft sei. Eine gelungene Aufbereitung von Geschichte, so die Erwartung, liefert mit den historischen Zeugnissen auch die Deutung und quasi „die Moral aus der Geschicht“, beispielhaft sei auf die mit hoher fachlicher Expertise und multimedialer Quellenvielfalt aufbereiteten Internetpräsentationen und Apps zu zeithistorischen Themen verwiesen.

Vielleicht liegt dieser Widerspruch auch darin begründet, dass die kritisch-analysierende Beschäftigung mit dem Konstruktcharakter historischer Narrative zwar mit essentialistischen Identitätspostulaten wenig zu tun haben will, jedoch seinerseits eine identitäts-stiftende und soziale Einschluss/Ausschluss-Prozesse regelnde Praxis für die Beteiligten Expertinnen und Experten darstellt.

 

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