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Content-Author: Ingolf Seidel

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Ahmed Awadalla ist Schriftsteller und Aktivist. Er arbeitet zu den Themen Gesundheit, Sexualität, Gender und erzwungene Migration in Ägypten und Deutschland. Er wohnt zu Zeit in Berlin. Iris Rajanayagam arbeitet u.a. zu postkolonialen Theorien insbesondere koloniale Kontinuitäten in der deutschen bzw. europäischen Migrations- Flüchtlings- und Asylpolitik, Intersektionalität, sowie zu rassismus- und diskriminierungskritischer Theorie und Praxis. Sie lehrt an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin im Modul „Rassismus und Migration“ und ist teil des Redaktionsteams von „life after Migration“, dem Newsletter des Migrationsrates Berlin-Brandenburg (MRBB).

Von Iris Rajanayagam und Ahmed Awadalla

Präludium

Ein Grund warum LGBT*I*Q – also lesbische, schwule, bi-, trans- und intersexuelle sowie queere Menschen – aus ihren Herkunftsländern fliehen und an einem anderen Ort, in diesem Fall in Deutschland, Asyl suchen ist, dass sie wegen ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung diskriminiert und/oder verfolgt werden. Diese Tatsache kann nicht geleugnet werden. Was in diesem Zusammenhang nichtsdestotrotz hervorzuheben ist, ist der historische und politische Kontext anti-homosexuellen Denkens und entsprechender politischer Maßnahmen in bestimmten Ländern.

Homo- und Transphobie sind globale Phänomene, denen man sich weltweit gegenübersieht, ob in Europa oder in Ländern des globalen Südens. In einigen Teilen der Welt jedoch sind Homo- und Transphobie in den gesetzlichen und sozialen Strukturen kodifiziert, stellen erhebliche Barrieren für ein sicheres und gesundes Leben dar und setzen die Betroffenen gravierenden Risiken aus. LGBT*I*Q-Geflüchtete kommen aus ganz unterschiedlichen Weltregionen einschließlich des Mittleren Ostens, Afrikas und Asiens nach Deutschland. Eine besonders sichtbare Anzahl kommt aus, neben Russland, afrikanischen und arabischen Ländern. Es ist ist offensichtlich, dass Menschen aus komplexen  Gründen fliehen müssen, die in den individuellen Erfahrungen gründen, denen sie in ihren Gesellschaften ausgesetzt sind. Laut „76 Crimes“-Blog haben 79 Länder anti-homosexuelle Gesetze. Eine große Zahl dieser Länder besitzen anti-homosexuelle Gesetze als Teil ihres kolonialen Erbes. Während der kolonialen Herrschaft wurden konservative westliche Moralvorstellungen den ‘Einheimischen’ aufgezwungen. Christliche Missionare spielten und spielen weiterhin eine bedeutende Rolle bei der Einfuhr homophober Haltungen, was in Ländern wie Uganda deutlich wird[1].

Man darf auch in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass anti-homosexuelle Einstellungen und Verhalten sowie Diskriminierung wegen sexueller Orientierung und zugeschriebener Geschlechtsidentität auch in Deutschland häufig vorkommen. Dies ist ein Umstand, der in Debatten über Homophobie in afrikanischen und muslimischen/arabischen Ländern gern vergessen/vernachlässigt wird.

Die Situation von LGBT*I*Q Geflüchtete in Deutschland

Wir möchten damit anfangen, die strukturellen und institutionellen Schwierigkeiten für LGBT*I*Q Geflüchtete im Besonderen aufzuzeigen, nachdem sie in Deutschland angekommen sind und Asyl beantragen.

Es gibt gegenwärtig keine Statistiken über die Zahl der Menschen, die auf Grund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität Asyl beantragen. Es ist nicht klar, ob die Behörden darüber Buch führen oder an statistischer Information dieser Art interessiert sind oder nicht. Wenn der Asylprozess beginnt, erhält der/die Bewerber_in Unterkunft, minimale finanzielle Unterstützung (Grundsicherung) und Krankenversicherung. Eine kritische Entscheidung wird getroffen, sobald der Asylantrag eingereicht ist, und zwar dort, wo die Person in Deutschland untergebracht ist. Die/der offizielle Bearbeiter_in entscheidet, in welchem Bundesland und in welcher Art Unterkunft die Person wohnen soll. Queere Geflüchtete ziehen es vor, in größeren Städten zu leben, um Sichtbarkeit zu vermeiden und die Sicherheit und Freiheit zu erreichen, derentwegen sie geflohen sind. Das wird von den Bearbeiter_innen nicht immer berücksichtigt, die annehmen mögen, dass eine LGBT*I*Q Person genauso sicher in jeglicher Region Deutschlands leben könnte. Zudem berichten eine große Anzahl queerer Geflüchteter, dass sie sich bei der Offenlegung ihrer SOGI(sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität) beim ersten Treffen mit den Behörden aus verschiedenen Gründen unwohl fühlen. Ein Faktor ist der Mangel an privatem Raum, während diese Unterredungen stattfinden, wie auch wegen der homo- oder transphobischen Haltung von einigen Dolmetscher_innen, denen es an Grundkenntnissen beim Umgang mit SOGI-Themen fehlt.

