Irme Schaber: Gerda Taro, Fotoreporterin. Mit Robert Capa im Spanischen Bürgerkrieg. Die Biographie, (2013) Jonas Verlag Marburg, 256 S., 218 Abb., 35 €

Von Gerit-Jan Stecker

Frau, Jüdin, Kommunistin – das sind nicht die besten Voraussetzungen, um als Fotojournalistin während der vergangenen, vom Kalten Krieg geprägten Jahrzehnte Eingang ins kulturelle Gedächtnis zu finden. Dabei schrieb Gerda Taro Geschichte: Sie war die erste Fotografin, die direkt aus dem Kampfgeschehen berichtete. Einige der dramatischsten und am häufigsten verwendeten Bilder des Spanischen Bürgerkriegs stammen von ihr. Und Taro war an der Entstehung des berühmten Fotos des „Fallenden Milizionärs“ von Robert Capa beteiligt.  

Dass sie mit Robert Capa, dem berühmten Kriegsfotografen, liiert war, behinderte lange Zeit die Anerkennung ihres Lebenswerks mehr, als dass es sie förderte. Gleichzeitig ist es diesem Umstand geschuldet, dass überhaupt etwas von ihr überliefert ist. Taro starb mit 26 Jahren. Es gibt keinen Nachlass, ihre Familie wurde von den Nationalsozialisten ermordet. Einige ihrer Fotografien wurden Capa zugesprochen oder gerieten ganz in Vergessenheit.

Die Kulturwissenschaftlerin Irme Schaber ist nach eigenen Aussagen über eine kleine Notiz von Ernest Hemingway auf Taro gestoßen. Seit dem Beginn der 1990er-Jahre sführte Schaber umfangreiche Recherchen zur der Fotografin durch. Die gesamten Ergebnisse ihrer akribischen Spurensuche, ihrer Zeitzeugengespräche, Archivaufenthalte und mediengeschichtlichen Forschung hat sie in einem 2013 erschienenen Band vorgelegt. Ihr Anspruch ist es, die enge Verschränkung von Makrohistorie und Lebensgeschichte, das wechselseitige Beeinflussen von politischem Geschehen und individueller Biographie darzustellen.

Familien- und Migrationsgeschichte

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs floh Gerdas Familie vor der antisemitischen Pogromstimmung und der Armut, die das heutige Ostpolen beherrschte, in das südwestdeutsche Stuttgart, wo sie am 1. August1910 als Gerta Pohorylle geboren wurde. Auch hier erfuhr sie eine zunehmende Stigmatisierung und Ausgrenzung. Im Zuge der blutigen Niederschlagung der Novemberrevolution von 1918/19 verbreitete sich in der Weimarer Republik ein Antisemitismus, der von einer Verschwörung von linken und pazifistischen Kräften und einem „Weltjudentum“ ausging. Darauf reagierten Taros Eltern unter anderem mit der besonders deutsch klingenden Namenswahl ihrer Kinder. Vor diesem Hintergrund schaffte es ihre Familie dennoch, einen gehobenen, mittelständischen Lebensstandard zu etablieren.

Politisierung in Leipzig

Als in Stuttgart 1929 die internationale Werkbundausstellung „Film und Foto“ (FiFo) wegweisende Arbeiten und Diskurse präsentierte – John Heartfield etwa forderte in seinem Raum „Benuetze Foto als Waffe“ – war Taro schon mit der zeitgemäßen Fotografie einigermaßen vertraut. Doch Taro politisierte sich erst, nachdem ihre Familie aus wirtschaftlichen Gründen 1929/30 in Leipzig nach Leipzig umzog. Dort kam sie mit dem sozialistischen Schülerbund in Kontakt und wurde in Kreise intellektueller, künstlerischer Kommunisten um Dina Gelbke, die mit Lenin in der Schweiz zusammen arbeitete, eingeführt.

In dieser Zeit des allgemeinen wirtschaftlichen Niedergangs weiteten nationalsozialistische Organisationen und Mobs ihren Terror aus und es kam zu tödlichen Zusammenstößen zwischen Arbeiter/innenbewegung und Polizei. Nach der Machtübergabe an die NSDAP blieb jedoch ein wirksamer Widerstand durch oppositionelle Gruppen aus. Es kam nicht zum Generalstreik. Taro beteiligte sich trotz der massiven Repressionen, die sofort ihren Freundeskreis trafen, an Plakat- und Flugblattaktionen. Im März 1933 wurde sie von der SA in „Schutzhaft genommen“. Nur auf Druck des polnischen Konsulats – Taro war noch immer polnische Staatsbürgerin – kam sie nach einigen Wochen frei. Während der Haft lieferte sie ein weiteres beeindruckendes Beispiel dafür, dass widerständiges Handeln auch in Bedrohungssituationen erfolgreich sein konnte: Als die Schreie der Misshandelten aus dem Gefängnistrakt für Männer drangen, überzeugte Taro die anderen Gefangenen, unerlaubterweise Klingeln zu benutzen – bis die Folter unterbrochen werden musste. 

