Interview

„Die Erwachsenen haben mich spüren lassen, dass ich nicht willkommen bin“ Ein Interview von Haris Huremagić mit einem „schwarzen Besatzungskind“.

Helmut Köglberger wurde 1946 in Steyr, Oberösterreich, als Sohn eines afroamerikanischen Besatzungssoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. Er machte eine herausragende Karriere als professioneller Fußballspieler. So spielte er nicht nur in verschiedenen österreichischen Fußballvereinen, sondern auch für die österreichische Nationalmannschaft und wurde 2008 vom Fußballverein "LASK Linz" zum "Spieler des Jahrhunderts" gewählt. Haris Huremagić studiert Rechtswissenschaften und Slawistik an der Universität Wien. Er ist Preisträger des österreichischen Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten und Mitglied des europäischen Geschichtsnetzwerkes EUSTORY.

Was wissen Sie über Ihren Vater?

Ich weiß sehr wenig. Ich habe einfach zu spät angefangen zu suchen. Auch meine Mutter hat mir wenig gesagt und geschwiegen. Es gab mehrere Möglichkeiten: Vergewaltigung, One-Night-Stand oder eine Beziehung. Laut meiner Tante war es eine Beziehung.
Meine Mutter musste mich wegen des Drucks in ihrer Umgebung, wo viele Personen eine Nazi-Vergangenheit hatten, weggeben. Das zu erfahren war mir sehr wichtig, um hier Frieden zu finden.

Wann haben Sie angefangen Ihren Vater zu suchen?

Ich habe erst angefangen, als ich selber Kinder hatte. Die haben mich immer nach ihrem Großvater gefragt. Ich habe einfach keine Zeit gehabt, mich früher damit zu beschäftigen, weil es mir sehr gut gegangen ist. Erst spät ist mir aufgefallen, dass mir hier etwas fehlt. Es tut mir sehr leid, dass ich nicht früher zu suchen angefangen habe. 

War das Ganze ein Thema, das in Ihrer Kindheit oft aufgekommen ist?

Sicher, aber nur unter Erwachsenen. Die Kinder, also meine Schulkollegen, haben mich sehr gut aufgenommen und es haben sich Freundschaften für das Leben entwickelt. Es hat gar keine Rolle gespielt, ob ich jetzt schwarz bin oder nicht. Da hatte ich 7-8 Freunde, die mir Sicherheit gaben. Mit vielen pflege ich bis heute Freundschaften. Mein Lehrer hat mich sehr unterstützt. Er war ein Fußballfanatiker und nach der Schule haben wir uns alle immer getroffen zum Fußballtraining. Er war für mich eine Vaterfigur. Da habe ich auch Disziplin gelernt. Den Fußball habe ich genutzt, um mich zu profilieren. Ich war sehr in der Gemeinschaft aktiv, habe in der Kirche ministriert. Und mit der Zeit wird man einer von denen. Das habe ich vor allem dann im Sportverein mit 12 oder 13 Jahren gespürt.

Haben Sie in der Schule Rassismus erfahren?

Nein, das ist auch das Interessante. Kinder haben diese Vorurteile meiner Erfahrung nach nicht. Die Erwachsenen haben die ganze Nazipropaganda mitbekommen. 1945 haben sie den Krieg und viele Verwandte verloren und 1946 bin ich geboren – natürlich hat fast keiner gesagt: „Super, Amerika!“. Das habe ich gespürt. Ich habe gespürt, dass ich nicht willkommen bin. Während der Besatzungszeit waren sie ruhig, aber im Herzen haben sie gedacht: „Was wollen die hier überhaupt?“. Ich kann das Ganze gut in die Gegenwart übertragen. Das Flüchtlingsproblem, das eigentlich kein Problem ist, das können nur die Jungen lösen. Vor allem was die Integration dieser Flüchtlinge betrifft. Viele ältere Mitglieder der Gesellschaft sind hier eher zurückhaltend. Es ist möglich, die Flüchtlingsthematik zu lösen. Bei so vielen Einwohnern der EU kann mir keiner erzählen, dass es unmöglich ist, die Flüchtlinge unterzubringen.

Sie sind bei Ihrer Großmutter aufgewachsen?

