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Das MFS und Christa Wolf – Die Erzählung „Was bleibt“ und der gesamtdeutsche Literaturstreit

Von Anne Lepper

Als Christa Wolf im Sommer 1990 unter den Eindrücken der Maueröffnung ihre Erzählung „Was bleibt“ veröffentlichte, löste sie damit eine heftige und über Monate andauernde Debatte unter west- und ostdeutschen Literat/innen und Feuilletonist/innen aus, die als erster „deutsch-deutscher Literaturstreit“ in die Geschichte der deutschen Vereinigung einging.

Der Literaturstreit

In dem Streit, der maßgeblich durch zwei in der „FAZ“ und in der „Zeit“ erschienenen Rezensionen des Wolf-Textes lanciert wurde, ging es nicht nur um die Person Christa Wolf und ihre persönliche politische Einstellung sowie ihre Beziehung zu dem in seiner Auflösung befindlichen sozialistischen Staat. Schnell wurden die Diskussionen außerdem zum Anlass genommen, grundsätzliche Fragen nach der moralischen Verantwortung der DDR-Literatur, den Umgang mit Ästhetik und Politik in einem Unterdrückungsverhältnis und das Verhältnis von Gesellschaft und Literatur im Allgemeinen zu debattieren. Der Fall der Mauer und die darauf folgende deutsche Vereinigung führte zu der Aberkennung des bis dahin existierenden „literarischen Bonus“ für ostdeutsche Schriftsteller/innen innerhalb der bundesdeutschen Literaturkritik, in deren Folge sich viele DDR-Literat/innen einer schonungslosen Bewertung und Kritik stellen mussten. Dass Christa Wolf und „Was bleibt“ schließlich zum Objekt der Debatte um die Funktion ostdeutscher Literatur wurde, stand sicherlich auch mit dem gewählten Zeitpunkt der Veröffentlichung in Verbindung. Wichtiger für die Rolle der Schriftstellerin innerhalb des Streits war jedoch gewiss ihre Persönlichkeit selbst, die eine Vielzahl an Ambivalenzen, Widersprüchen und politischen (Selbst-)Zweifeln vereinte. Als prominente Fürsprecher/innen Wolfs agierten im Verlauf des Streits unter anderem Günther Grass, Lew Kopelew, Walter Janke und Rita Süßmuth, wobei ein Großteil der sich zu Wort meldenden Akteur/innen die Schriftstellerin heftig kritisierte.

Christa Wolf und das MfS

Um die Person Christa Wolf und ihre zentrale Rolle im gesamtdeutschen Literaturstreit nachvollziehen zu können, hat Martin Enderlein seiner Analyse der Erzählung „Was bleibt“ und der dadurch angestoßenen Debatte drei Kapitel zur Geschichte des MfS, den Beziehungen ostdeutscher Schriftsteller/innen zum MfS im Allgemeinen und der Christa Wolfs im Besonderen vorangestellt. Das MfS – gegründet 1950 unter fachlicher Anleitung des NKWD, stellte erst mit der im Jahr 1969 gegründeten Abteilung HA XX/7 den Kulturbetrieb im eigenen Land in den Fokus seiner Ermittlungen, wenngleich auch schon vorher verschiedene „Operative Vorgänge“ zur Überwachung Kulturschaffender existierten. In seinem Text stellt Enderlein nachvollziehbar anhand der Akten zu Christa Wolf heraus, dass diese zwar zwischen 1959 und 1962 unter dem Decknamen „Margarete“ als „Inoffizielle Mitarbeiterin“ fungierte, der Inhalt ihrer Aussagen sich jedoch auf bedeutungslose Informationen beschränkte. Aus diesem Grunde stellte das Ministerium Anfang der 1960er Jahre die Zusammenarbeit ein und ging dazu über, die Schriftstellerin selbst zu überwachen.

Was bleibt

In der Erzählung, die Wolf bereits 1979 verfasste und zehn Jahre später in überarbeiteter Form veröffentlichte, setzt sich die Autorin mit der Überwachung durch die als „junge Herren“ bezeichneten Geheimdienstmitarbeiter auseinander. Aus verschiedenen zeitlichen Perspektiven versucht die Observierte, sich den physischen und psychischen Auswirkungen des Dauerzustandes Überwachung zu nähern, und diese miteinander in Verbindung zu setzen. Wolf, deren politische und gesellschaftliche Position durch Anpassung und daraus resultierende Privilegien einerseits und oppositionelle Gedanken und ambivalente Gefühle andererseits gezeichnet war, fand sich nur schwer in ihrer individuellen Wirklichkeit zurecht. Ihr Versuch, sich in „Was bleibt“ mit diesen persönlichen Widersprüchen auseinanderzusetzen reifte in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu einer substanziellen und existentiellen Debatte über die Funktion von Literatur in autoritären Systemen. Der Vorwurf, die Erzählung sei zu einem Zeitpunkt erschienen, in der die Autorin durch die Veröffentlichung nichts mehr zu befürchten habe, spielte hierbei eine bedeutende Rolle.

Zusammenfassung

Die Arbeit Enderleins kann als kurze und prägnante Einführung in den Themenbereich „MfS und Literatur“ und als schlüssiger Zugang zum Werk Christa Wolfs dienen. Durch die thematisch beschränkte Kontextualisierung Wolfs auf ihre Rolle innerhalb des Literaturstreits der frühen 1990er Jahre wird ihrem Wirken und ihrem Gehalt als Schriftstellerin jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. Es empfiehlt sich daher, für eine intensive Auseinandersetzung mit Christa Wolf weitere Texte von und zu der Autorin hinzuzuziehen. Auch für einen ausführlichen Einblick in Funktion und Arbeitsweise des „Ministeriums für Staatssicherheit“ scheint es sinnvoll, zusätzliche Darstellungen und Aspekte zu betrachten.

Die Studienarbeit von Martin Enderlein kann für 0,99 Euro heruntergeladen werden.

 

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