Von Gerit-Jan Stecker
Vier Menschen, zwei Generationen: Den Experimental-Musiker Yehuda Poliker und seinen Produzenten Ya'akov Gilad verbinden nicht nur Freundschaft und Musik. Yehudas Vater Jaco Poliker stammt aus Saloniki (heute Thessaloniki) geboren. Die Nationalsozialisten deportierten ihn nach Auschwitz. Als einziger seiner Familie überlebte Jaco Poliker. Ya'akovs Mutter Halina Birenbaum war zehn Jahre alt, als die Deutschen Warschau besetzten. Nur knapp entrann sie der Gaskammer in Auschwitz-Birkenau und überlebte den Todesmarsch .
Die Erinnerung daran können sie, die erste Generation, nicht loswerden. Jaco Poliker und Halina Birenbaum sind sehr unterschiedliche Menschen, und doch ähneln sie sich im Umgang mit ihren Traumata. Beinahe täglich erzählen sie davon, versuchen verzweifelt, ihr Lebensgrauen zu begreifen und dadurch erträglicher zu machen. Ihre Kinder müssen zuhören. Obwohl sie es eigentlich nicht mehr ertragen können, die immer wiederkehrenden Albträume ihrer Eltern, deren übersteigerte Verlustängste, die daraus resultierenden Verbote, Störungen und Einschränkungen, selbst noch als Erwachsene. „Es sind viele Traumas. Immer geschah etwas neues“, sagt Yehuda gleich zu Beginn, als er vom Ereignis berichtet, das sein Stottern auslöste: Sein Vater Jaco hatte infolge des Hungers im KZ die Angewohnheit, Brot in großen Bissen zu verschlingen. Eines Tages, als Yehuda fünf oder sechs Jahre alt war, erstickte sein Vater beinahe an einem Stück Brot. Während Yehuda diese Szene beschreibt, verstärkt sich sein Stottern immer mehr. Ya'akov erzählt, wie seine Kindheit vollständig davon bestimmt war, Kind von Überlebenden zu sein. Im Gegensatz zu den anderen Kindern hatte er keine Onkel, Tanten, Großeltern usw. Seine Kinderspiele bezog seine Mutter Halina permanent auf ihre Kindheit im Ghetto.
Der Film „Because of That War“ (Heb.: „Biglal Ha'Milchama Hahi“, Dt.: „Wegen dieses Krieges“) von Orna Ben-Dor Niv zeigt, wie diese beiden Generationen mit der Erfahrung eines wahr gewordenen Albtraums umgehen, die die ganze Familie bestimmt. Er wirft die Frage nach der Vererbung von Traumata auf und thematisiert die besondere Situation der „zweiten Generation“ von Sho'a-Überlebenden. In Deutschland erhält dieses Thema erst seit kurzem nennenswerte Aufmerksamkeit. So organisierte der „Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte“ im Jahr 2015 eine Fachkonferenz mit dem Ziel, Betroffene zu Wort kommen zu lassen, Forschungslücken zu benennen und Impulse zu geben, wie auf die Bedürfnisse der „zweiten Generation“ reagiert werden kann.
Hauptsächlich in Dialogszenen erzählt „Because of That War“ zurückhaltend und eindringlich zugleich von einem Leben, das dominiert wird von Schuldgefühlen – von der Schuld, anstelle der Familie und Freunde überlebt zu haben, den Eltern nicht wirklich helfen zu können, das Leben der Kinder zu erdrücken. Der Film zeigt aber auch, wie sie individuell und produktiv damit umgehen: Yehuda und Ya'akov verarbeiten in ihrer von bewussten Brüchen und Lücken gekennzeichneten Musik die Geschichten ihrer Eltern; Ya'akovs Mutter schreibt sogar Texte für diese Lieder, veröffentlicht Werke und Gedichte ermordeter Schriftsteller; sie hält Vorträge und schreibt eine Biografie über Yaco Poliker.
Es ist ein Verdienst von „Because of That War“, die Auswirkungen der Sho'a auf die Kinder der Überlebenden als Dokumentarfilm öffentlich zu machen. Zugleich liefert der Film einen spannenden Beitrag zur Frage, ob und in welcher Form die Vernichtung der Juden überhaupt künstlerisch bearbeitet werden kann. Der Film kann über das Arsenal – Institut für Film und Videokunst e.V. geliehen werden.
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- 27/01/2016 - 07:28