Ja, denn meine Mutter hat mich weggegeben und so bin ich bei meiner Großmutter gelandet. Sie war eine sehr resolute Frau. Sie hat sich überall durchgesetzt und hat für mich gekämpft. Wie gesagt, die Erwachsenen haben mich spüren lassen, dass ich nicht willkommen bin. Kinder und meine Schulkollegen haben mir das schönere Leben vermittelt und mir viel mitgegeben. Darum habe ich immer Freude mit Kindern. Ich habe selbst Kinder gehabt, später eine Krabbelstube geführt und heute bin ich im Projekt „Hope for Future“ in Nairobi involviert, wo ich auch mit Kindern arbeite.

Wieso hatten es manche Besatzungskinder so schwer?

Die meisten Kinder haben es nicht leicht gehabt aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen. Man galt als uneheliches Kind und war dem Jugendamt zugeordnet und das Jugendamt war zu meiner Zeit eine echte Katastrophe. Mir wurde nur gedroht und gesagt: „Wenn du nicht brav bist, kommst ins Heim!“. Viele Kinder haben darunter gelitten. Volljährig war man damals erst mit 21 Jahren. Als ich geheiratet habe, musste ich um Erlaubnis fragen. Das war für mich kein Problem, denn da hatte ich bereits einen Namen als Fußballer.

Was bedeutet der Fußball für Sie?

Fußball war für mich eine absolute Chance. Ich wurde Mitglied eines Vereines, der mir die Schule zahlte. Ich habe gesehen, dass ich mir mit Fußball eine Zukunft aufbauen kann.

Haben Sie Alltagsrassismus im Fußball erlebt?

Ja schon öfters, vor allem in Auswärtsspielen. Damals gab es die Fernsehsendung „Roots“ mit einem schwarzen Charakter namens „Chicken George“. Darum riefen sie mir immer „Chicken George“ zu.
Als dunkelhäutiger Fußballspieler war man einfach auffälliger. Es gab seit den 60er Jahren dunkelhäutige Spieler in Österreich, ich war aber immer der Österreicher. Die anderen waren Brasilianer oder so. Von der Presse wurde ich dann als „österreichischer Murli“ betitelt. Das hat mir auch genutzt. Wenn man zehn weiße Spieler hat und einen schwarzen, schaut man unbewusst öfter zum schwarzen, weil er auffällt. Wenn man dann auch noch Talent zeigt, dann schaut man umso öfters hin. So hat man Aufmerksamkeit bekommen. Das war durchaus ein Vorteil. Aber ich habe mich auch getraut, etwas zu sagen, wenn die Presseberichterstattung nicht in Ordnung war.

Auf dem Cover eines neuen Buches über Besatzungskinder ist ein Foto von Ihnen abgedruckt. Wer ist das Mädchen neben Ihnen?

Wir haben in Sierning einen Fotografen gehabt und das war seine Tochter. Sie war zwei Jahre älter als ich und hat immer auf mich aufgepasst. Mit ihr habe ich seit jeher Kontakt gehalten. Sie hat in Wien studiert und wurde Ärztin. Leider ist sie jedoch vor einem Jahr an Krebs gestorben. Sie war eine beeindruckende Frau.

Was machen Sie heute?

Heute bin ich engagiert in der NGO „Hope for Future“. In Kenia betreiben wir zwei Schulen. Daneben haben wir eine Bäckerei und ein Fußballcamp. Diese Kinder bekommen regelmäßiges Essen und ärztliche Versorgung. Dieses Jahr präsentieren wir erstmals unsere Fußballmannschaft hier in Österreich. Wenn dann ein paar Personen Karriere im Fußball machen, unterstützen sie dann wieder unser Projekt auch finanziell.

Was kann man aus der Thematik der Besatzungskinder lernen?

Die Wichtigkeit der Akzeptanz und des Respekts gegenüber jedem Menschen. Auch die Notwendigkeit der Integration. Heute sitzen die Flüchtlinge in ihrer Unterbringung und haben kein Recht zu arbeiten. Das ist ein falscher Zugang. Sie sollen arbeiten können und lernen, um sich zu behaupten.

Vielen Dank für das Interview!

Übersetzung: Haris Huremagic

 

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