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Opposition und Widerstand von Jugendlichen als Themenschwerpunkt an der Gedenkstätte Deutscher Widerstand

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Content-Author: Ingolf Seidel

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Dr. Christine Müller-Botsch arbeitet im Bereich historisch-politische Bildungsarbeit / Gedenkstättenpädagogik der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin. 

Von Christine Müller-Botsch

In der Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand befasst sich einer der 26 Bereiche mit dem Thema Opposition und Widerstand von Jugendlichen im Nationalsozialismus. Er gehört zu den täglich am meisten frequentierten Orten der Gedenkstätte. Bis zur Neugestaltung der Ausstellung ab Sommer 2013 finden sich hier auf drei Wänden Bilder und Dokumente zu einer großen Bandbreite jugendlichen Aufbegehrens gegen den Nationalsozialismus: Gezeigt werden Beispiele aus den ersten Jahren der nationalsozialistischen Diktatur, in denen sich eine Minderheit der Jugendlichen, meist aus sozialistischen, christlichen und "bündischen" Milieus, den Gleichschaltungsversuchen und -vorgaben der Nationalsozialisten über mehrere Jahre aktiv widersetzten und ihre Gegnerschaft zum Nationalsozialismus auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck brachten. Swing-Jugendliche oder Edelweißpiraten veranschaulichen, wie sich junge Menschen zehn Jahre später, in den Kriegsjahren, unter den Bedingungen weiter verschärfter Verfolgungsmaßnahmen, politischen und gesellschaftlichen Erwartungen verweigerten. In ihren kulturellen Ausdrucksformen, über Kleidung und Musik, trotzten sie dem Regime oder riefen mit Flugblättern und anderen, mitunter sehr kreativen Aktionen zum Widerstand auf. Hier werden auch Übergänge von jugendlicher Subkultur zu Widerstand im engeren Sinne – wie dem Verfassen von Flugblättern, Sabotageakten u.a. – deutlich. Im Zuge der Neugestaltung der Dauerausstellung 2013/14 wird dieser Themenbereich deutlich erweitert werden.

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, lokalisiert in ehemaligen Diensträumen der Wehrmacht im sogenannten Bendlerblock in Berlin-Tiergarten, ist historischer Ort des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 und symbolischer Ort zur Erinnerung an den gesamten Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland. Die Bildungsangebote der Gedenkstätte machen an ausgewählten Beispielen auf die gesellschaftliche Breite und Vielfalt des Widerstands in Deutschland aufmerksam. Es ist ihre Aufgabe, die Auseinandersetzung mit Handlungsbedingungen und -möglichkeiten im Nationalsozialismus zu fördern und an die kleine isolierte Minderheit von Menschen in Deutschland zu erinnern, die ihre Handlungsspielräume genutzt und sich dem Nationalsozialismus widersetzt haben. Viele von ihnen sind in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert, gefoltert und ermordet worden.

Bei der Anmeldung von Jugendgruppen in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand werden Jugendopposition und -widerstand im Nationalsozialismus, die bereits seit den 1980er Jahren fester Bestandteil der Dauerausstellung sind, sehr häufig als ein Schwerpunktthema angegeben. Dies gilt sowohl bei den kostenlosen geführten Rundgängen, bei denen etwa drei bis vier Bereiche exemplarisch vorgestellt werden, als auch hinsichtlich des ebenfalls kostenlosen Seminarprogramms.

Das halbtägige Seminar "Piraten, Swings und wilde Cliquen – Opposition und Widerstand von Jugendlichen gegen den Nationalsozialismus", das sich an Jugendliche ab 15 Jahren richtet, soll in seinen Grundzügen im Folgenden kurz vorgestellt werden:

Es beginnt mit einem einführenden Gespräch über den historischen Ort und die Gedenkstätte. Hier werden auch Erwartungen der Teilnehmer/innen an ihren Besuch und ihr Vorwissen erfragt. Ebenfalls wird frühzeitig angesprochen, wogegen sich Menschen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewandt haben, zentrale Strukturdimensionen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft werden im Gespräch wiederholt bzw. gesammelt. In einem Rundgang durch ausgewählte Bereiche der Dauerausstellung werden dann Bedingungen und Formen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus besprochen und unterschiedliche Wege in den Widerstand vorgestellt. Neben frühen, entschiedenen Regimegegner/innen geraten auch Menschen in den Blick, die sich erst nach längerer Passivität oder sogar Zustimmung zum Regime dem Widerstand zuwandten.