Einmal in die Unterkünfte für Geflüchtete überstellt, können sich queere Geflüchtete Diskriminierung oder Belästigungen gegenübersehen. Personen, die nicht typischen Geschlechtsrollen entsprechen, sind gewöhnlich eher hiervon betroffen. Dieses Thema kann nicht vom allgemeinen Problem getrennt werden, dass diese Unterkünfte Orte der Isolation und Frustration für die Bewohner_innen dort darstellen, da sie oft auf Jahre hinaus warten müssen, ohne ihre Zukunft im Asylprozess zu kennen, was Spannung und Aggressionen schafft, denen die noch stärker ausgegrenzten Minderheiten zum Opfer fallen können. 

1. Zum Asylprozess in Deutschland 

Die erste Anlaufstelle für in Berlin ankommende Geflüchtete ist das LAGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales). Dort registrieren sich Geflüchtete selbst und ihnen wird eine Unterkunft zugewiesen. Die Situation hier ist seit über einem Jahr unerträglich, mit Menschen, die tagelang in Warteschlangen warten müssen, einschl. Kindern, kranke Menschen, schwangere Frauen und solche mit Neugeborenen. In den kälteren Monaten Januar und Februar wurden Fälle von erfrorenen Fingern und Zehen berichtet.

Wegen der großen Zahl an Menschen, des Mangels an Raum und getrennter Bereiche für Frauen, trans*, inter* and queere Personen wurden zahlreiche Fälle von Belästigung berichtet. Dies veranlasste jedoch die verantwortlichen Beamt_innen nicht zu einer schnellen Reaktion und zur Einrichtung einer getrennten Schlange. Erst vor kurzem wurde ein System eingeführt, das es LGBT*I*Q Asylsuchenden erlaubt, über die Caritas Unterstützung zu erhalten, um ihre Verhandlungen mit den Behörden zu erleichtern, ähnlich der für Asylbewerber, die besonders verletzlich sind, wie schwangere Frauen oder Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, um ihnen den anstrengenden Prozess und die Wartezeit zu ersparen. 

Viele Geflüchtete beklagten sich auch über Belästigungen durch die Beamten_innen während der Registrierung sowie Nachlässigkeit bei der Verwaltung und Behandlung von Aufzeichnungen und Dokumenten, was zum für die Betroffenen sehr schwerwiegenden Verlust von Aufzeichnungen führte.

In Berlin erhalten Geflüchtete Gesundheitskarten, die alle drei Monate erneuert werden müssen und die nur „akute und schmerzhafte Verfassungen“ abdecken. Dieses Krankenscheinsystem verursacht Verzögerungen und Verwirrung beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Das ist noch offensichtlicher, wenn es um psychische medizinische Versorgung für Asylbewerber_innen geht. Es stellt auch eine Barriere für transgeschlechtliche Personen zur Hormonbehandlung dar, die nicht immer eine drängende Notwendigkeit ist. Während HIV-Behandlung gewährt wird, so setzt die Verzögerung beim Zugang zur Gesundheitsversorgung die Gesundheit und das Wohlbefinden der Asylbewerber bedeutenden Risiken aus. Asylbewerber_innen ohne Dokumente  (sans papiers) sind einem zusätzlichen Hindernis beim Zugang zu medizinischer Versorgung ausgesetzt.

Die Wartezeit auf ein Interview beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann zwischen einigen Monaten und mehreren Jahren betragen. In der Regel dürfen Asylbewerber_innen während dieser Zeit weder studieren noch arbeiten. Neuere Initiativen versuchen, sich dieser ernsten Situation anzunehmen, die lediglich die Marginalisierung und Frustration, die die Geflüchteten erfahren, vertieft. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass Asylbewerber_innen zudringliche Fragen bezüglich ihrer Sexualität gestellt werden, trotz eines kürzlich erfolgten Verbots des EUCHR von ‘Homosexuellentests’. Viele Geflüchtete versuchen, einen Psychologen zu finden, der ihnen ein Attest ausstellt, das ihren SOGI-Status bezeugt.

