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Displaced Enclave - Die Enklave der Heimatlosen

Die polnische Besatzungszone in Deutschland

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Arthur Osinski ist Historiker und Pädagogischer Mitarbeiter der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte Golm, eine Einrichtung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.

Von Arthur Osinski 

Eines der bis heute wenig erforschten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte ist die polnische Besatzung im Emsland. Die von der Polnischen Exil-Armee mit circa 6500 Quadratkilometern verwaltete Zone befand sich in den Gebieten Emsland, Oldenburg und Leer. Ganze drei Jahre blieben die polnischen Soldaten als Besatzungsmacht, womit man von einer fünften Besatzungszone im Nachkriegsdeutschland sprechen könnte. Die polnische Exilregierung gründete in der Stadt Haren eine Enklave, in der auch zigtausende Polinnen und Polen, die aus den Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern befreit wurden, Schutz fanden. Niemand wollte diese freiwillig verlassen und in die polnische Heimat zurückkehren, da Polen mittlerweile von den Sowjets besetzt war und viele dort ihre Verfolgung befürchteten.

Wie aus der deutschen Stadt Haren die polnischste Stadt jener Zeit wurde

Seit 1933 waren im Emsland eine Vielzahl von nationalsozialistischen Lagern entstanden. Zuerst als Lager für politische Häftlinge eingerichtet, wurden sie seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ausgebaut und zunehmend für internierte Soldaten genutzt. Schließlich wurden dorthin Menschen aus ganz Europa deportiert, um diese entweder auf die Lager vor Ort oder über das ganze Deutsche Reich zu verteilen.

Nachdem die britischen, kanadischen und polnischen Soldaten die Lager im Emsland 1945 befreit hatten, wurden die ehemaligen Insassen vorübergehend in spezielle Einrichtungen für Displaced Persons (DPs) einquartiert. Unter den Befreiten befand sich eine beachtliche Anzahl von Bürger/innen der II. Polnischen Republik (1918-1945). Aufgrund der komplizierten politischen Lage in ihrer Heimat, in der mittlerweile die Sowjets ein kommunistisches Regime installiert hatten und offen gegen die Exilregierung in London und die ihr auf dem polnischen Gebiet unterstellten „Heimatarmee“ vorgingen, wollten viele DPs vorerst ihre Auffanglagerauf deutschem Gebiet nicht verlassen.

Ähnliches drohte auch den Soldaten der Polnischen Exil-Armee, denen nach ihrer Rückkehr in die Heimat die Inhaftierung, Deportation in die Sowjetunion oder sogar die Todesstrafe drohte. Somit wurde das Emsland über drei Jahre bis 1948 zu einer polnischen Enklavefür zigtausende Soldaten und ehemalige Häftlinge, die sich berechtigterweise fürchteten, in ein kommunistisches Nachkriegspolen zurückzukehren.

Die Stadt Haren, kurzerhand in Lwów umbenannt, wurde für viele Polen, die aus ganz Deutschland dorthin strömten, zur letzten freien Bastion der polnischen Staatlichkeit. Sie musste jedoch alsbald auf Druck der Sowjets umbenannt werden, denn das polnische Lwów (Lemberg), war infolge der Westverschiebung von der Sowjetunion mittlerweile annektiert worden. Der neue Name lautete Maczków nach dem General der 1. Polnischen Panzerdivision Stanisław Maczek.

Eine eigene Verwaltung wurde installiert, polnische Schulen und eine Kirche prägten die Stadt, sogar die Straßen wurden umbenannt. Den Deutschen war es verboten die Stadt zu betreten. Auf einmal wendete sich das Schicksal, und die Deutschen mussten zum Arbeitsdiensterscheinen, um für die Polen neue Unterkünfte zu bauen. Die polnische Exilregierung dachte sogar darüber nach, die Enklave für bis zu 200.000 Polinnen und Polen auszubauen, die ihre Heimat im den Sowjets hatten überlassen müssen, um so Druck auf die alliierten Verbündeten auszuüben. England und die USA sollten die Sowjets dazu bewegen, im Nachkriegspolen wenigstens freie und faire Wahlen durchzuführen. Leider erwies sich dieses Vorhaben als illusorisch.

Die Alliierten zwangen die Polnische Exilregierung in London auf Drängen der Sowjetunion den Zufluss der polnischen Bevölkerung in das Emsland zu stoppen. Die letzten Einheiten der Polnischen Exil-Armee wurden aus dem Emsland im September 1948 abgezogen und in England demobilisiert. Nur wenige Exilsoldaten kehrten zurück in ihre Heimat, die meisten von ihnen blieben in England oder siedelten sich in anderen Staaten des Commonwealth an. Polen verschwand für Jahrzehnte hinter dem Eisernen Vorhang. Dem Namensgeber der Stadt, General Maczek, und anderen Befehlshabern der Polnischen Exilarmee, die in England blieben, wurde der Kombattantenstatus aberkannt, und sie erhielten als Folge dessen keine Rente. 

Deutsch-polnische Beziehungen und Erinnerungen an die polnische Besatzung

Die polnische Verwaltung, die Vertreibungen und die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung werden von den Emsländer/innen bis heute eher mit negativen Erinnerungen konnotiert. Es gab aber auch positive Aspekte wie den Handelsaustausch, da die Polen von den Engländern versorgt wurden. Etwa 500 Polinnen und Polen sind in Maczków geboren, einer Stadt die auf keiner Landkarte zu finden ist.

Recht früh merkten die Deutschen, dass die Polinnen und Polen nicht denselben Status besaßen, wie die anderen vier Besatzungsmächte. Es kam sogar zum offenen Widerstand bei der deutschen Landesregierung. Diese versuchte die polnischen Besatzer bei den englischen Alliierten zu verleumden. So wurden von der deutschen Polizei fragwürdige Kriminalstatistiken veröffentlicht, die die polnischen DPs diskreditieren sollten. Diese unterschieden sich jedoch kaum von denen in anderen Besatzungszonen. Sogar Ressentiments aus der NS-Zeit wurden wieder bemüht. In Aschendorf wurde auf dem Kirchenplatz eine Liste mit Namen von deutschen Frauen ausgehängt, die vermeintlich Beziehungen zu polnischen Soldaten unterhielten. Diese negative Haltung gegenüber Polinnen und Polen verstärkte sich noch zusätzlich durch die zahlreichen heimatlosen ostdeutschen Flüchtlinge. Sie wurden aus der Volksrepublik Polen deportiert und kamen verstärkt in das bevölkerungsarme Emsland.

Seit der Wende ist es zu einer Aufarbeitung der kurzen polnischen Besatzungszeit in Emsland gekommen. Viele Polinnen und Polen, die damals in Maczków lebten, haben die Stadt Haren seitdem besucht, wobei es zu vielen versöhnlichen Begegnungen mit den heutigen Bewohner/innen Harens gekommen ist. Auch das Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager hat viel zur Aufarbeitung dieses Geschichtskapitels beigetragen. 

 

 

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