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Content-Author: Ingolf Seidel You have to be logged in to view the profile
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Von Alexander Hasgall
Als am 24. März 1976 Panzer durch die Straßen von Buenos Aires rollten und unter der Leitung des Armeegenerals Jorge Videla eine Militärjunta die Macht im Lande übernahm, wurde diese von verschiedenen Teilen der Gesellschaft gestützt. Medien, Kirchen und Berufsverbände unterstützten die neuen Machthaber. Auch von einem relevanten Anteil der Bevölkerung wurde die Intervention der Streitkräfte gut geheißen. Als 1983 das Land sich wieder demokratisierte, wurde diese gesellschaftliche Unterstützung der Armee kaum thematisiert. Vielmehr diente eine unter der Bezeichnung „teoría de los dos demonios“ (Theorie der zwei Dämonen ) bekannt gewordene Extremismusthese, die Gesellschaft primär als Opfer extremistischer Gewalt darzustellen. Im Folgenden soll es darum gehen, diese Entwicklung nachzuzeichnen.
Als das Militär im Frühjahr gewaltsam 1976 die Macht übernahm, befand sich Argentinien in eine stetig zunehmen Krise. Dazu gehörten sowohl eine eskalierende politische Gewalt wie eine desaströse Lage der Wirtschaft. Rechtsextreme Todesschwadronen bedrohten und ermordeten linke Aktivisten, während radikale linke Gruppen wie die Montoneros Bombenanschläge verübten. Nach zeitgenössischen Angaben der argentinischen Tageszeitung „La Opinion“ kam es im März 1976 alle fünf Stunden zu einem politischen Mord und alle 3 Stunden explodierte eine Bombe (Novaro/ Palermo 2003: 17).Hinzu kam eine astronomische Inflation von 566 % zwischen März 1975 und März 1976.
In dieser Situation war die Forderung nach Ordnung und harter Hand im Land durchaus verbreitet. Viele akzeptierten die Rolle der Armee als Ordnungsmacht, zumal diese seit den 1930er-Jahren schon mehrfach in die Geschicke des Landes eingegriffen hatte. Vielen Argentinier/innen war damals auch nicht klar, dass es der Militärführung nicht „alleine“ darum ging, sich kurzfristig als Ordnungsmacht zu etablieren. Die rechtsgerichteten Militärs wollten mittels selbst für argentinische Verhältnisse ungekannter Brutalität ein für alle Male die sogenannte (linke) Subversion physisch vernichten und die politische Landschaft des Landes grundlegend verändern.
Vor allem in den beiden Jahren der Juntaherrschaft verschwanden etwa 10.000 Menschen, das heißt sie wurden entführt, gefoltert und ermordet. Jeder Versuch, offen gegen diese Politik einzutreten war lebensgefährlich. Wer die Verbrechen allzu offen im Land thematisierte drohte selbst zum Opfer zu werden. „Por algo será“ – es wird schon seinen Grund haben – war eine verbreitete Reaktion, wenn Menschen verschwanden.
Spätestens nach der Niederlage im Falklandkrieg, als schlecht vorbereitete Truppen gegen die Britische Armee untergingen, hatten die Militärs jeden Kredit verspielt. Es kam 1983 zu demokratischen Wahlen. Diese gewann der Menschenrechtsanwalt Raúl Alfonsín, der seine Kampagne unter dem Slogan „Frühling der Demokratie“ stellte.
Schon kurz nach seiner Amtseinführung setzte Alfonsín auf eine vorsichtige Vergangenheitsaufarbeitung. Neben Strafprozessen gegen die oberste Führung von Militär und Guerillaorganisationen stellte er die eine Wahrheitskommission, die CONADEP (Nationale Kommission über das Verschwinden von Personen) in das Zentrum seiner Vergangenheitspolitik. Sie sollte das Schicksal der Verschwundenen aufarbeiten. Ihr gehörten Vertreter verschiedener relevanter gesellschaftlicher Bereiche an, Vorsitzender war der Literaturnobelpreisträger Ernesto Sábato. Nach 9 Monaten Arbeit veröffentlichte diese Ihren Schlussbericht unter dem Titel „Nunca Más“ (Nie Wieder). In einer Einleitung stellte Sábato die Diktatur in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext. Dabei bildet der erste Satz den umstrittensten des ganzen Textes:
„In den 70er Jahren wurde Argentinien durch einen Terror erschüttert, der sowohl von der extremen Rechten wie auch von der extremen Linken ausging, ein Phänomen, das in vielen anderen Ländern existierte.“ CONADEP 2009 (1984): 11. Übersetzung A.H.
