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"Difficult Questions" – ein Buch zu schwierigen Fragen im polnisch-jüdischen Dialog

Von David Zolldan

Von Gräben und Brücken

Nur schrittweise erfolgt eine Wiederentdeckung der jahrhundertealten jüdischen Traditionen im heutigen Polen: Zu nachhaltig war die nationalsozialistische Vernichtung jüdischen Lebens, zu langanhaltend die staatssozialistische kulturelle Nivellierung und zu tief sind die Gräben der Verdächtigungen nach Pogromen nach 1945, Kollaboration und simplem Desinteresse zwischen Polen und Jüdinnen und Juden. Zwar wurde im Oktober 2014 nach etlichen Jahren der Planung das Museum der Geschichte der polnischen Juden in Warschau eröffnet. Doch wie sieht es mit dem gegenwärtigen religiösen und kulturellen jüdischen Leben in Polen und den Perspektiven polnischer Juden heute aus? Dem dialogischen Bau von Brücken durch Austausch zur Überwindung von Stereotypen und Vorurteilen hat sich die NGO "Forum on Dialogue Among Nations" verschrieben. In der Auseinandersetzung mit Antisemitismus und der pädagogischen Arbeit für Toleranz und einen offenen polnisch-jüdischen Dialog setzt die NGO unter anderem auf Seminare und Ausstellungen. Auch Austauschprogramme zwischen polnischen und vor allem US-amerikanischen Jüdinnen und Juden sowie Jugendaustauschprogramme zwischen polnischen und (polnisch-)jüdischen Jugendlichen werden regelmäßig abgehalten. Aus diesen Austauscherfahrungen ließen sich wiederkehrende, die Jugendlichen offensichtlich überdurchschnittlich bewegende Fragen, die "difficult questions" filtern. Antworten auf diese 50 Fragen zur Lebenswelt und Wahrnehmung der vermeintlich Anderen geben ausgewiesene Expertinnen und Experten der Polnisch-Jüdischen Beziehungen im Buch "Difficult Questions in Polish-Jewish Dialogue. How Poles and Jews See Each Other: A Dialogue on Key Issues in Polish-Jewish Relations". Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit dem American Jewish Commitee und wurde unter anderem von der International Holocaust Remembrance Alliance gefördert. Ziel des Projektes ist die Unterstützung der Zusammenarbeit von Jüdinnen und Juden und Polen. Es soll ein Verständnis für unbekannte Perspektiven auf Geschichte, Politik und Alltag ermöglichen.

Difficult Questions? Hilfreiche Antworten!

Die 50 behandelten Fragen gliedern sich in 5 Rubriken. Die mit Abstand meisten Fragen beschäftigen sich mit der Zeit der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft und Verfolgungspolitik in Polen. Daneben werden die Fragen-Antwort-Komplexe "Erinnern und Kenntnis zum Holocaust", "Gegenwärtiges Polen und Juden", "Jüdisches Leben im heutigen Polen", "Das heutige Israel", "Judentum und Jüdische Kultur" sowie "Zukunft" aufgemacht. Das Buch thematisiert in den Fragekomplexen "Gegenwärtiges Polen und Juden" sowie "Jüdisches Leben im heutigen Polen" vordergründig die polnisch-jüdische Geschichte und deren Beziehungen. Es ist jedoch auch Jugendliche und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus anderen Kontexten ein Gewinn. Neben leicht in den jeweiligen lebensweltlichen und nationalstaatlichen Rahmen integrierbaren Antworten beispielsweise zu Kollaboration werden auch allgemeine Antworten zu religiösen, historischen und politischen Aspekten gegeben. Dazu zählen unter anderem Fragen zu Ursachen und Gründen des Antisemitismus, zur Rolle der Frau im Judentum, zum israelisch-palästinensischen Konflikt, zum israelischen Lehrplan zum Holocaust, oder ob der Holocaust unvermeidlich war. Da die Antworten auf einige Fragen die Inhalte anderer Antworten streifen, aber von unterschiedlichen Autorinnen und Autoren behandelt wurden, können deren inhaltliche Nuancen leicht voneinander abweichen. Beispielhaft sei hier Israel Gutman`s Antwort auf Frage 6 (Why did Poles collaborate with the Germans in persecuting the Jews?) und Wladyslaw Bartoszewski`s Antwort auf Frage 7 (How did Poles behave during the Holocaust?) mit ihren jeweiligen Positionen zur Bewertung der polnischen Kollaboration bei den deutschen Verbrechen an Juden genannt. Diese vermeintlichen Widersprüche können jedoch durch die Betonung der Multiperspektivität produktiv für Diskussionen genutzt werden.

Anwendung

Sprachlich und inhaltlich geeignet für Schülerinnen und Schüler ab der Oberstufe und interessierte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren füllt "Difficult Questions" als Hilfsmittel eine dialogische Leerstelle und dient allen Interessierten als Einstieg für unterschiedliche Perspektiven auf polnisch-jüdische Geschichte, Politik und Alltag – auch über Polen hinaus. Im schulischen Kontext ist ein Einsatz von "Difficult Questions" nicht nur im Geschichtsunterricht, sondern durch die englischsprachige Buchfassung auch im Englischunterricht vorstellbar. 2006 erschien der Titel ebenfalls auf Polnisch; Hebräisch folgte. Auch im Kontext von internationalen Jugendbegegnungen mit dem Partnerland Polen dient das Buch daher sicherlich als gute Vorbereitung für alle Beteiligten. Eine kostenlose Beispielversion ist online einsehbar. Unter http://www.difficultquestions.org finden sich alle 50 Fragen sowie acht dazugehörige Beispielantworten. Das etwa 260 Seiten starke Buch kann in gedruckter Form auch bei diversen bekannten Anbietern sehr preiswert bestellt werden. Die NGO "Forum in Dialogue Among Nations" bietet zudem auf dem Buch "Difficult Questions" basierende Workshops für Schülerinnen und Schüler an. Dazu zählen unter anderem "Israel-Kritik oder Antisemitismus" und "Antisemitische Graffitis".

Kontakt

http://www.difficultquestions.org
forum [at] dialog [dot] org [dot] pl
Die gedruckte englischsprachige Variante des Buches kann unter anderem per Mail an Michael [at] friendsoftheforum [dot] org bezogen werden.

 

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