Eine weitere Form von Gewalt, die besonders LGBT*I*Q und geflüchtete Frauen betrifft, ist wie bereits kurz erwähnt die Belästigung in den Lagern und Notunterkünften, in denen sie zu leben gezwungen sind. Wegen des Mangels an Privatsphäre und Platz sowie an getrennten und sicheren Rückzugsräumen für LGBT*I*Q in den meisten Lagern (keine getrennten Badezimmer, eine Küche für eine Vielzahl an Personen und Familien) sind Belästigungen und besonders sexuelle Belästigungen in dieser Art ‘Unterkunft’ an der Tagesordnung. Das gilt auch für sexuelle Belästigungen durch die im Lager Beschäftigten und das Sicherheitspersonal. Darüber hinaus werden die für Lagerunterbringung geltenden Mindeststandards sehr oft nicht erreicht. Sowohl Belästigung durch das Personal und der Mangel an Mindeststandards können einerseits auf einen Mangel an Kontrolle der Lager zurückgeführt werden, die oft privat und nicht öffentlich betrieben werden, zum anderen aber auch auf eine Politik der Abschreckung für weitere potentielle Geflüchtete, die nach Deutschland kommen wollen. 

Daneben erfolgt eine Retraumatisierung auch immer wieder im täglichen Leben, wenn Geflüchtete sich täglich rassischer Diskriminierung, Ausschluss und Angriffen ausgesetzt sehen. Das letzte schreckliche Beispiel dieser Art ereignete sich in den Sächsischen Städten Claußnitz und Bautzen.[2] LGBT*I*Q-Geflüchtete sind, ähnlich wie geflüchtete Frauen, von Diskriminierung und Exklusion betroffen, die komplexer in dem Sinne ist, dass sie mit multidimensionaler Diskriminierung wegen Geschlecht, sexueller Orientierung usw. konfrontiert sind. Ein neueres Beispiel: Als eine junge syrische geflüchtete Frau einem Lager in Eisenhüttenstadt in Brandenburg zugewiesen wurde, sah sie sich sexuellen Belästigungen der Lagerbewohner ausgesetzt und hatte zudem Angst, das Lager zu verlassen, da Nazis die Geflüchteten in der Nähe des Lagers angriffen.

 2.   Instrumentalisierung

Zusätzlich zu den unterschiedlichen Formen der Marginalisierung, die queere Geflüchtete erfahren, erscheinen inzwischen Diskurse und Debatten, die ihre Leiden ausbeuten, was eine Art Instrumentalisierung ihres Kampfes darstellt.

Es ist eine Instrumentalisierung, die es erlaubt, die Pseudo-Unterstützung für LGBT*I*Q-Rechte für die Legitimierung zur Verbreitung und Potenzierung rassistischer Stereotype über den Schwarzen/of Colour und/oder muslimische Männer, Gesellschaften, Länder usw. zu benutzen.

Oft wird ein einseitiger Schwerpunkt auf Homo- und Transphobie gelegt, die in afrikanischen, asiatischen und Mittelostregionen geschieht, ohne dies in einen historischen Zusammenhang zu stellen. Gleichzeitig wird die Tatsache verschleiert, dass Diskriminierung von und Gewalt gegen Queere, Trans- und Interpersonen auch ein Problem ist, das von der weißen deutschen Bevölkerung ausgeht. Diese Diskurslinie, die auch von einigen etablierten LGBT*I*Q-Organisationen verwendet wird, erleichtert die rassistische Dichotomie zwischen der vermeintlich zivilisierten, progressiven weißen westlichen Welt und dem barbarischen, patriarchalischen und homophoben „Anderem“’.[3]

Vorfälle von Gewalt gegen queere Geflüchtete bekommen weite Verbreitung in den Medien. Diese Berichte und Nachrichten betonen normalerweise nur den Schwierigkeiten und  Beeinträchtigungen, denen sich queere Geflüchtete durch andere ‚Migranten_innen’, z.B. andere Bewohner_innen von Lagern ausgesetzt sehen; diese übersehen die Vorfälle von Homophobie und Transphobie, die durch das Asylsystem selbst entstehen. Dieses Muster, wodurch im Namen von Geschlechts- und sexuellen Rechten instrumentalisiert wird, ist nicht ungewöhnlich. Wir konnten dasselbe Muster im Gefolge der Vorfälle in Köln beobachten[4], als Wellen rassistischer Rhetorik gegen Migranten_innen und Geflüchtete im Namen von Frauenrechten benutzt wurden.[5] Dies soll nicht die Bedeutung der Verteidigung von Frauenrechten und der Kämpfe der LGBT*I*Q-Gemeinschaft herunterspielen, aber diese Kämpfe dürfen nicht zur Durchsetzung rassistischer anti-migrantischer Ziele ausgenutzt werden.