Werden, was man sein will“

Taro war schnell klar, dass es zu gefährlich, der Alltag zu repressiv wurde. Darüber, wie ihr dann die riskante Flucht nach Frankreich gelang, existieren heute mehrere Versionen. Nach ihrer Ankunft in Paris lebte sie von 1933/34 zunächst unter armen Bedingungen. Hier lernte sie den jungen ungarischen Fotojournalisten André Friedmann kennen, der sich zu dieser Zeit noch nicht Robert Capa nannte. Wenig später entschied sich Taro endgültig selbst für das Fotografieren. Und sie fand eine Stelle bei der Agentur „Alliance Photo“, was ein weiterer Glücksfall für sie und ihren Gefährten war. Als Gerta Pohorylle bemerkte, dass sie und André Friedmann ihre Fotografien zum dreifachen Preis loswerden konnten, wenn sie diese als Arbeiten angeblich renommierter amerikanischer Künstler/innen ausgaben, erfand sie sich und André als Gerda Taro und Robert Capa neu. Zugleich reagierten sie damit auf die Diskriminierungserfahrungen, die sie als jüdische Geflüchtete, als „réfugiés“, immer wieder erleiden mussten.  

Krieg und Revolution dokumentieren 

Im Juli 1936 siegte die französische „Volksfront“, das Bündnis verschiedener linker Parteien unter Léon Blum, in den Parlamentswahlen. In das entstehende Hochgefühl platzte die Nachricht vom Militärputsch Francos gegen die spanische Volksfront, die „Frente Popular“, die schon im Februar die ersten demokratischen Wahlen dieses Landes gewonnen hatten. Die Regierung in Madrid reagierte zunächst zurückhaltend. Gewerkschaften, linke Gruppen und lokale Milizen übernahmen die Verteidigung der Demokratie; doch ging es ihnen auch um eine soziale Revolution.  

Moderner Medienkrieg, neue Bilder

Taro und Capa wollten sofort nach Barcelona aufbrechen. Ihre Bilder sollten aufrütteln, aufklären und Druck auf die Regierungen der westlichen Allianz ausüben. In diesem Krieg erwies sich vermeintlich neutraler Journalismus als politische Farce; die beiden bezogen eindeutig Position. Der Spanische Bürgerkrieg gilt als erster moderner Medienkrieg der Geschichte. Ein internationales Publikum konsumierte besonders die Bildberichterstattung im Bewusstsein, den „historischen Augenblick“ unmittelbar mitzuverfolgen. Und nicht nur Taro und Capa gingen davon aus, das Medium Fotografie könne überall und von allen verstanden werden. 

Ein Fotomotiv verkörperte dabei für französische und britische Zeitungen den revolutionären Bruch mit der alten Ordnung wie kein anderes: kämpfende Frauen. Taros Bilder zeigten starke, politisch bewusste Kämpferinnen. Trotzdem wurden einige ihrer und Capas Aufnahmen von einer Pariser Agentur an die nationalsozialistische „Berliner Illustrierte Zeitung“ verkauft und gerieten so in eine NS-Propagandabroschüre namens „Moskau – Henker Spaniens“, wo dieselben Motive mit anderer Bildunterschrift den Widerstand gegen den faschistischen Putsch als „schwach und weibisch“ denunzieren sollten. Taros Biografin Irme Schaber betont dabei, dass die attraktive Kriegsreporterin mit der Kamera nicht nur die traditionelle Rolle umkehrte, passiv vor der Kamera zu stehen, und damit begann, über das Sehen und Gesehenwerden selbst zu bestimmen. Vielmehr betrat Taro mit dem Fotoapparat „als Schutzschild und Türöffner“ eine Männerdomäne – den Krieg. Sie setzte der faschistischen Verherrlichung eines militärisch-völkischen Einheitskörpers, der Verherrlichung von Tod und Technik Porträts normaler Menschen im Kriegsalltag entgegen.

Die Spanische Republik verwendete viele Aufnahmen von Taro und Capa in ihrer Öffentlichkeitsarbeit gegen die Nichteinmischungspolitik der nicht-faschistischen Staaten. Vor allem Fotos aus dem blutig umkämpften Madrid tauchten in den internationalen Medien auf; zentrale Persönlichkeiten der Öffentlichkeit, etwa Virginia Woolf, erhielten Fotografien zugesendet, die sie zur Stellungnahme bewegen sollten. Über der spanischen Hauptstadt testete die deutsche „Legion Condor“, in welchem Ausmaß die planmäßige Bombardierung ziviler Ziele – wie z. B. von Krankenhäusern – die Bevölkerung in Panik versetzt. Internationale Aktivist/innen, Kunst- und Medienschaffende stellten sich nun die Frage, wie Bombenterror und das Leid der Opfer, wie Solidarität und Widerstand angemessen in Bildern und Sprache vermittelt werden können. 

