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Eine notwendige Kritik der Ausstellung am Waldfriedhof Halbe

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Der Autor ist Geschichtslehrer und Mitarbeiter des Brandenburger Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.  

Von Ralf Dietrich

70 Jahre nach dem Kriegsende wurde im April dieses Jahres eine Ausstellung an der größten Kriegsgräberstätte in Deutschland eröffnet. Um die inhaltliche Ausrichtung gab es Streit.

Wenn Historiker/innen für eine kleine Gemeinde eine dauerhafte Ausstellung erarbeiten, darf dann die Gemeindevertretung die Texte so umschreiben, dass sie „vor Ort akzeptiert“ werden - auch wenn dadurch Aspekte abgeschliffen werden, die ein allzu schlechtes Licht auf die Ortsgeschichte werfen könnten? In einem besonders exponierten Fall ist dies so geschehen.

Halbe ist ein Ort mit etwa 2.000 Einwohnern im Landkreis Dahme-Spreewald. Zehntausende Menschen starben im April 1945 in der Region, nachdem sich deutsche Kampfverbände nicht der Roten Armee ergaben. Rund 23.000 Tote aus den Kampfhandlungen, aber auch Opfer der Wehrmachtsjustiz, sowjetische Zwangsarbeiter/innen und Häftlinge aus dem sowjetischen Speziallager Ketschendorf sind auf dem Waldfriedhof beerdigt.

Nach 1989 entwickelte sich der „Soldatenfriedhof“ zu einem Wallfahrtsort der extremen Rechten. Halbe ist für Neonazis ein Erinnerungsort für den „Kampfgeist der Deutschen“ gegen die vorrückende Sowjetarmee.

Widerstand gegen das neonazistische „Heldengedenken“ leistete ein örtliches Aktionsbündnis, zunächst mit Unterstützung von Antifa-Gruppen und des brandenburgischen Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. 2005 stellte sich dem Aufmarsch eine Blockade entgegen, an der sich zahlreiche Landespolitiker beteiligten.

Zunehmend wurde deutlich, dass es, zusätzlich zu solchem Widerstand notwendig war, den Neonazi-Mythen eine dauerhafte Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen entgegenzustellen. Dazu berief der Landtagspräsident Gunter Fritsch (SPD) 2006 eine Expertenkommission unter der Leitung des Direktors der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Professor Günter Morsch, und des Vorsitzenden des Aktionsbündnisses, Superintendent Heinz-Joachim Lohmann. Im Jahr 2009 übergab die Kommission ihren Bericht. Eine Freiluftausstellung, die das historische Geschehen wissenschaftlich fundiert darstellen solle, war eine zentrale Empfehlung.

Vor Ort fiel das Echo geteilt aus. Es sollte bis 2013 dauern, bis eine Mehrheit im Halber Gemeinderat für die Ausstellung stimmte. Die Amtsverwaltung übernahm die Realisierung, das Geld kam vom brandenburgischen Wissenschaftsministerium. Der Historiker Mikko Wirth stellte in Zusammenarbeit mit Professor Morsch die Texte und Fotos zusammen.

Der Bürgermeister Halbes, Ralf Kunze (Bürgerbündnis freier Wähler), und die Gemeindevertretung änderten, nachdem sie das Material erhalten hatten, eigenmächtig Texte und entfernten Fotos. Professor Morsch warf der Gemeinde daraufhin „politische Einflussnahme“ und eine „Verfälschung“ der wissenschaftlichen Arbeit vor; er zog sich aus dem Projekt zurück. Der Kurator Wirth hielt die Veränderungen für einen vertretbaren Kompromiss, denn eine „rote Linie“ sei nicht überschritten worden. Martin Gorholt, Staatssekretär im brandenburgischen Wissenschaftsministerium, betonte, die Ausstellung müsse „auf Akzeptanz vor Ort stoßen“, und sah in den Änderungen nur einen „Konsensprozess, wo es um sprachliche Dinge geht.“

Wie weit gingen die Eingriffe tatsächlich? Ein Vergleich der wissenschaftlichen Erstversion und der von der Lokalpolitik bearbeiteten Endfassung zeigt: Manche Modifikationen sind stilistischer Natur, einige der Umformulierungen und Streichungen verändern die Aussagen aber erheblich. Die Eingriffe können in drei Stränge geordnet werden.

Erstens: Hinweise auf die Ermordung von Juden während des Nationalsozialismus wurden entfernt.

Im Text für die Stele 8 „Die Soldaten der Roten Armee“ wurde betont, dass sowjetische Soldaten Vernichtungslager gesehen hatten, „in denen Millionen Menschen, vor allem Juden, ermordet worden waren“. In der veröffentlichten Fassung wird von „unvorstellbarem Grauen“ gesprochen, dem die Rotarmisten begegnet seien. Der Massenmord an Juden wird nicht mehr erwähnt; „Grauen“ ist im Vergleich eine wolkige Formulierung.

Im Text der Stele 4 hieß es: „Während des Novemberpogroms 1938 kam es auch in Halbe zu Ausschreitung [sic] gegen Juden. […] Die letzten noch in Halbe wohnenden jüdischen Familien wurden deportiert und ermordet.“ Auch hier wird im veränderten Text das Morden verschwiegen, es heißt nur noch: „Die ortsansässigen Juden wurden nach 1938 vertrieben oder deportiert.“

Zweitens: Informationen über die Rote Armee, die das Bild einer Terror verbreitenden „Siegerarmee“ relativieren, wurden gestrichen.

Auf der Stele 8 wurde ein Bild einer sowjetischen Ärztin entfernt, die 1945 im Lazarett im Nachbarort Teupitz Dienst tat. Gelöscht wurde auch der Hinweis: „Nach den Kämpfen wurden auch deutsche Verwundete und Verletzte in sowjetischen Lazaretten unter sowjetischer Leitung behandelt.“ Ebenso gestrichen wurde die Information, die eine „Verrohung“ von Rotarmisten erklären sollte: „Zehntausende sowjetische Kommissare waren selektiert und erschossen worden.“ 

Drittens: Bezüge des Ortes Halbe zum Nationalsozialismus wurden getilgt.

Die Stele 4, die mit „Halbe im Nationalsozialismus“ überschrieben war, wurde in „Halbe vor der Kesselschlacht“ umbenannt. Außerdem wurde ein Foto entfernt, auf dem Bürgerinnen und Bürger Halbes im Gasthof „Deutsches Haus“ vor einer großen Hakenkreuzfahne posieren.

Welche Motivation diesen Veränderungen zugrunde gelegen haben mag, lässt sich aus einem Rundschreiben des Halber Bürgermeisters herauslesen. Kurz vor der Eröffnung schrieb er an die Einwohner der Gemeinde, dass die Ausstellung „keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit“ erhebe, den Texten und Bildern solle „der herrschende Zeitgeist möglichst wenig anhaben“; diese müsse auch „niemand kommentieren“. Halbe solle ein Gedenkort werden, „wo sich jeder Gedanken zu den Geschehnissen machen kann, ohne Belehrungen, Demonstrationen und Volksreden“.

Die wissenschaftliche Darstellung der Geschichte, so kann man schließen, muss der Bürgermeister als eine vom „Zeitgeist“ diktierte „Belehrung“ empfunden haben. Dass diese Zensur Erfolg hatte, wirft einen Schatten auf diese wichtige Ausstellung, für die sich viele Menschen viele Jahre lang engagiert haben. 

 

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