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Content-Author: Ingolf Seidel

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Hannes Burkhardt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Didaktik der Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und erforscht dort im Rahmen seines Promotionsprojektes Geschichts- und Erinnerungskulturen zum „Dritten Reich“ im Social Web.

Von Hannes Burkhardt 

Vieles spricht für den Einsatz von Facebook im Geschichtsunterricht. Zum einen können Schülerinnen und Schüler hier selbst Geschichte schreiben. Zum anderen lernen sie, mit ganz unterschiedlichen Deutungen und Präsentationsformen von Geschichte umzugehen. Ein zentrales Ziel des Geschichtsunterrichts ist es heute, dass Schülerinnen und Schüler Erzählungen über Vergangenes verstehen und selbst erzeugen können. Beides kann mit dem Einsatz von Facebook im Geschichtsunterricht geleistet werden, um so eine narrative Kompetenz als Schlüssel zum historischen Lernen weiterzuentwickeln. 

Jugendliche nutzen Facebook

Facebook ist heute populärer als jemals zuvor. Anfang September diesen Jahres knackte die Facebook-App die Downloadmarke von 1.000.000.000. Laut Facebook selbst nutzten im Juni 2014 ca. 829.000.000 Personen Facebook täglich und 1.320.000.000 Personen mindestens einmal im Monat. Der JIM-Studie (Jugend, Information, (Multi-) Media) zufolge haben 2013 77 % der deutschen Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren täglich oder mehrmals in der Woche Online-Communities besucht. Facebook scheint dabei auch 2014 immer noch der beliebteste Social-Network-Dienst bei Jugendlichen zu sein (Forrester Studie), auch wenn Studien teilweise einen Abwärtstrend zeigen (Global Social Media Impact Study). Facebookseiten mit Bezug zu historischen Themen wie beispielsweise Nationalsozialismus und Holocaust sind dabei nicht nur außerordentlich zahlreich, sondern auch sehr populär. So folgen heute nur einem einzigen Anne-Frank-Profil auf Facebook beispielsweise über 2.300.000 Menschen. Was die Integration von Facebook in die Schulen angeht, so sagten zwar paradoxer Weise 80 % der 1.600 befragten Erwachsenen im Rahmen der Studie „Wie die Jugend klickt“ der TU Darmstadt aus, dass sie die Nutzung von Facebook im Schulkontext ablehnen, wohingegen aber 75 % der Befragten gleichzeitig dafür sind, Social-Media-Kompetenz in der Schule zu stärken. 

Virtuelle Rollenspiele oder Reenactments

Für die Nutzung des Microblogging-Dienstes Twitter wurden aus den Reihen der digital affinen Praktikerinnen und Praktiker unter den Geschichtsdidaktikerinnen und Geschichtsdidaktikern bereits einige sehr gute Impulse gesetzt. In Anlehnung an US-amerikanische TwHistory-Projekte (Twitter + History = TwHistory) können im Geschichtsunterricht virtuelle Rollenspiele oder Reenactments inszeniert werden, in denen Schülerinnen und Schüler in selbst erstellten Twitterprofilen die Rolle von historischen Persönlichkeiten übernehmen.

Ganz ähnlich kann dies auch mit dem sozialen Netzwerk Facebook umgesetzt werden. Hierfür sollten sich die Schülerinnen und Schüler zunächst mit historischem Quellenmaterial und schülergerechten Darstellungen in die Biografie einer historischen Person einarbeiten. Um nun ein digitales Alter Ego entstehen zu lassen, müssen sie anschließend die gesammelten Informationen in einem selbst erstellten Facbookprofil in verschiedenen Facebookposts bündeln. Einfacher wird dies für die Lernenden, wenn bereits das historische Quellenmaterial in Teilen aus Egodokumenten (Briefe, Tagebucheinträge, Reden, Protokolle etc.) besteht, da auch die Facebookposts in der Ich-Perspektive verfasst werden müssen.

Dass ein solcher Facebookaccount zu einer historischen Person eine anspruchsvolle Aufgabe darstellt, die nicht nur in Onlinemedien zu einer erheblichen Resonanz führen kann, beweist das Beispiel Henio Zytomirski. Der 1933 in Lublin (Polen) geborene Junge lebte ab 1939 in verschiedenen jüdischen Ghettos und wurde 1942 im Vernichtungslager Majdanek ermordet. Der Historiker Piotr Brozek legte im August 2009 auf Facebook ein eigenes Profil von Henio Zytomirski an. Als Quellenbasis nutzte er Briefe, die Henios Vater Smuel vor und während des Krieges an Henios Onkel Leon schrieb. Als Brozek Henio bei Facebook nach einem Jahr nochmals „sterben“ ließ, hatten sich mit diesem virtuellen interaktiven Holocaust-Mahnmal über 5.000 Facebookfreunde vernetzt.

Die didaktische Chance, mit Schülerinnen und Schülern im Geschichtsunterricht selbst Facebookseiten zu historischen Personen zu erstellen, liegt darin, ihnen den Konstruktcharakter und die Narrativität von Geschichte zu verdeutlichen und durch solche produktionsorientierten Lernarrangements Geschichtsbewusstsein als narrative Kompetenz aktiv zu fördern. 

Geschichtskulturelle Kompetenz fördern

Geschichte wird im Social Web in vielfältigen Formen inszeniert und präsentiert. Forschungseinrichtungen, Museen und Gedenkstätten vermitteln ihre Deutungsangebote zur Vergangenheit ebenso wie Privatpersonen. Auch hier ist Facebook im Vergleich zu Twitter das massenwirksamere Medium. So folgen beispielsweise dem Memorial and Museum Auschwitz Birkenau auf Twitter knapp 8.000 Menschen, während es auf Facebook über 165.000 Menschen sind. Für Personen aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus wie Sophie Scholl oder Claus Stauffenberg gibt es ebenso tausende von Facebook-Profilen wie zu Täterinnen wie Irma Grese oder Tätern wie Adolf Hitler selbst. Dabei bewegen sich die hier medial vermittelten Geschichtsbilder zwischen anspruchsvoller Geschichtsvermittlung, Geschichte in der Populärkultur und ideologisch stark verzerrten Geschichtsmythen. Neben dem Fernsehen begegnen Schülerinnen und Schüler heute der Geschichtskultur so vor allem online und im Social Web.

Im Rahmen eines kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts kann die Analyse von Facebookseiten mit Bezug zu historischen Orten, Ereignissen oder Personen dazu beitragen, die geschichtskulturelle Kompetenz zu fördern. Denn um mit den im Social Web angebotenen vielfältigen Geschichtsdeutungen umgehen zu können, müssen Schülerinnen und Schüler über eine Vielzahl von Fähigkeiten verfügen, die sich unter dem Oberbegriff der geschichtskulturellen Kompetenz zusammenfassen lassen. Eine geleitete Begegnung mit den auf Facebook präsentierten Geschichtsbildern im Rahmen des Geschichtsunterrichts kann ein Baustein sein, um sie auch für den kompetenten Umgang mit anderen geschichtskulturellen Produkten online und offline stark zu machen. 

 

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