Sábato wurde oft vorgeworfen, an dieser Stelle die „Theorie der zwei Dämonen“ vertreten zu haben. Demnach hätte Argentinien am Vorabend des Putsches im Würgegriff linker und rechter Extremisten gestanden. Jedoch verharmlost der Autor in keiner Weise die Verbrechen der Militärjunta. Auch lässt sich eine Gleichsetzung von Guerilla und Militär lässt sich nicht ableiten. Vielmehr wird, wie auch im Rest des Textes deutlich wird, das Narrativ dazu benutzt, die argentinische Gesellschaft größtenteils als passiv und Opfer der Verhältnisse erscheinen zu lassen.
Diesen Gedanken setzen Sábato noch fort als er später schreibt:
„Im Hinblick auf die Gesellschaft schlug die Vorstellung der Schutzlosigkeit Wurzeln, die dunkle Angst, dass jeder, so unschuldig er auch sein mochte, dieser Hexenjagd zum Opfer fallen konnte.“ CONADEP, ibid.
Diese Fokussierung auf ein kollektives Opfernarrativ führte auch dazu, dass die militante Vergangenheit vieler Repressionsopfer, die sich in radikalen linken Gruppen organisierten, keine Rolle spielte. Sie wurden entpolitisiert. Zugleich werden die Jahrzehnte alten, heftigen politischen und sozialen Konflikte im Lande überdeckt. War die Gesellschaft in ihrer Selbstwahrnehmung als Ganzes alleine ein potenzielles Opfer der Junta, so kann sie vereint und ohne Reflexion auf eigene Verantwortlichkeiten einen Neubeginn wagen. Auch opportunistisches Verhalten Einzelner wurde unter der generalisierten Opferexistenz subsummiert.
Sábato wurde verschiedentlich kritisiert. Angehörige von Verschwundenen warfen ihm vor, die Verantwortlichkeit des Militärs und den rechten Terror gegen die Aktionen der Linken aufzurechnen. Die Armee wiederum sah ihr Selbstbild, sie hätten letztlich das Vaterland vor einer Bedrohung durch den Weltkommunismus bewahrt würde, dadurch in Frage gestellt. Erst als in den 1990er Jahren eine neue Generation von Militärführern an die Macht gelangte, kam es ein Stück weit zu einer kritischen Revision dieses Selbstbildes.
Mit der Wahl des Linksperonisten Nestór Kirchner 2003 zum Staatspräsidenten veränderte sich die erinnerungspolitische Landschaft Argentiniens. Dazu gehörte auch 2006 eine Neuauflage des Nunca Más, mit einem zusätzlichen Prolog des damaligen Argentinischen Menschenrechtsbeauftragen Eduardo Luis Duhalde, worin er sich sehr klar von Sábato abgrenzte. Zugleich kam es in den letzten Jahren zu einer verstärkten akademischen Diskussion über die Rolle der argentinischen Gesellschaft. Insbesondere die enge Kooperation zwischen Wirtschaftsführern und der Militärjunta wurde zum Thema. Mit der Zeit hat sich also die Wahrnehmung der argentinischen Militärdiktatur verändert. Beim Nachzeichnen dieser Entwicklung zeigt sich, wie ein Extremismusbegriff dazu dienen kann, historische Ereignisse aus ihrem gesellschaftlichen Kontext zu reißen und einen Mythos der „Stunde Null“ zu befördern.
Weiterführende Literatur
Aguila, Gabriela (2008): Dictadura, represión y sociedad en Rosario, 1976/1983. Un estudio sobre la represión y los comportamientos y actitudes sociales en dictadura. Buenos Aires: Prometeo.
CONADEP (2009 (EA 1984)): Nunca más. Informe de la Comisón Nacional sobre la Desaparición de Personas. Buenos Aires: Eudeba.
Crenzel, Emilio (2008): La historia política del nunca más. La memoria de las desapariciones en la Argentina. Buenos Aires: Siglo Veintiuno Ed. Argentina.
Novaro, Marcos; Palermo, Vicente (2003): La dictadura militar, 1976–1983. Del golpe de Estado a la restauración democrática. Buenos Aires: Paidós.
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- 23/10/2013 - 07:07