Von Anne Lepper

Während eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße am Ende des Zweiten Weltkriegs erst mit einiger Verzögerung und begleitet von etlichen geschichtspolitischen Kontroversen um die verschiedenen Erklärungsmuster einsetzte, nahm die Thematik in den gesellschaftlichen Diskursen der Nachkriegszeit schon bald und insbesondere in der Auseinandersetzung um deutsche Opfernarrative eine Schlüsselfunktion ein. In der jungen Bundesrepublik, in der etwa sechzehn Prozent der Gesamtbevölkerung erst am Ende des Krieges oder danach in den Westen gekommen war, waren die Erfahrungen von Flucht und Vertreibung sowie die damit in Verbindung stehenden Forderungen nach Integration und dem Recht auf Rückkehr allgegenwärtig.

Die Bedeutung des Themas in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit spiegelte sich allerdings nicht in den filmischen Darstellungen jener Zeit wieder. In Spielfilmen der 1950er bis 1970er Jahre, so beschreibt es Michaela Ast in einem themenspezifischen Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung, spielten Flucht und Vertreibung, wenn überhaupt, nur eine sehr untergeordnete Rolle.

Wiederaufbau und Alltagsflucht

Nach der endgültigen Kapitulation des Deutschen Reiches und einem Krieg, der von deutscher Seite aus über fünfeinhalb Jahre als Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug geführt worden war, stand die deutsche Bevölkerung vor den Trümmern ihrer Existenz und ihrer Ideologien. Die Kraft zum materiellen Wiederaufbau des Landes war getragen von einem weitverbreiteten Eskapismus, der eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Täterschaft oder der Komplexität der neuen Gesellschaftsordnung vielfach verunmöglichte. Als Ausdruck dieser Flucht in die Gegenwart kann der sogenannte Heimatfilm gesehen werden – ein rein deutsches Genre, das sich während des Kinobooms der 1950er Jahre größter Beliebtheit erfreute. Der Heimatfilm entsprach dem Bedürfnis vieler Deutscher nach Einfachheit und Übersichtlichkeit und verhalf dem von Krieg und Wiederaufbau geplagten Volk zur ersehnten Entspannung. Simple Liebesgeschichten, die unweigerlich in dem vorhersehbaren Happy End aufgingen, wurden kombiniert mit dialogarmen, oft musikalisch untermalten Szenen, die eine vollständige Versenkung in die Natur ermöglichten. In diesen harmonischen und einfachen Filmen, die oft stark von den Lebensrealitäten ihrer Zuschauer_innen abwichen, spielten Flucht und Vertreibung entweder gar keine Rolle, oder wurden nur indirekt und über Andeutungen zur Sprache gebracht. Grund dafür waren, so Ast, nicht zuletzt die Interessen und Überlegungen der Westalliierten, deren Ziel es war, das mit den zahlreichen Geflüchteten und Vertriebenen vorhandene Unruhepotenzial durch deren vollständige Absorption durch die westdeutsche Gesellschaft einzudämmen. Dementsprechend fanden die Erfahrungen von Flucht und Verfolgung nur als Erfolgsgeschichte Eingang in die Plots der Heimatfilme und dienten somit einer allgemeinen und gegenseitigen Akzeptanzherstellung.

Während die neuen Herrschaftsstrukturen in den Herkunftsgebieten eine filmische Darstellung dieser Regionen aus technischen sowie ideologischen Gründen de facto ausschlossen, sollten die in Westdeutschland gedrehten Naturszenen der Herstellung eines neuen und gemeinsamen Heimatgefühls dienen. Durch die Ausblendung konkreter Flucht- und Vertreibungserfahrungen und die Tabuisierung der vielfach vorhandenen Forderungen nach Rückkehr, wurde der Fokus gezielt auf die Gegenwart gerichtet und die Integration sowie die individuelle Entfaltung der Vertriebenen in ihrer neuen Heimat in das Zentrum gestellt. Die erfolgreiche Integration der Vertriebenen bildete demgemäß auch in Heimatfilmen wie „Grün ist die Heide“ von Hans Deppe aus dem Jahr 1951 oder „Das Mädchen Marion“ von Wolfgang Schleif aus dem Jahr 1956 das obligatorische Happy End, das sich in beiden Filmen anhand einer Liebesgeschichte zwischen einer Vertriebenen und einem Einheimischen manifestierte.

