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Deutsche Emigration nach Frankreich 1933-40

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Annette Nogarède lebt seit 1997 in Frankreich und unterrichtet Geschichte und Geographie im bilingualen deutsch-französischen Zweig am Gymnasium (AbiBac). Sie gibt auch Kurse über die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Nimes.

Von Annette Nogarède 

Frankreich war das Land auf der Welt, das während des deutschen Nationalsozialismus die meisten deutschsprachigen Flüchtlinge aufnahm, noch vor den USA. Von 1933 bis 1942, also bis zu der Verschärfung der Judengesetze und den ersten Deportationen des Vichy-Regimes, haben sich etwa 285 000 Flüchtlinge in Frankreich aufgehalten, von denen allerdings viele nach kurzer Zeit in andere Exilländer weiterreisten. Dies entspricht 57% aller deutschsprachigen Emigrant/innen in diesem Zeitraum. Im Gegensatz zu anderen Exilländern blieb Frankreich bis wenige Monate vor Kriegsausbruch für Emigrant/innen offen, auch wenn ihre Aufnahme unter komplizierten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschah.

Die rechtliche Situation der Emigranten von 1933 bis 1939 

Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge in Frankreich, durchschnittlich etwa 10% in der Periode von 1933 bis 1939, hatte eine reguläre Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, was sich durch die Schwankungen in der französischen Asylpolitik erklären lässt.

In den Monaten direkt nach der Machtergreifung 1933 hielt Frankreich seine Grenzen weitestgehend offen. Der anschwellende Emigrantenstrom, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise sowie der Einfluss rechtsextremer Gruppen und Presseorgane führten jedoch bald zu einer Verschärfung der Einwanderungspolitik. Am 18. Juli 1933 legte das Innenministerium fest, dass nur Emigrant/innen, die einen gültigen deutschen Pass besaβen, eine offizielle Aufenthaltsgenehmigung bekommen sollten. Sie wurden 1934 und 1935 nach und nach von der Ausübung bestimmter Berufe, wie z.B. Rechtsanwalt und Arzt, ausgeschlossen, und mussten einen offiziellen französischen Arbeitsvertrag vorweisen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten.

Mit der Volksfrontregierung verbesserte sich die Lage für kurze Zeit. Am 19. September 1936 wurde der von der Völkerbundkonvention vorgeschriebene Interimspass für alle von 1933 bis 1936 in Frankreich als Flüchtlinge anerkannten Personen eingeführt. Ihre berufliche Tätigkeit wurde von den französischen Behörden geduldet, auch wenn die Einschränkungen von 1934/35 offiziell in Kraft blieben.

Nach dem Sturz der Volksfrontregierung und der Ernennung Daladiers zum Ministerpräsidenten 1938 wurden die Behörden dazu ermutigt, „unerwünschte ausländische Elemente“, die politisch „agitierten“, auszuweisen. Die Emigrant/innen wurden zu einer strikten politischen Neutralität verpflichtet, was der nachgiebigen Politik der Regierung (Ribbentrop-Besuch, Münchner Abkommen) gegenüber dem Deutschen Reich entsprach. Am 2. Mai trat ein Dekret in Kraft, durch das jeder Verstoß gegen die Aufenthaltsregelungen zu einem strafrechtlichen Vergehen wurde, auf das hohe Geld- und Freiheitsstrafen standen. Trotzdem wurde „höhere Gewalt“ immer noch als hinreichende Entschuldigung für die Nichtbefolgung eines Ausweisungsbefehls anerkannt, was einer großen Anzahl von Flüchtlingen erlaubte in Frankreich zu bleiben.

Die wirtschaftliche Situation

Bereits seit 1932 wurde durch die deutschen Behörden von Auswanderern eine Steuer erhoben, die 25% ihres Vermögens betrug. Das Eigentum derjenigen, die nach Hitlers Machtergreifung das Land verließen, wurde in der Regel beschlagnahmt, und Geldüberweisungen wurden ab 1938 praktisch unmöglich. Die Beschränkung der Arbeitsmöglichkeiten verschärfte die wirtschaftlichen Probleme der Emigrant/innen, von denen eine erschreckend hohe Zahl (etwa 80%) unter dem Existenzminimum lebte.

Gegenseitige Hilfe im Exil war weit verbreitet, beispielsweise vonseiten bekannter Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger, Thomas oder Heinrich Mann, deren Werke auch im Ausland Verkaufserfolge waren. Französische Hilfsinitiativen entstanden ebenfalls, wie z.B. die von Baron Robert de Rothschild unterstützten Organisationen: das „Comité National d'Aide et d'Accueil aux Réfugiés“, dessen erster Präsident Paul Painlevé kurz vor seinem Tod 1933 wurde, oder das „Comité des réfugiés“ ab 1938, eine Initiative von Louise Weiss. Politiker und Intellektuelle wie der Abgeordnete Salomon Grumbach halfen politisch Verfolgten, nach Frankreich zu entkommen, oder setzten sich für eine groβzügige Behandlung der Flüchtlinge ein, wie der Ministerpräsident der „Volksfront“, Léon Blum, und später der Dramatiker Jean Giraudoux (Informationsminister 1939/40). Generell fanden die Emigrant/innen Unterstützung bei dem Teil der französischen Elite, der Deutschland gut kannte und seine Kultur schätzte. Die aktivsten Hilfeleistungen kamen von Kommunist/innen, Sozialist/innen, dem linken Flügel der radikalen Partei und Christdemokrat/innen.