Tod und Erinnerungspolitik

Am 25. Juli 1937 wurde Gerda Taro während eines Angriffs der deutschen Legion Condor an der Brunete-Front vom Trittbrett eines LKW gerissen und von einem republikanischen Panzer überrollt. Ihr Tod erregte weltweit Aufsehen, sie war die erste Journalistin, die im Einsatz starb. Die Kommunistische Partei Frankreichs trug sie feierlich zu Grabe. International wurde sie als antifaschistische Jeanne d'Arc, die sich für die Partei geopfert habe, inszeniert und genutzt. Tatsächlich aber haben Taro und Capa sicher wenig sympathisiert mit dem im Frühjahr 1937 vollzogenen stalinistischen Umbau der republikanischen Milizen in eine Volksarmee, in der Frauen das Kämpfen verwehrt war, und der damit einhergehenden Denunzierung und Ermordung von nicht linientreuen Gruppen als faschistische und trotzkistische „Schädlinge“. Sie suchten vermutlich weiter die Möglichkeit, direkt aus dem Kampfgeschehen zu berichten. Und im Jahr 1942, während Taros Familie, die zwischenzeitlich nach Jugoslawien emigriert war, von den Nationalsozialisten ermordet wurde, machten die deutschen Besatzer einen Gedenkstein des surrealistischen Künstlers Alberto Giacometti für Taro auf dem Friedhof für die Gefallenen der Pariser Commune unkenntlich.

Die erste und einzige Ausstellung von Taros und Capas gemeinsamen Arbeiten fand bereits 1938 in der „New School of Social Research“ statt. Der Ausstellungsbericht im Time Magazin stellt Capa als weltberühmten Fotografen vor, Taro als seine verunglückte Ehefrau. Weder, dass in der Ausstellung ihre Arbeiten zu sehen sind, noch dass sie sich einer Heirat mit Capa verwehrt hatte, wurde erwähnt. Das war das Muster, durch das ihr fotografisches Schaffen schon bald von Capas Werk überdeckt werden sollte. 

Neben der Ikone der antifaschistischen Jeanne d'Arc blieb die Fotopionierin auf der Strecke. Capa versteckte sich während der McCarthy-Ära des beginnenden Kalten Krieges gewissermaßen hinter Taro, er musste mehrfach um seine Wiedereinreise in die USA fürchten: Das revolutionäre Engagement sei ihre Sache, er dagegen ein neutraler Dokumentarist gewesen. 

In der DDR sah die Gedenkpolitik anders aus: Dina Gelbke, die in Leipzig Taro politisch beeinflusst hatte, setzte sich für deren Würdigung ein. Diese sollte exemplarisch für die namenlosen antifaschistischen Widerstandskämpferinnen stehen, die bis dahin in der Geschichtsschreibung nicht angemessen repräsentiert waren. 1970 wurde eine Straße in Leipzig nach ihr benannt und ein Schild wies auf die Namensgeberin hin. Auf dem Leipziger Südfriedhof war ihr Name neben anderen Widerstandskämpfer/innen in ein Wandrelief gemeißelt. Etwa zehn Jahre nach dem Ende der DDR ließ der Stadtrat die Gedenkmauer allerdings entfernen. Dina Gelbke versuchte außerdem, aus der Lebensgeschichte Taros Stoff für eine Fernsehserie mit Vorbildcharakter zu entwickeln. Das scheiterte allerdings unter anderem an den zu erwartenden Kosten für ein solches Unternehmen. 

Am Ende des Kalten Krieges beginnt die Wiederentdeckung zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. 1989 wurde erst- und letztmalig der „Gerda-Taro-Preis für hervorragende bildjournalistische Leistungen“ verliehen; 2007 präsentierte das New Yorker „International Center of Photography“ die erste Retrospektive der Fotografin, erarbeitet von Irme Schaber.  

Fazit

Irme Schaber gelingt es mit ihrem Band „Gerda Taro. Fotoreporterin“ detailliert und reich an Material das kurze Leben der Fotoreporterin zu rekonstruieren. Die Ausgabe selbst ist ansprechend gestaltet und wirkt in der Aufmachung wie ein Ausstellungskatalog (sie enthält über 200 Abbildungen). Dabei meistert Schaber die Herausforderung, quellenkritische Annahmen in die Form einer biografischen Erzählung zu gießen. Etwa gibt sie einander widersprechende Zeitzeug/Innenaussagen an, ohne dass dies die narrative Spannung bricht. Zugleich schafft sie es, aus einer beeindruckenden Vielzahl anderer Lebensläufe, die auf unterschiedliche Weise mit dem von Gerda Taro verflochten sind einerseits, und aus der europäischen Makrogeschichte zwischen den beiden Weltkriegen andererseits, ein vielschichtiges Bild der Bedingungen zu zeichnen, die das Leben einer politisch bewussten jungen Frau beeinflussten. Diese sind zum Teil noch immer aktuell und exemplarisch, wie beispielsweise die mehrfache Benachteiligung als Frau und als Geflüchtete. Allerdings wirkt es vor diesem Hintergrund auch in der vorliegenden Biographie ein wenig, als ob Taro weder ganz aus dem Schatten Robert Capas tritt, noch als würde ihre politische und journalistische Praxis ohne die ihr zugewiesene Rolle als Liebesobjekt für Männer auskommen.

 

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