Flucht und Vertreibung als deutsches Opfernarrativ

Während also in den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg Flucht und Vertreibung in deutschen Spielfilmen nur auf subtile Weise und entsprechend der politischen Agenda dargestellt wurde, setzte in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren in der fiktionalen filmischen Darstellung der Thematik ein deutlich wahrnehmbarer Wandel ein. Spielfilme, die sich mit dem Sujet beschäftigten, allen voran der Fernseh-Zweiteiler „Die Flucht“ aus dem Jahr 2007, verzichteten nun nicht länger auf die explizite Darstellung des Fluchtvorgangs. Die Herkunftsregionen, die zuvor Teil der inzwischen zusammengebrochenen Sowjetunion gewesen waren, fanden sich in den verschiedenen Produktionen wieder und wurden damit Teil der Erzählung.

Fehlende Darstellung der Ursachen und Gründe von Flucht und Vertreibung im Spielfilm

In ihrem Dossier zeigt Michaela Ast, dass das Thema Flucht und Vertreibung in den letzten Jahren auf filmischer Ebene zwar expliziter und differenzierter behandelt wurde, dabei jedoch in der Regel nicht zwischen den beiden Vorgängen unterschieden wurde. Während die Flucht in verschiedenen Produktionen ausführlich dargestellt wurde, spielte der Akt der Vertreibung laut Ast in der Regel keine Rolle. Dadurch werden jedoch in der kollektiven Wahrnehmung beide Vorgänge gleichgesetzt und sowohl auf darstellerischer als auch auf historiografischer Ebene in einen gemeinsamen Erfahrungszusammenhang gestellt, in dem die Flucht als zwangsläufige Reaktion auf Vertreibung gesehen wird. Dadurch findet im Film eine Differenzierung in Bezug auf Ursachen, Gründe und Zeiträume oft nicht statt. Während die Autorin die Problematik, die hinter dieser Darstellung steht, erkannt zu haben scheint, macht ihre Analyse jedoch hinter der grundsätzlichen Feststellung einer Vereinheitlichung von Flucht und Verfolgung und einer fehlenden Personifizierung der für Flucht und Verfolgung Verantwortlichen halt. Dabei drängt sich jedoch geradezu die Frage auf, um wen es sich eigentlich bei den Verantwortlichen handelt.

In ihrer Darstellung verzichtet Ast vollständig auf eine Kontextualisierung der Geschehnisse, die am Ende des Zweiten Weltkrieges zu Flucht und Vertreibung von etwa 15 Millionen Menschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße führte. Es entsteht dadurch der Anschein, die Verantwortlichen seien lediglich in den Regierungen der betreffenden Länder – in erster Linie Polens und der Tschechoslowakei – und den westlichen Alliierten zu suchen. Dass jedoch, neben den durchaus vorhandenen minderheitenfeindlichen Interessen der entsprechenden Staaten, nach dem Krieg der Ursprung von Flucht und Vertreibung der Deutschen in erster Linie in der bevölkerungspolitischen Aus- und Umsiedlungspolitik des Deutschen Reiches sowie dessen unter anderem gegen Polen und die Tschechoslowakei geführten Vernichtungskrieg zu sehen ist, wird in dem Dossier nicht deutlich. Damit erscheint die Darstellung Asts an vielen Stellen als Wiedergabe eines reinen und undifferenzierten Opfernarrativs, das die Gründe und Ursachen von Flucht und Vertreibung nicht in einen übergeordneten Erfahrungszusammenhang aus nationalsozialistischem Eroberungsfeldzug, Zweitem Weltkrieg, der Neuordnung der politischen Verhältnisse und der alliierten Besatzung stellt.

Dennoch bietet das Dossier zahlreiche Möglichkeiten, um mittels filmischer Darstellungen im Unterricht an das Thema anzuknüpfen. Es kann durchaus spannend sein, unterschiedliche Deutungsmuster und vorherrschende Narrative in Filmen verschiedener Epochen nebeneinander zu stellen und zu analysieren. Um jedoch eine sensible und historiografisch korrekte Einordnung der damit in Verbindung stehenden Vorgänge zu ermöglichen, sollte eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema im Vorfeld gewährleistet werden. Dazu bietet sich unter anderem das ebenfalls in dieser Ausgabe vorgestellte Buch „Wer Sturm sät. Die Vertreibung der Deutschen“ von Micha Brumlik an.

 

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