Dialogue

Erinnerung an Jürgen Fuchs

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Udo Scheer, geb. 1951 in München, Studium an der FSU Jena, Gründungsmitglied des 1975 verbotenen Arbeitskreises Literatur Jena, Veröffentlichungen seiner literarischen Arbeiten wurden bis 1989 weitgehend verhindert, seit 1993 freiberuflicher Publizist und Schriftsteller, Mitglied des Autorenkreises der Bundesrepublik und des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. Buchveröffentlichungen, zuletzt: „Die Sonne hat vier Ecken. Günter Ullmann – eine Biografie“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2012; „Reiner Kunze. Dichter sein – Eine deutsch-deutsche Freiheit“, ebenda 2013.

Von Udo Scheer

Das Politische war mir immer wichtig. Die Freiheitsfrage. Aber da war auch schon das Literarische. (Jürgen Fuchs im Gespräch mit U. Scheer) 

Wer meint, es war doch alles nicht so schlimm,
der sollte Jürgen Fuchs lesen.
(Christine Lieberknecht, Präsidentin des
Thüringer Landtags, 08.12.2000)

In einem unserer Gespräche sagte Jürgen Fuchs einmal: »Eigentlich wollte ich nur Gedichte schreiben, über die Liebe, über die Natur. Wichtigeres drängte sich vor.«

Im Frühjahr 1998 hatten wir uns für ein Rundfunkinterview in der psychosozialen Kontakt- und Beratungsstelle Waldstraße in Berlin Moabit verabredet. Was nur wenige wussten, hier teilte der Schriftsteller und Bürgerrechtler sich zusammen mit seiner Frau Lilo eine Stelle als Sozialpsychologe für Problemjugendliche. In diesem quicklebendigen Haus, das eher einer gut besuchten Freizeiteinrichtung glich, hatte er für eine knappe Stunde etwas Ruhe organisiert. Seine erste Antwort war von überraschtem Lachen getragen: »Na ja, wenn Sie das jetzt so aufzählen, erschrickt man ja fast noch Mal mit, was da alles geschehen ist.«

Zuvor hatte ich ihn den Hörern vorgestellt: »Jürgen Fuchs, Sie sind 1950 in Reichenbach im Vogtland geboren. Sie haben in Jena Psychologie studiert, wurden bereits Anfang der 1970er Jahre durch die Staatssicherheit operativ bearbeitet, weil Sie 'Klartext' schrieben und sprachen. Sie waren eng mit dem Regimekritiker Robert Havemann und dem verbotenen Liedermacher Wolf Biermann befreundet, wurden aus politischen Gründen exmatrikuliert, saßen neun Monate in Stasi-U-Haft. 1977 wurden sie ausgebürgert und von Westberlin aus zu einem der wichtigsten Kontaktpartner für die unabhängige Friedens- und Bürgerrechtsbewegung in der DDR. 1982 unterschrieb Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, gegen Sie einen Fahndungserlass, der bis 1999 im gesamten sozialistischen Lager, auch beim Transit durch die DDR, gelten sollte. Es gab Drohungen und Anschläge gegen Sie in Westberlin. 1992 forschten Sie in der Gauck-Behörde zu den Methoden der Staatssicherheit gegen Sie und andere Oppositionelle. Vor diesem Lebenshintergrund erscheint soeben zur Leipziger Buchmesse Ihr Roman Magdalena, ein Synonym für das Stasi-Gefängnis in Berlin-Lichtenberg.« 

Und eben da sagte er:»Na ja, wenn Sie das jetzt so aufzählen, erschrickt man ja fast nochmal mit, was da alles geschehen ist – in Jena, aber auch nach der Ausbürgerung, in Westberlin. Das war schon von mir aus gedacht als Versuch, als Schriftsteller zu leben, zu sagen und zu schreiben, was ich denke – also frei zu sein. Und damit konnte sich eben so ein totalitärer und – ja – erzwingerischer Staat wie die DDR schlecht abfinden.«

Die erwartet kontroverse Diskussion um Magdalena  war da. Dieser Collageroman irritierte. Denn er zeigt die Schuld der Vätergeneration ebenso schonungslos, wie den Verrat an der Revolution 1989, das partielle Versagen der Gauck-Behörde und auch eigene Fehler. Der Ich-Erzähler steigt aus dem „Handtuchzimmer“ der Behörde in den Orkus der Geschichte, birgt aus Stasi-Archiven Schicksale von Freunden, dokumentiert Zersetzungsmethoden und protestiert gegen fest angestellte ehemalige Systemträger und Mitarbeiter des MfS in der Behörde. Er nennt Klarnamen und wird dafür angegriffen, auch von Joachim Gauck in der ZEIT. Das Pro und Kontra um diesen Roman zwischen Fiktion und Dokumentarliteratur füllte 1998 mindestens so viele Seiten, wie das Buch selbst.