Ein reges intellektuelles Leben

Trotz der schwierigen Lebensbedingungen gelang es dem deutschen Exil, ein reges intellektuelles Leben zu entwickeln, besonders in der Hauptstadt Paris. Aber auch in Südfrankreich (Sanary-sur-Mer) entstand eine bedeutende deutsche „Kolonie“: die Familie Mann, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Franz Werfel, Stefan Zweig, Egon Erwin Kisch und Ludwig Marcuse hielten sich dort u.a. längere Zeit auf.

Schriftsteller/innen und Publizist/innen waren von den gesetzlichen Einschränkungen der Berufsfreiheit nicht betroffen, so dass in Paris zahlreiche Exilverlage entstanden und mehr als 400 deutschsprachige Zeitschriften und Zeitungen erschienen. Diese spielten trotz ihrer wirtschaftlich prekären Lage eine wichtige Rolle, denn sie stellten das Naziregime aus der Sicht der Emigrant/innen dar und bildeten somit ein Gegengewicht zu der Propagandamaschine von Goebbels. In den kommunistisch orientierten „Editions du Carrefour“ erschienen z.B. das „Braunbuch I und II“  über den Reichstagsbrand.

Die wichtigsten Presseorgane, wie die „Pariser Tageszeitung“ sowie das „Neue Tagebuch“, beide demokratisch und linksliberal, oder die „Neue Weltbühne“ und der „Gegenangriff“, kommunistisch orientiert, boten Analysen der Innen- und Auβenpolitik des Deutschen Reiches an und erhielten enge Verbindungen unter den Emigrant/innen aufrecht. Man kann auch „Die Zukunft“ nennen, die ab 1938 eine dezidiert antitotalitäre Haltung, gegen Nationalsozialismus und Stalinismus, einnahm. Verlage, Zeitungen und Zeitschriften erlaubten zudem emigrierten Schriftsteller/innen, ihre neuen Werke bekannt zu machen und ihr Einkommen aufzubessern.

Die Wende von 1939/40

Die immer drohender werdende Kriegsgefahr veranlasste die französischen Behörden, am 12. April 1939 alle offiziell von Frankreich anerkannten Asylanten in den Wehrdienst einzuberufen. Zwischen April und September 1939 kamen zudem Tausende von illegalen Flüchtlingen in die Büros der neu gegründeten - emigrantenfreundlichen - Organisation „Les amis de la République Française“, um sich als Freiwillige zu melden, oder auch in das Rekrutierungsbüro der jüdischen Kriegsveteranen. 

In Regierungskreisen und der breiten Öffentlichkeit schlug jedoch die Stimmung gegen die Emigrant/innen in offene Feindseligkeit um. Trotz der Proteste wohlmeinender Politiker und Intellektueller wurden ab dem 4. September 1939 „feindliche Ausländer“ zwischen 17 und 55 Jahren in 60 eigens dafür eingerichteten Lagern interniert (insgesamt 15 000 Personen), wie z.B. in „Les Milles“ in der Nähe von Aix-en-Provence, das Lion Feuchtwanger in seinem autobiographischen Werk „Unholdes Frankreich“ beschreibt. Die Emigrant/innen stellten nach offizieller Begründung eine „Gefährdung für die nationale Sicherheit“ dar, da sich Nazispione unter ihnen verbergen konnten. 

Eine Liste „gefährlicher Personen“, wurde in dem berüchtigten Lager „Le Vernet“ untergebracht. Man fand dort bekannte Linksschriftsteller, z.B. Arthur Koestler.

Wohlgesinnte französische Lagerkommandanten erlaubten den Flüchtlingen in manchen Fällen zu entfliehen. Einigen gelang es in letzter Minute auszureisen, beispielsweise über das illegale Netzwerk des amerikanischen Journalisten Varian Fry. Andere wurden von französischen Staatsbürger/innen versteckt oder nahmen am französischen Widerstand während des Zweiten Weltkrieges teil. Einer großen Anzahl von ihnen, wie z.B. Rudolf Breitscheid, wurde jedoch das Waffenstillstandsabkommen nach der Niederlage Frankreichs am 22. Juni 1940 zum Verhängnis, dessen Artikel 19 vorsah, „sämtliche vom Deutschen Reich benannten deutschen Staatsbürger, die sich auf französischem Territorium befanden, auszuliefern“. 

Man kann zusammenfassend sagen, dass Frankreich in dieser bewegten Zeit seine der Demokratie und den Menschenrechten zugewandte Tradition aufrechtzuerhalten versuchte, wobei besonders die linke und linksliberale Elite Emigrant/innen aktiv unterstützte. Der rechtliche und wirtschaftliche Rahmen für die Aufnahme der Flüchtlinge war jedoch stark der jeweiligen politischen Konjunktur und einer schwankenden öffentlichen Meinung unterworfen. Dies minderte die Attraktivität Frankreichs als Asylland und führte eine große Anzahl deutschsprachiger Flüchtlinge nach der Niederlage Frankreichs ins Verderben. Das deutsche Exil in Frankreich 1933-40 spiegelt somit die Fragen und Zwiespältigkeiten wider, die zu jeder Flüchtlingsproblematik gehören, so wie wir es heute u.a. mit den syrischen und irakischen Emigrant/innen erleben.

 

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