Neu eingetroffen

Makom tov – der gute Ort. Jüdischer Friedhof Frankfurt/Oder

Content-Author Profile / Contact

Content-Author: Ingolf Seidel

You have to be logged in to view the profile
and to contact the author.

Click here to register

Eckard Reiß, Magdalena Abraham-Diefenbach (Hg.): Makom tov – der gute Ort. Jüdischer Friedhof Frankfurt (Oder) / Słubice, Vergangenheitsverlag Berlin 2012, 12,90 €
Von Markus Nesselrodt

Die vorliegende Publikation des Instituts für angewandte Geschichte (Frankfurt/Oder) ist das Ergebnis jahrelanger Beschäftigung des Frankfurter Lokalhistorikers Eckard Reiß mit der Geschichte des lokalen jüdischen Friedhofs. 20 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelang es Reiß, den ehemaligen Friedhof in Słubice, der ehemaligen Frankfurter Dammvorstadt, zu besuchen und zahlreiche Photographien von den erhaltenen Grabsteinen zu machen. Diese Aufnahmen gehören zu den wenigen Überbleibseln des heute fast vollständig verschwundenen Friedhofs. Die 1399 erstmals erwähnte Begräbnisstätte gehört zum jüdischen Erbe der deutsch-polnischen Grenzregion.

Das Herzstück des Buches bilden die Photographien, die Eckard Reiß 1965 anfertigte. Die Inschriften der auf den Bildern zu erkennenden Grabsteine wurden aus dem Hebräischen übersetzt und teilweise um theologische Erklärungen ergänzt. Flankiert wird die Photodokumentation von vier Essays und einer Zeittafel zur Geschichte der Jüdinnen und Juden in Frankfurt an der Oder.

Der Lokalhistoriker und Autor der historischen Photographien, Eckard Reiß, stellt in seinem einleitenden Text „Makom tov – der gute Ort“ die Geschichte des jüdischen Friedhofs Frankfurt(Oder) / Słubice dar. Reiß versteht Friedhöfe als „offene Geschichtsbücher“, die es zu lesen gelte. Die ältesten Quellen zur Existenz eines jüdischen Friedhofs in Frankfurt/Oder reichen bis in die Anfangstage der Stadtgeschichte zurück. Seine Funktion als jüdische Begräbnisstätte endete mit der letzten Beerdigung im Jahre 1944. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges liegt der Friedhof auf polnischem Territorium, wodurch die Frage auftauchte, was die neue Verwaltung mit dem kulturellen Erbe der deutschen Juden anfangen sollte. Jahrzehntelang verfiel das im Krieg kaum zerstörte Gelände, bis es 1975 sukzessive abgetragen wurde. Nach jahrelanger Debatte um die Nutzung des ehemaligen Friedhofgeländes erwarb die Stadt Słubice einen Teil des Territoriums und überschrieb dieses 2004 der jüdischen Gemeinde in Stettin. Auf dem Gelände befinden sich heute bis auf einige wenige symbolische Grabmäler und eine Informationstafel keine Anzeichen für seine jahrhundertelange Funktion als jüdische Begräbnisstätte.

Nathaniel Riemer, Mitarbeiter an der Universität Potsdam, erläutert aus theologischer Sicht die Bedeutung jüdischer Friedhöfe. Ähnlich wie schon Reiß weist auch er auf die kulturhistorische Bedeutung von Begräbnisstätten hin, die der Nachwelt zahlreiche „Daten über die Vergangenheit“ liefern. Die Besonderheit jüdischer Friedhöfe bestehe allerdings aus zwei Aspekten: Erstens, die „unbehelligte Bedeutung der Ehre und die ungestörte Ruhe des Verstorbenen“ und zweitens, die „Vermeidung einer rituellen Verunreinigung durch den Kontakt mit dem Leichnam“. Die Grabsteine (Mazeva=Säulen) sollen den Toten „ein Denkmal“ setzen. Riemer ruft am Ende seiner Ausführungen dazu auf, die nicht mehr benutzten jüdischen Friedhöfe in Mittel- und Osteuropa als kulturelles Erbe der Gesellschaft zu begreifen und als Denkmäler langfristig zu schützen.

Jemand, der diesen Aufruf sehr ernst nimmt, ist Andrzej Kirmiel. In seinem Text zeigt er jüdische Spuren im Lebuser Land, also der deutsch-polnischen Grenzregion, auf und richtet seinen Fokus dabei auf die Geschichte nach 1945. Jahrzehntelang tat die polnische Verwaltung im Lebuser Land wenig für den Schutz regionaler jüdischer Kulturgüter. Um dies zu ändern, gründete sich 2006 die private Lebuser Stiftung Judaica mit dem Ziel, die Erinnerung an die jüdische Präsenz in der Region wachzuhalten. Die von der Stiftung organisierten Ausstellungen und Kulturfeste finden stets ein interessiertes Publikum, doch stelle sich immer wieder die Frage, so Stiftungsvorsitzender Kirmiel, ob nicht jüdische Polen die Nachlassverwalter jüdischen Erbes sein können.

Die abschließende Zeittafel von Matthias Diefenbach zeichnet die jüdische Geschichte in Frankfurt/Oder von der ersten Erwähnung im 13. Jahrhundert, über die Jahre des Nationalsozialismus bis zur Neugründung der jüdischen Gemeinde durch Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion in Jahre 1998 nach.

„Makom tov“ ist ein wertvoller Beitrag zum Verständnis der jüdischen Geschichte in der heutigen deutsch-polnischen Grenzregion. Der jüdische Friedhof in Słubice dient hierbei tatsächlich als „offenes Geschichtsbuch“. Die Frage stellt sich allerdings, wer – um im Bild zu bleiben – darin lesen wird. Denn die lobenswerte zweisprachige Ausgabe (deutsch/polnisch) kann nur einen Teil des potentiellen Publikums erreichen. So wird beispielsweise deutschen und polnischen Schulklassen auf ihrer historischen Spurensuche in der Grenzregion ein hilfreiches und gut verständliches Buch in die Hand gegeben. Doch die verbliebene große Mehrheit des nicht deutsch- oder polnischsprachigen Publikums wird sicher nur durch eine englischsprachige Übersetzung auf das vorliegende Ergebnis einer langjährigen Puzzlearbeit aufmerksam.

 

Add comment

CAPTCHA
This question is for testing whether you are a human visitor and to prevent automated spam submissions.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.