Und heute? Seit seinem Tod wurde nicht ein Buch von Jürgen Fuchs, weder seine Romane über den sozialistischen Kasernenhof, seine Gedichtbände oder essayistischen Einmischungen bei Rowohlt neu aufgelegt. Als Auskunft dazu hört man aus seinem einstigen Hausverlag: Fuchs rechne sich nicht.

Wer kennt heute noch Jürgen Fuchs? Die Antworten stimmen nachdenklich. Dabei war dieser Fuchs Ende der 1970er und in den ´80ern ein literarischer Star. Galt er zunächst als die andere Stimme aus der DDR, wurde er schnell zu einem literarisch, publizistischem Stör- und Aufstörfaktor im besten Sinne des Wortes. Er forderte: »Demokratie muss mit aller Entschiedenheit praktiziert werden. In Auseinandersetzungen und Diskursen. Das Laue, das Taktiererische, die Feigheit muss weg.« Diese Haltung lebte er konsequent und war damit unbequem. Seine Frau Lilo sagte über ihn: »Er war ein verrückter Kerl. Er hat gesagt: 'Worüber man eigentlich nicht schreiben kann und was niemand hören will, davon will ich sprechen.'«

Papier, unliniertes
Dich
Ziehe ich vor  

Hinter
Klein- oder großkarierte
Gitter
Bringe ich meine Worte nicht

Sie müssen doch
Atmen

(Aus „Schriftprobe“, Gedichtzyklus 1972)

Befreundet mit Heinrich Böll, Ralph Giordano, Herta Müller... warf er sein Wort unüberhörbar klar in die Waagschale, wo es um Meinungsfreiheit, gegen Machtmissbrauch und Menschenrechte, um Aufdecken von Methoden und Verbrechen von Diktaturen ging. Und weil er sich dabei selbst als links verstand, erfuhr er die meisten Anfeindungen aus dem linken Lager.

Wortmeldungen von Jürgen Fuchs aus den 1990er Jahren bleiben bis heute brandaktuell. So kritisierte er in einer Anhörung der „Enquetekommission SED-Unrecht“ im Mai 1994 scharf  aufkommende Selbstgerechtigkeit und Verharmlosung von DDR-Unrecht. Er forderte: »Ihr sollt mit uns in Augenhöhe reden.« Dabei waren „Ostalgie“ und der Tenor: „Es war nicht alles schlecht“ längst nicht so salonfähig wie heute.

Mit Blick auf Verstrickungen und Verharmlosungen fragte er: »Ist schon wieder ein Verdecken des Offensichtlichen im Gange?«

Mehr denn je, möchte man ausrufen. 

Jürgen Fuchs mit seinem sensiblen Gespür für notwendige Auseinandersetzungen fehlt unserer Gesellschaft hier und heute. Er fehlt seit jenem 9. Mai 1999, als dem Tod kein Schnippchen mehr zu schlagen war, so wie fünf Jahre zuvor, beim ersten Ausbruch der tückischen Krankheit.                               

Ein seltener Blutkrebs war stärker. Ein Freund, Pfarrer Matthias Storck, sprach den ungeheuerlich erscheinenden Verdacht vor mehr als 500 Trauergästen bei der Beerdigung auf dem Berliner Heidefriedhof aus: Möglicherweise sei Fuchs´ Erkrankung „nicht gottgewollt, sondern menschengemacht“. Jürgen Fuchs selbst hatte kaum je darüber gesprochen. Er hat den Tod immer abgewiesen. 

Gleichsam als ein Vermächtnis erschienen 2009 seine lange vergriffenen Vernehmungsprotokolle in einer beeindruckend ins Bild gesetzten Foto-Text-Edition. Dieser Erfahrungsbericht des Schriftstellers und Psychologen dokumentierte 1978 erstmals die U-Haft-Praktiken moderner, nicht demokratisch kontrollierter Geheimdienste, die Vernehmungstechniken, Psychofolter und „Schwarze Psychologie“ zum Brechen ihrer Gegner. Das Buch ist heute so aktuell wie vor dreißig Jahren.

Lesetipp

Jürgen Fuchs: Vernehmungsprotokolle, Jaron Verlag Berlin 2009, 176 S., 18 S/W-Fotografien, 176 S., 14,90 €.

Udo Scheer: Jürgen Fuchs. Ein literarischer Weg in die Opposition, Biografie, Jaron Verlag 2007, 384 S., 14,90 €.

 

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