Ein weiteres Problem, das wir bei der Analyse der Unterstützungsstrukturen durch weiße Deutsche für LGBT*I*Q-Geflüchtete und ihren Kampf sehen, ist der paternalistische Ansatz, der damit oft einhergeht.

Das Thema ‚queere Geflüchtete“ ist erst seit kurzem in den deutschen Medien präsent. Viele weiße linke Gruppierungen und Organisationen haben sich angeschlossen. Wir sehen, dass eine Reihe von Initiativen entstehen, um Geflüchteten zu helfen und sie zu unterstützen, was ein wichtiger Schritt vorwärts ist, um die vielen Lücken und Mängel auszugleichen, die im Asylsystem bestehen. Trotzdem sollten diese Initiativen immer darauf achten, dass sie die Standpunkte und die tatsächlichen Bedürfnisse der Geflüchteten während des Prozesses der Konzeptentwicklung und der Durchführung der Initiativen einbeziehen. Andernfalls können diese Initiativen problematischen Verhaltensweisen reproduzieren und damit nicht dazu beitragen, Geflüchtete zu ermächtigen und ihnen zu erlauben, Unabhängigkeit und volle Würde zu erreichen.

Daneben gibt es Initiativen, die den Namen von queeren Geflüchteten schlicht ausnutzen. Ein Vorfall ereignete sich kürzlich, als ein queerer Club eine Spendenparty zum Wohl queerer Geflüchteter organisierte, aber es nicht fertigbrachte, für queere Geflüchtete, die an der Party teilnehmen wollten, Unterstützung zu organisieren. Das führte dazu, dass ein lesbische geflüchtete Frau an der Tür abgewiesen wurde.

3. Perspektiven 

Trotz oder wegen der antagonistischen und diskriminierenden Situation, in der sich die meisten homosexuellen Geflüchtete in Deutschland wiederfinden, nimmt die Selbstorganisation in diesem Zusammenhang zu. Immer mehr queere Geflüchtete bauen nationale und transnationale Netzwerke auf, um dem kolonialen, rassistischen und patriarchalischen System, das sie hier vorfinden, zu widerstehen. Die  Form des Widerstandes oder des Verfassens von politischen Erklärungen in diesem Fall kann ganz verschiedene Formen annehmen, angefangen mit politischer Organisation und Aktionen „auf der Straße“, Veröffentlichungen, kulturellen Interventionen usw. Queere Geflüchtete lehnen es ab, zu Opfern erklärt, instrumentalisiert und objektiviert zu werden. Selbstorganisation, Autonomie und die Definitionsmacht sind drei Faktoren, die für den Kampf wesentlich und eine Vorbedingung für jede Form der Solidarisierung durch die weiße deutsche Linke sind. 

 


[1]          Vgl. Dokumentarfilm „God Loves Uganda“ (2013) Produzent and Regisseur Roger Ross Williamsund Kalende, Val: „Africa: Homophobia is a Legacy of Colonialism“. In: The Guardian Online http://www.theguardian.com/world/2014/apr/30/africa-homophobia-legacy-colonialism Abgerufen: 09.03. 2016

[2]          Vgl. „Polizei rabiat gegen Asylbewerber, rechter Mob darf weiterhetzen“ In: Migazin. Migration in Germany. http://www.migazin.de/2016/02/22/asylheim-leiter-afd-mitglied-rechter/ Abgerufen: 07.03. 2016

[3]          Vgl. Attia Iman (2009): „Die 'westliche Kultur' und ihr Anderes: Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischen Rassismus. Tanscript Verlag. Bielefeld

[4]          Vgl. Yaghoobifarah, Hengameh „Willkommen in der Hölle Ladys.“ In Taz.de. http://www.taz.de/!5263311/  Abgerufen: 08.03.2016

[5]          Vgl. Titelstory Emma. Ausgabe Nov/Dez. 2015 „Wir helfen Flüchtlingen aber die Frauenrechte dürfen nicht auf der Strecke bleiben“ http://www.emma.de/ausgabe/emma-ausgabe-novemberdezember-2015-330739 Retrieved 6th 9th March 2016.Abgerufen: 09.03.2016

 

 

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