Im zweiten Teil des Seminars werden Kleingruppen gebildet, die mit Hilfe der Ausstellungstafeln sowie weiteren Materialien (Fotografien; unterschiedliche Dokumente, wie z.B. Briefe, Flugblätter, Anklageschriften oder Urteile; Hintergrundtexte) vertiefend einzelne Ausschnitte des Jugendwiderstands gegen den Nationalsozialismus erarbeiten. Hier wird beispielsweise zu unterschiedlichen Jugendgruppen intensiver gearbeitet; in der Erarbeitung von Biografien wird nach lebensgeschichtlichen Erfahrungen, Orientierungen und Handlungen von jungen Menschen im Widerstand gefragt. Abschließend werden die Arbeitsergebnisse in der Gesamtgruppe vorgestellt und diskutiert.

Anhand bedacht ausgewählter Beispiele lassen sich in diesem Seminar unterschiedliche Erfahrungen und Gruppenzugehörigkeiten von jungen Menschen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus thematisieren: Neben geschlechtsspezifischen Aspekten kann die soziale Herkunft von jugendlichen NS-Gegner/innen angesprochen werden. Handlungsalternativen von Jugendlichen, die vom nationalsozialistischen System umworben wurden, können ebenso erarbeitet werden wie Handlungsmöglichkeiten von jüdischen Jugendlichen und jungen Sinti und Roma, die ausgegrenzt und immer radikaler verfolgt wurden. Auch nach der Bedeutung von Migrations- und Exilerfahrung für Widerstandsaktivitäten kann exemplarisch gefragt werden.

Das Seminar will verdeutlichen, dass in den verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen, auch unter Jugendlichen, Menschen ihre Handlungsspielräume genutzt haben und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Widerstand geleistet haben. Anhand der unterschiedlichen Fälle kann diskutiert werden:

  • Welche Möglichkeiten hatten Jugendliche, dem Nationalsozialismus etwas entgegenzusetzen?
  • In welch unterschiedlichen Situationen befanden sich Jugendliche im Nationalsozialismus und wie konnten sie handelnd damit umgehen?
  • Wogegen wandten sie sich und welche Mittel und Formen von Widerstand wählten sie? Entdecken wir darin Jugendspezifisches?
  • Schließlich: Was konnte junge Menschen bestärken, sich den Erwartungen des nationalsozialistischen Systems zu entziehen und sich mit eigenen Mitteln dagegen aufzulehnen?

Ähnlichkeiten und Unterschiede zu heutigen Lebensbedingungen von Jugendlichen und deren Handlungsalternativen sind implizit und explizit Thema. Dadurch eröffnet sich für die Teilnehmer/innen eine Möglichkeit, im Nachdenken und Sprechen über das Seminarthema an die eigene Lebensrealität und ihre eigenen Relevanzen anzuknüpfen. Auf diese Weise kann das Seminar dazu beitragen, produktive und kreative Auseinandersetzungen über Handlungsbedingungen und Handlungsalternativen in Geschichte und Gegenwart zu befördern.

Für das Gelingen des Seminars sind in der Regel eine gute Vor- und Nachbereitung der Gruppen entscheidend. Vorkenntnisse zum Nationalsozialismus sind erfahrungsgemäß notwendig, um sich mit dem Widerstand gegen ihn sinnvoll auseinandersetzen zu können.

Die Bildungsangebote der Gedenkstätte Deutscher Widerstand finden sich unter www.gdw-berlin.de. Interessierte können sich gerne auch telefonisch beraten lassen. Die Gedenkstätte bleibt auch während der Neugestaltungsphase der Dauerausstellung ab Sommer 2013 geöffnet. Die Wanderausstellung "Was konnten sie tun?", die von der Stiftung 20. Juli und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand gemeinsam erarbeitet wurde und sich insbesondere an Schüler/innen richtet,  zeigt u.a. bekannte und weniger bekannte junge Menschen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus leisteten.

 

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